Chinas Wirtschaft wuchs 2014 um 7,4 Prozent und verfehlte damit das Wachstumsziel erstmals seit 1998, wenn auch nur um 0,1 Prozent. Ministerpräsident Li Keqiang interpretierte die verlangsamte Konjunktur beim Weltwirtschaftsforum in Davos in einer Grundsatzrede als Ausdruck eines gesteuerten Strukturwandels, hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, in der Unternehmertun und Innovationen eine größere Rolle spielen sollen; eine harte Landung sei nicht zu erwarten. Wie deutsche und chinesische Medien darauf reagierten – ein Überblick:
Deutsche Medien
In den deutschen Medien überwiegen kritische Einschätzungen im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Doch es gibt auch positive Einschätzungen.
Die „Süddeutsche Zeitung" sieht eine „Zeitenwende im Wirtschafts-Wunderland" – und zwar nicht zum Guten. „China leidet unter einer Mischung gefährlicher Faktoren: hohe Schulden und eine alternde Bevölkerung bremsen den Immobilienmarkt, zugleich schwächeln die Exporte und Reformen kommen nur langsam voran", hieß es. Privatunternehmen würden immer noch bei der Kapitalverteilung ignoriert. "Chinas Wirtschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten aufgepumpt. Dieses Modell ist jetzt am Ende angekommen", wird der Makroökonom Yang Zhenxin von Minsheng Securities in Beijing zitiert. Und möglicherweise sinke das Wachstum weiter aus 6,5 Prozent im kommenden Jahr, heißt es unter Berufung auf Chefökonomin Wang Tao von der Schweizer UBS.
Auch „Die Welt" malt ein Gefahrenszenario: „China droht an der Wachstumsklippe zu scheitern", titelte sie nach Bekanntgabe der Wirtschaftszahlen, und: „ Ohne Reformen könnte das Land den gleichen Weg wie Russland gehen – mit fatalen Folgen". China sei vom Hoffnungsträger in Sachen Wachstum fast schon ein Sorgenkind geworden. Auch wenn Li in Davos von der „neuen Normalität" sprach, sei nicht auszuschließen, dass das Land noch viel weiter abstürze, hieß es. China stoße „an die Wachstumsmauer, die zwischen Schwellenländern und Industrienationen verläuft." Zur Überwindung müssten staatliche Regulierungen und Subventionen zurückgefahren werden, damit die Wirtschaft sich freier entfalten könne. Daran seien viele Länder wie Argentinien oder jüngst Russland gescheitert. Die Reformen verliefen zögerlich, es sei daher fraglich, ob genug Schwung aufkomme, um die Wachstumsmauer zu überwinden.
„Die Zeit": „In China lähmt Angst das Wachstum" schreibt Felix Lee in seinem China-Blog zum Verfehlen des Wachstumsziels: „Das allein wäre noch kein Grund zur Sorge, verfehlte die chinesische Regierung ihr Wachstumsziel um gerade einmal 0,1 Prozentpunkte. Besorgniserregend sind jedoch die Aussichten. Denn die Wirtschaftsflaute der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wird sich sehr wohl fortsetzen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) senkte seine Prognose für 2015 von 7,1 Prozent auf 6,8 Prozent." Auch die schwächelnde Exportwirtschaft und Bauindustrie, der sich abkühlende Immobilienmarkt seien Gründe für einen skeptischen Blick in die Zukunft.
„Manager Magazin": In seinem Artikel „Die Zeit der blinden China-Euphorie ist vorbei" bezweifelt Autor Wolfgang Hirn die Höhe der präsentierten Wachstumszahlen Dabei beruft er sich auf Chinas Ministerpräsident Li selbst, der diese Zahlen 2007 gegenüber dem damaligen US-Botschafter als "man made" bezeichnet haben soll. Stromverbrauch, Frachtvolumen der Eisenbahn und Kreditvolumen seien Li zufolge Indikatoren für Wachstum. Halte man sich an diesen „Li-Keqiang-Index", liege das Wachstum des vergangenen Jahres wohl nur bei vier Prozent.
Das "Handelsblatt" sprach dagegen von „positiven Signalen aus China" und zitierte dabei Ministerpräsident Li Keqiang. Die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 7,4 Prozent im vergangenen Jahr entspreche der „neuen Normalität" Chinas. In absoluten Zahlen habe China höhere Ergebnisse als früher erwirtschaftet. Ein Wachstum um 7 Prozent bedeute eine Steigerung des BIP um mehr als 800 Milliarden Dollar pro Jahr, weit mehr als noch vor fünf Jahren bei einer Wachstumsrate von 10 Prozent erreicht worden sei.
„Der Spiegel": „Chinas Wirtschaft schwächelt. Zum Glück!" schreibt China-Korrespondent Bernard Zand. „Nach mehr als 30 Jahren eines halsbrecherischen, Wohlstand schaffenden und die Umwelt vernichtenden Wachstums, senken sich Chinas Kurven allmählich. Der Jumbo landet." Die chinesische Regierung habe die „Mittlere-Einkommens-Falle" erkannt und suche nach einem neuen Geschäftsmodell für China, dabei sei sie bereit auch niedrigere Wachstumsraten in Kauf zu nehmen.
Die „Taz" sieht ein „Ende des Turbowachstums" in China. Die zweitgrößte Volkswirtschaft sei weit davon entfernt, die globale Ökonomie anzutreiben. Von „gewaltigen Überkapazitäten" und einer schwachen Binnennachfrage ist die Rede sowie einem schwachen Euro als Belastung für Chinas Exportwirtschaft. Das langsamere Wachstum werde sich auch auf deutsche Maschinenbauer und die Autoindustrie auswirken, da beide stark von China abhängig seien.
