13-09-2010
Kultur und Kunst
Michael Schultz über moderne Kunst in China
 von Lina Wintzer

Es gibt die Erwartung, dass der japanische und indonesische Kunstmarkt in den nächsten 20-30 Jahren den Weltkunstmarkt beherrsche, ob dies wirklich so kommt, kann Herr Schultz nicht beurteilen, allerdings verweist er auf die entscheidende Bedeutung der Sammler, also derjenigen, die ihr Geld für Kunst ausgeben. „Und das, glaube ich, ist in Amerika einfach viel ausgeprägter als in Asien, in Amerika gibt es Leute, die ihr ganzes Vermögen einer Stiftung spenden, ganz nach dem Motto: Wer viel nimmt, muss auch irgendwann mal wieder etwas zurückgeben. Den Sammlern hier in China geht es vielmehr um Anerkennung, um ein Statussymbol und auch ganz klar um die Aktie an der Wand!"

Immer wieder erstaune und begeistere ihn die wirklich hohe Fertigkeit der chinesischen Künstler, die seiner Meinung nach ihr Handwerk - dank einer sehr starken Konzentration der Ausbildung auf praktische, handwerkliche Aspekte an den Kunstakademien - einwandfrei beherrschen. Seit dem Beginn der Reformpolitik in den 80er Jahren hat sich in China trotz der weiterhin etwas schwierigen Bedingungen für die unabhängige Kunstproduktion eine äußerst vielfältige und dynamische Szene entwickelt, die in den letzten Jahren auch im Westen große Aufmerksamkeit gefunden hat. Die chinesischen Künstlerinnen und Künstler haben dabei rasch Anschluss an die internationale Kunstszene gefunden und bedienen sich dabei der im Westen entwickelten Medien, Techniken und Ausdrucksmittel. Gerade Künstler wie der deutsche Maler, Bildhauer und Fotograf Gerhard Richter wurden zu Beginn der Reform- und Öffnungspolitik, als die chinesischen Künstler viel zeitgenössische Kunst aus dem Westen rezipierten, schnell sehr einflussreich. Michael Schultz ist allerdings der Ansicht, dass der westliche Einfluss, den etwa Gerhard Richter auf chinesische Künstler ausübte, nicht so prägend gewesen sei, wie etwa der Einfluss der traditionellen, chinesischen Malerei und Kunst. Auch sehe er nicht, dass die Globalisierung, die sich z.B. in der weltweiten Vernetzung durch das Internet zeigt, die Künstler zu einer stärkeren Inspiration untereinander verleite. „Natürlich wird es immer Leute geben, die über den Tellerrand gucken und sich nicht nur inspirieren lassen, sondern ganz bewusst in die Ideen anderer Künstler eingreifen. Aber diese Art von Inspiration an westlicher Kunst ist momentan in China eher selten, da die Chinesen eine andere Sicht auf die Welt haben und mit einem ganz anderen Anspruch an die Kunst herantreten. Westliche Kunst einfach nur nachzuahmen, würde für sie also überhaupt keinen Sinn ergeben, solange sich nicht die Gesellschaft und mit ihr die chinesische Denkweise an westliche Muster und Sichtweisen anpasst", so Michael Schultz Einschätzung.

Auch unterscheide sich chinesische Kunst in Bezug auf ihren Entstehungsprozess sehr deutlich von moderner Kunst in Deutschland. „In China entsteht die Kunst eher im Kopf, während sie in Deutschland mehr aus dem Bauch heraus entsteht. Und diese Art von Kunst, nennen wir sie mal Kopfkunst, wird in China auch noch lange Bestand haben. Dadurch, dass die Kunst schon lange und noch immer der Zensur unterworfen ist - auch wenn sich dies mit der Zeit immer mehr öffnet - ist viel verhindert worden, aber gerade diese Verhinderung hat wieder neue Formen, Formen der Chiffrierung, erschaffen. System- oder Gesellschaftskritik wurde nie offen in der Kunst gezeigt. Es ist ein ganz interessantes Spiel, wie die Künstler das, was sie sagen oder ausdrücken wollen, in der Kunst verstecken oder chiffrieren. Genau das macht die Kunst auch so spannend und uns so neugierig darauf!"

„Ich denke aber, dass dies auch so eine Art Spiel zwischen der Zensur und den Künstlern ist, wer das Gummi am weitesten ausdehnen kann, zieht den anderen über den Tisch und dann zieht der wieder zurück", berichtet Michael Schultz. Er fährt fort: „Letztens war hier im 798 District eine Halle gesperrt und am nächsten Tag schon wieder geöffnet. So schnell kann das gehen."

Michael Schultz sieht die chinesische Avantgardekunst vor allem vor dem Hintergrund der enormen sozialen und ökonomischen Umwälzungen, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat.

Der Galerist ist fest davon überzeugt, „dass die Künstler hier sehr viel bewegt haben, dass auch gerade sie viel zur Öffnung der Gesellschaft beigetragen haben. 798 – das ist schon etwas Einmaliges!"

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