03-04-2015
China Reportage
China braucht bessere Richter
von Xu Bei

„Dass es in der Vergangenheit zu Fehlurteilen gekommen ist, bedauern wir zutiefst. Die Volksgerichte aller Ebenen sollten aus unseren Fehlern lernen und den Mechanismus zur effektiven Vermeidung von Fehlurteilen und ihrer schnellen Korrektur weiter verbessern." Das erklärte Zhou Qiang, Präsident des Obersten Volksgerichts, am 12. März in seinem jährlichen Rechenschaftsbericht. 

2014 haben Gerichte in ganz China insgesamt 1317 Verfahren wiederaufgenommen und dabei das Strafmaß verändert. Dazu zählte auch der Fall Huugjilt - der 18-Jährige wurde zu Unrecht wegen Mordes verurteilt und vor 18 Jahren hingerichtet - und der Fall Nian Bin, der verdächtigt wurde, die Kinder eines ehemaligen Nachbarn vergiftet zu haben und nach acht Jahren Haft wegen „unklarer Faktenlage" und „unzureichender Beweise" freigelassen wurde.

Der Mut der Justizbehörden, ihre eigenen Fehler zu korrigieren, hat das Vertrauen der Öffentlichkeit in sie gestärkt. Bei der diesjährigen Sitzung der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes haben Sozialwissenschaftler Vorschläge gemacht, wie Richter mehr Gerechtigkeit walten lassen könnten.

 

Macht erfordert Verantwortung

Sun Bo (Mitte), Richter in Hegang (Provinz Heilongjiang) bei einer gerichtlichen Anhörung.

Laut Chinas Strafprozessrecht müssen Verhandlungen von einem Richtergremium durchgeführt werden. Seine Mitglieder sind entweder ausschließlich Richter oder eine Kombination aus Richtern und Schöffen. Auf Kreisebene können Fälle auch von einem Richter allein verhandelt werden.

Das Gesetz schreibt vor, dass das Richtergremium nach der Verhandlung und anschließenden Erörterung ein Urteil fällt. Erscheint dies aufgrund der Komplexität des Falls als zu schwierig, kann das Gremium verlangen, dass der Gerichtspräsident den Fall zur weiteren Diskussion und Entscheidung einem Gerichtsausschuss überträgt.

Der Gerichtsausschuss ist eine der wichtigsten Organisationen des Gerichts, zu seinen Hauptaufgaben zählt die Rekapitulation des Prozessgeschehens, die Erörterung wichtiger und schwieriger Fälle und weitere verhandlungsbezogene Angelegenheiten.

Die dritte Plenarsitzung des 18. ZK der KPCh konzentrierte sich auf die umfassende Vertiefung der Reformen. Bei der Tagung entschied die politische Führungsspitze „das System der Gerichtsausschüsse zu reformieren und die Aufteilung der Verantwortung bei der Fallbearbeitung - vorsitzende Richter fällen Urteile und Richter sorgen für deren Umsetzung - zu verbessern".

„Nur durch öffentliche Verhandlungen im Gerichtssaal, bei denen Staatsanwälte und Verteidiger über Beweismittel debattieren, sind Richter in der Lage, verschiedene Meinungen anzuhören und Urteile zu fällen", erklärt Shi Jie, Mitglied der PKKCV und Leiter der Kanzlei Dingli in Sichuan.

Er glaubt, dass Richtern eine entscheidende Rolle bei der weiteren Reform der Prozessordnung, in deren Zentrum Verhandlungen stehen, zukommt. Bislang beeinträchtigen allerdings Probleme mit den Gerichtsausschüssen die Richter in gewissem Maße bei der ordnungsgemäßen Bearbeitung ihrer Fälle.

Shi führte dazu mehrere Beispiele an. So treffe der Gerichtsausschuss manchmal Entscheidungen auf der Grundlage mündlicher oder schriftlicher richterlicher Berichte, obwohl das gegen das Prinzip der direkten und öffentlichen Verhandlungen verstößt.

Zweitens schreibt das chinesische Strafprozessrecht vor, dass ein Richtergremium einen schwierigen, komplizierten oder bedeutsamen Fall dem Gerichtsausschuss vorlegen kann. Doch diese Fälle sind nicht klar definiert, daher gebe es bei ihrer Auswahl einen gewissen Grad an Willkür, meint Shi.

Drittens trifft der Gerichtsausschuss kollektive Entscheidungen und übernimmt kollektive Verantwortung. Das kann dazu führen, dass sich Richter in einzelnen Fällen vor einer Entscheidung drücken und sie stattdessen auf den Ausschuss abwälzen, ergänzte Shi.

Bei der jährlichen Tagung des Nationalen Volkskongresses 2014 reichte Shi einen Antrag zur Reform der Gerichtsausschüsse ein. In der Antwort des Obersten Volksgerichtshofs hieß es, dass bereits eine Reihe von Reformmaßnahmen konzipiert worden seien. So seien beispielsweise die Fälle, die beim Gerichtsausschuss eingereicht werden dürfen, genauer definiert worden, die Berechtigung des Ausschusses zur Durchführung von Gerichtsverhandlungen sei beschnitten worden.

Trotz dieser tiefgreifenden Reformen gebe es noch viel zu tun, meint Shi. Nur wenn die Richter mehr Urteilsbefugnisse erhalten würden, könne man einen Amtsmissbrauch verhindern.

Große Macht bringt allerdings auch große Verantwortung mit sich. Xie Shanghua, PKKCV-Mitglied und Vizepräsidentin des Oberen Volksgerichtshofs der Provinz Sichuan, bezweifelt, dass Richter bereit sind, diese Verantwortung auch zu übernehmen.

„Gegenwärtig variieren die beruflichen Qualifikationen der Richter sehr stark. Ihre beruflichen Fähigkeiten bleiben weit hinter den Anforderungen zurück, die nach einer Reform auf sie zukommen können. Unter diesen Umständen Befugnisse vollständig an die Richter zu übertragen, könnte die Fallbearbeitung beeinträchtigen und die gesellschaftliche Stabilität untergraben", erklärte sie.

Außerdem sind gesellschaftliche Unterstützung und institutionelle Garantien notwendig, damit der Gerichtspräsident die Verantwortung für einzelne Fälle besser verteilt.  

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