11-02-2015
China Reportage
Bislang kein Babyboom in China
von Wang Hairong

Rund ein Jahr nach der Einführung der gelockerten Familienplanungspolitik, die ein zweites Kind erlaubt, wenn einer der Elternteile oder beide Einzelkind waren, ist noch kein Babyboom in Sicht.

Geburtserlaubnis: Fu Quanmin (li.) aus Quanzhou (Provinz Fujian) erhält am 9. April 2014 eine Genehmigung für ein zweites Kind.

Seit rund einem Jahr dürfen Eltern ein zweites Kind bekommen, wenn mindestens ein Elternteil Einzelkind war. Sorgen über einen schnellen Bevölkerungsanstieg haben sich dennoch als unbegründet erwiesen.

Vom 3. März 2014, dem offiziellen Starttermin der neuen Politik, bis Ende 2014 entschieden sich nur 1 Million der berechtigten Paare  für ein zweites Kind, hieß es in einer Stellungnahme von Mao Qun'an, Sprecher der Staatlichen Kommission für  Gesundheitswesen und Familienplanung, bei einer Pressekonferenz am 12. Januar.  Das entsprach der Erwartung, dass durch die neue Familienplanungspolitik jedes Jahr nicht mehr als 2 Millionen Kinder zusätzlich geboren werden.

Landesweit seien 15 bis 20 Millionen Paare, die im gebärfähigen Alter sind und bereits ein Kind haben, berechtigt, ein zweites Kind zu bekommen, erklärte Zhai  Zhenwu, Soziologieprofessor an der Renmin-Universität und Vizepräsident der China Population Association. D. h., dass bislang nur 5 bis 6 Prozent dieser Paare Anträge auf ein zweites Kind gestellt haben.

2014 war das erste Jahr der neuen Familienplanungspolitik. Familien bräuchten Zeit, um sich auf ein zweites Kind einzustellen, daher rechne man 2015 mit einer Zunahme der Anträge, so Mao.

Erwartungsgemäße Entwicklung

Die neue Politik wurde im November 2013 verabschiedet. Es handelte sich um eine wichtige Anpassung der Familienplanungspolitik, die in den 1970er Jahren eingeführt wurde, um die Bevölkerungsexplosion in jener Zeit zu bremsen.

Auch vorher gab es bereits einige Ausnahmen zur Ein-Kind-Politik. So dürften Paare auf dem Land ein zweites Kind bekommen, wenn ihr erstes ein Mädchen oder behindert war, Familien, in denen kein Elternteil Geschwister hatte, dürften ebenfalls zwei Kinder bekommen, das Gleiche gilt für ethnische Minderheiten. Die neue Politik werde sich vor allem auf städtische Paare im gebärfähigen Alter auswirken, erklärte Zhai.

Sie wurde zuerst am 17. Januar 2014 in der Provinz Zhejiang eingeführt und dann landesweit umgesetzt. Von Januar bis Ende Dezember 2014 gingen laut Gesundheits- und Familienplanungskommission der Provinz Zhejiang 88.056 Anträge auf ein zweites Kind ein, von denen 85.648 bewilligt wurden. Während dieser Zeit wurden 26.974 Babys geboren.

Laut einer Umfrage vom Juni 2014 lebten in der Provinz 632.300 Paare, die ein Recht auf ein zweites Kind hatten, bis Ende des Jahres hätten 12 Prozent entsprechende Anträge gestellt, erklärte Pan Zuguang, ein Beamter in der Provinzkommission von Zhejiang. 85,68 Prozent der Antragstellerinnen waren zwischen 25 und 34 Jahren alt.

Vor der Einführung der neuen Politik in Zhejiang schätzte man, dass 95.000 Paare 2014 gerne ein zweites Kind haben würden, und dass in den ersten fünf Jahren danach jährlich durchschnittlich 80.000 bis 90.000 Babys geboren werden würden, erklärte Pan. In der ersten Hälfte des Jahres 2014 wurden insgesamt 310.000 Babys geboren, nur 3401 davon von Paaren, die von der neuen Politik profitieren.

