15-03-2011
Kultur und Kunst
Handel am Ende der Seidenstraße
von Zan Jifang

In Xi'an erwacht ein tangzeitlicher Markt zu neuem Leben: Schon vor tausend Jahren boten Händler aus aller Welt auf dem Westmarkt ihre Waren feil. Nun wurde der antike Handelsplatz restauriert und entführt die Besucher auf eine Reise in die Vergangenheit der alten Kaiserstadt.

 

Das Gelände des Tangzeitlichen Westmarktes in Xi'an ist jedes Jahr zum Frühlingsfest Anfang Februar Schauplatz eines der größten Tempelmärkte des Landes. (Foto von Wei Yao)

Es ist kurz vor Mittag am Tag des Laternenfests, dem letzten Tag der 15-tägigen chinesischen Neujahrsfeierlichkeiten. Immer mehr Menschen strömen auf den traditionellen Tempelmarkt auf dem Gelände des tangzeitlichen Westmarktes in Xi'an, der Hauptstadt der nordwestchinesischen Provinz Shaanxi. Die Luft ist geschwängert vom Duft von Gebratenem, Gebackenem, Frittiertem. Die Rufe der Händler, Köche und Kunsthandwerker schallen durch die Besucherscharen.

Tempelmärkte wie dieser sind in ganz China verbreitet und traditioneller Bestandteil des chinesischen Neujahrsfestes, auch als Frühlingsfest bekannt, das in diesem Jahr am 3. Februar begann. Der Tempelmarkt auf dem Westmarkt in Xi'an gilt als einer der größten des Landes. Für insgesamt rund zwei Wochen lockte er täglich bis zu 100 000 Schaulustige an. Die Gassen auf dem Marktgelände sind mit Laternen in den unterschiedlichsten Farben und Formen geschmückt, überall gibt es traditionelles Kunsthandwerk, volkstümliche Aufführungen und lokale Köstlichkeiten.

„Ein Frühlingsfest ohne Tempelmarkt, da würde ein gutes Stück der festlichen Atmosphäre fehlen", sagt Hang Zhijie, ein einheimischer Besucher. „Kunstvolle Zuckerfiguren, Schattenspiel und Stelzenlauf – das erinnert uns an unsere Kindheit."

Und doch ist der Tempelmarkt in Xi'an etwas Besonderes, ja Einmaliges in China. Das liegt an der historischen Kulisse und dem geschichtsträchtigen Ort, an dem er stattfindet: dem tangzeitlichen Westmarkt. Wie Hang Zhijie sind viele Einheimische begeistert von dieser Sehenswürdigkeit, nicht nur zum Frühlingsfest. Das Gelände ist die Nachbildung eines alten Marktplatzes aus der Tangdynastie (618 bis 907 n. Chr.) an seinem historischen Ort. Xi'an, das damals noch Chang'an hieß, war seinerzeit die Hauptstadt des chinesischen Kaiserreichs.

 Glanz früherer Zeiten

Über insgesamt 300 000 Quadratmeter erstreckt sich das heutige Marktgelände. Schon vor mehr als 1300 Jahren wurde an dieser Stelle gehandelt und gefeilscht. Der antike Markt von damals war sogar noch um einiges größer, er hatte etwa die dreifache Fläche der neuzeitlichen Rekonstruktion. Schon damals galt sein Tempelmarkt als einer der berühmtesten in ganz China.

Zur Zeit der Tangdynastie gab es in Chang'an zwei Hauptmärkte – den West- und den Ostmarkt. Der Ostmarkt war hauptsächlich Angehörigen der Kaiserfamilie und Aristokraten vorbehalten, während der Westmarkt dem gewöhnlichen Volk offen stand und vor allem für seinen Handel mit ausländischen Waren bekannt war.

Die Tang-Dynastie war eine blühende Epoche. Mit mehr als einer Million Einwohnern gehörte die Hauptstadt Chang'an damals zu den größten Städten der Welt und war als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Chinas ein beliebter Anlaufpunkt für Ausländer, die größtenteils über die Seidenstraße nach Chang'an gelangten. Diese legendäre antike Handelsroute verband Asien und Europa. Die Reisenden stammten aus Gebieten wie dem heutigen Iran, der Türkei, Griechenland oder Italien, die allesamt an der Seidenstraße lagen. Viele von ihnen brachten Waren aus ihrer Heimat, um mit diesen auf dem Westmarkt zu handeln. Der Westmarkt entwickelte sich zu einem florierenden Handelszentrum, auf dem Waren aus aller Herren Länder erhältlich waren – Schmuck, Seide, Tee, exotische Kräuter und seltene Arzneien.

Der Westmarkt war säuberlich in neun Teile untergliedert, wie archäologische Funde gezeigt haben. Neben Verkaufsflächen für in- und ausländische Händler beherbergte das Marktgelände auch Speiselokale und Schänken, Herbergen und Wechselstuben.

Über die Handelsverbindungen zu anderen Ländern entlang der Seidenstraße gelangten auch kulturelle und künstlerische Einflüsse nach Chang'an. So erfreuten sich damals etwa Musik und Volkstänze aus westlichen Ländern in Chang'an großer Beliebtheit. Einheimische, die westliche Kleidung trugen, gehörten genauso zum Stadtbild Chang'ans wie Ausländer in traditioneller chinesischer Gewandung.

Die Wurzeln der Seidenstraße reichen bis in die Westliche Han-Dynastie zurück (202 v.Chr. bis 9 n. Chr.). In der Tang-Dynastie erreichte der Handel zwischen China und anderen Ländern jedoch seinen Höhepunkt. Chang'an gilt heute als der östliche Ausgangspunkt der Seidenstraße, der Westmarkt als Zentrum der florierenden Handelsaktivitäten.

Dass der Westmarkt einer der wichtigsten Plätze für den Warenumschlag von Gütern der Seidenstraße während der Sui- (581 bis 618 n.Chr.) und der Tang-Dynastie war, davon ist auch das Staatliche Denkmalsamt überzeugt. Erst kürzlich wurde die Stätte im heutigen Xi'an auf die Liste der wichtigsten Sehenswürdigkeiten entlang der Seidenstraße aufgenommen. Gemeinsam mit fünf zentralasiatischen Staaten – Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan – hat China beantragt, die Sehenswürdigkeiten als UNESCO -Weltkulturerbe anzuerkennen.

Erhalt der antiken Stätte

Der antike Schauplatz des Westmarktes wurde erstmals in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts bei Ausgrabungen freigelegt. Wegen der damals noch unausgereiften Technik wurden jedoch weder Versuche unternommen, die gefundenen antiken Gebäudeteile zu konservieren oder zu rekonstruieren, noch wurden die archäologischen Untersuchungen ausgeweitet.

Die letzte archäologische Grabung fand 2006 unter der Leitung von An Jiayao, Spezialist der Archäologiefakultät der  Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften in Beijing statt. An Jiayao war von einer privaten Firma beauftragt worden, die Untersuchungen durchzuführen. Die Firma „Xi'an Tang West Market Culture Industry Investment" plante ursprünglich, auf dem Gelände einen Firmenkomplex zu errichten. Nach dreimonatigen Ausgrabungen fanden die Archäologen viele seltene Relikte, die auf die Tang-Dynastie datiert wurden. Darunter eine Steinbrücke, eine alte Wasserstraße, jahrtausende alte Wagenrinnen sowie antike Werkzeuge und Münzen.

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