AFP zitiert Chinas Ministerpräsident Li Keqiang:
„Chinas Ministerpräsident Li Keqiang hat sich in Davos bemüht, Sorgen vor einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in der Volksrepublik zu zerstreuen. China drohe keine "regionale oder systemische Finanzkrise" und die chinesische Wirtschaft steuere nicht auf "eine harte Landung" zu, sagte Li vor Vertretern der globalen Politik- und Wirtschaftselite auf dem Weltwirtschaftsforum in dem Schweizer Skiort."
Chinesische Medien
Chinas Medien berichteten in zahlreichen Artikeln minutiös und ausschließlich positiv über Li Keqiangs Rede in Davos. Auch die Reaktionen ausländischer Medien oder Wirtschaftsexperten wurden thematisiert.
Xinhua betont in einem Kommentarstück die positive Bedeutung eines langsameren Wachstums, offiziell als "neue Normalität" bezeichnet. Der Markt sei verrückt nach Geschwindigkeit und Zahlen gewesen, und habe nicht gemerkt, dass Chinas Wirtschaft durch die "neue Normalität" und positive Merkmale wie stabiles Wachstum, verbesserte Qualität und besseres Sozialsystem gesünder sei. „The developments could bring even greater benefits to the world than the miraculous double-digit growth."
Die Nachrichtenagentur fordert die Industrieländer auf, erst ihre eigene Wirtschaft in Ordnung zu bringen, anstatt China zu kritisieren und nach einem Sündenbock zu suchen und in Unkenrufe zu verfallen.
Sie hebt positive Reaktionen aus dem Ausland hervor, sowohl was die wirtschaftliche Lage ("China's economic reforms, regional initiatives bring global benefits: top EU economists"), als auch das Innovationspotenzial Chinas angeht („Chinese innovation draws international attention at the WEF").
China Radio International (CRI) titelt wie auch Xinhua mit einem Zitat von Li: „Don't worry about a China slowdown": Westliche Medien und Politiker hätten trotz allen Pessimismus Chinas wirtschaftliche Leistung am Ende wohl oder übel anerkennen müssen, heißt es. Christina Otte, Managerin für Wirtschaftsforschung in der Asiatisch-Pazifischen Region bei Germany Trade & Invest (GTAI) sieht Potenzial für die deutsch-chinesische Zusammenarbeit und prognostiziert einen Anstieg der chinesischen Investitionen in Deutschland. Der von der Regierung eingeleitete Strukturwandel wirke sich positiv aus: „Traditionell sah die Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland so aus, dass China deutsche Technik und Deutschland chinesische Märkte brauchte. Aber mit dem Ausbau der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten in China betrachten immer mehr deutsche Unternehmen China auch als ebenbürtigen Partner und hoffen auf neue Forschungs- und Entwicklungsmodelle."
Auch die Global Times kritisiert das ihrer Ansicht nach mangelnde Verständnis des Westens für Chinas Wirtschaft: Der Begriff „Neue Normalität" stehe für Beijings neue Strategie, die nicht nur kurz-, sondern langfristig auf die Verbesserung der Lebensbedingungen angelegt sei. Viele Politiker und Analysten würden die „neue Normalität" jedoch als Hinweis darauf betrachten, dass die guten Zeiten für Beijing vermeintlich der Vergangenheit angehören. „As times runs, the "New Normal" concept will dominate Western media discourse, leading to various observations of China's economy and its impact on world financial stability. But no comprehensive understanding can be reached if current developments are not put into a wider context."
Die "People's Daily" titelt: "Experts: Premier Li Keqiang's speech at Davos reassures the world". Die "ruhige und entspannte Ansprache" habe dem internationalen Publikum "Sicherheit" und Vertrauen" eingeflößt, wird Professor Guo Tianyong von der Central University of Finance and Economics, zitiert. Andere Wissenschaftler wollen einen beruhigenden Effekt auf die Unternehmer festgestellt haben.
"China Daily": "Experts applaud Li's speech in Davos" schreibt China Daily nach der Rede des chinesischen Ministerpräsidenten. Dieser übt Kritik am Ausland, indem er "seine tiefe Sorge über eine mögliche Verschlechterung der Weltwirtschaft" zum Ausdruck bringt und die Staatsoberhäupter auffordert, gemeinsam etwas gegen die Stagnation zu tun. China wolle ein gesundes und stabiles Wachstum im Rahmen seines Wandels aufrechterhalten, verspricht er im Gegenzug, so der Bericht.
Die "Beijing Review" setzt das langsamere Wachstum in Relation zur Vergangenheit und kommt so zu einem positiven Fazit: China sei mittlerweile die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, daher bedeute selbst ein 7-Prozent-Wachstum eine stärkere Steigerung des BIP als das 10-Prozent-Wachstum vor fünf Jahren, wird Ministerpräsident Li zitiert. Unter Berufung auf ihn heißt es weiter: „China steht vor keinen regionalen oder systematischen Finanzrisiken. Eine harte Landung der Wirtschaft wird es nicht geben."
Hervorgehoben werden zudem die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt: Laut Statistiken des Statistikamts und des Ministeriums für Menschliche Ressourcen und Sozialabsicherung sei Chinas Verbraucherpreisindex 2014 um 2 Prozent gestiegen, es seien 13,22 Millionen Jobs in den Städten entstanden, mehr als die Zielvorgabe von 10 Millionen.
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