Am 11. Januar 2015 gab auch die Beijinger Gesundheits- und Familienplanungskommission entsprechende Zahlen heraus. Beijing hatte die neue Politik am 21. Februar eingeführt, erklärte Zhong Dongbo, Sprecher der Kommission bei einer Pressekonferenz. 30.305 Paare reichten anschließend Anträge für ein zweites Kind ein, 28.778 Anträge wurden bis zum 30. Dezember bewilligt. Nach Zhongs Schätzungen beantragten somit nur 6,7 Prozent die Erlaubnis für ein zweites Kind. Diese Zahl lag deutlich unter den erwarteten 54.200 Anträgen pro Jahr. Wahrscheinlich werde es drei bis fünf Jahre dauern, bis die Politik Wirkung zeige, einige Paare würden möglicherweise später einen Antrag einreichen.

Viele Paare in den Zwanzigern oder Dreißigern, die Bevölkerungsgruppe, die am ehesten eine Erlaubnis für ein zweites Kind erhält, haben gerade ihr erstes Kind bekommen oder sind noch kinderlos. Ein Mann aus Beijing sei zurzeit vollauf mit der Erziehung seines ersten Kindes beschäftigt, das gerade ein Jahr alt geworden sei, erklärte er. Ein zweites Kind stehe zurzeit für ihn und seine Frau noch nicht auf dem Plan.

In Städten wie Beijing, Tianjin und Chongqing sowie der Provinz Sichuan müssen Paare  nach der Geburt ihres ersten Kindes zudem drei bis vier Jahre warten, bis sie ihr zweites Kind bekommen dürfen, es sei denn die Mutter ist über 28 Jahre alt.

In Shanghai ist die Situation ähnlich. Zurzeit dürfen dort 90 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter ein zweites Kind bekommen, aber bislang hätten nur 5 Prozent von ihnen entsprechende Anträge eingereicht, erklärte Pan Hua, ein Beamter der Shanghaier Gesundheits- und Familienplanungskommission.

Trost spenden: Ein Vater knuddelt seine weinende Tochter auf einem Spielplatz in Beijing.

Warum kein zweites Kind?

Im November 2014 befragte die China Youth Daily landesweit 2052 Personen nach den Gründen dafür, dass sie keinen Antrag auf ein zweites Kind gestellt hatten. Die Befragten nannten als Hauptgründe, dass "es zu viel Zeit kostet, ein Kind aufzuziehen", "Ein Kind ist genug" und "Ich brauche noch Zeit, um darüber nachzudenken."

Eine weitere Umfrage in Shanghai zeigte, dass sich die jährlichen Kosten für ein Kind auf über 30.000 Yuan belaufen. Von der Geburt bis zum Universitätsabschluss kostet ein Kind schätzungsweise mehr als 1 Million Yuan.

Herr Chen und seine Frau Li, beide in den 1980er Jahren geboren, erzählten der Ningbo Evening News, dass sie sich kein zweites Kind leisten könnten. Chen war Einzelkind, also wäre die Erlaubnis dazu da. Aber seine Frau befürchtet, dass ein zweites Kind ihren Lebensstandard senken könnte. Obwohl beide berufstätig seien, würden sie lieber Geld sparen, um ihren Sohn ein gutes Leben und eine gute Ausbildung bieten zu können. In diesem Jahr will Li mit ihrem Sohn durch Südostasien reisen und dann Geld beiseitelegen, damit er in Zukunft im Ausland studieren kann.

Paaren, die sich ein zweites Kind leisten könnten, fürchten wiederum die zeitliche Belastung. Yu (34) und seine Frau Shi (33) aus Ningbo (Provinz Zhejiang) sind ein solches Paar. Yu ist Geschäftsmann mit einem ansehnlichen Einkommen. Ihre Tochter wurde 2006 geboren. Shi ist ein Einzelkind, also könnten sie ein zweites Kind bekommen.  Shi wünschte sich ursprünglich ein zweites Kind, aber nachdem ihre Tochter in die Grundschule kam, änderte sie ihre Meinung. Ihre Tochter wurde in vier außerschulische Kurse eingeschrieben, darunter Kalligraphie, Tanz, Musik und Go. Shi musste sie zu all diesen Aktivitäten begleiten. Sie wolle sich darauf konzentrieren, ihre Tochter gut zu erziehen und habe keine Energie mehr, sich um ein zweites Kind zu kümmern.

Andere Frauen zögerten wegen möglicher Karrierenachteile, ein zweites Kind zu bekommen, erklärte Pan. In Shanghai bekommen Frauen ihr erstes Baby im Schnitt mit 28 Jahren und sie wollen kein zweites Kind, wenn ihr berufliches Fortkommen auf dem Spiel steht.