06-11-2014
China Reportage
Chinas tanzende Seniorinnen - leidenschaftlich und ziemlich laut
von Yuan Yuan

Gruppentänze zu hämmernden Beats sorgen für Unmut bei vielen Anwohnern.

Jeder kann mitmachen: Ein Mann leitet eine Tanzgruppe auf einem Platz in Ankang (Provinz Shaanxi), auch ein Paar Schüler sind an diesem 3. Oktober dabei (CFP)

Sportlicher Aktivismus: Square Dancer in Chongqing halten am 26. September ein Pappmodell des iPhone 6 hoch, das die Aufschrift trägt "Wir sind keine Apple-Fans, wir unterstützen chinesische Produkte." (CHEN CHENG)

Seitdem sie in Rente ist, macht Lin Qiaofen im Purple Bamboo Park von Beijing ihre Morgengymnastik. Seit sechs Jahren geht das schon so, aber erst seit kurzem weiß sie, dass diese beliebte Freizeitbeschäftigung chinesischer Senioren Square Dance genannt wird.

Zum ersten Mal hörte sie diesen Begriff von ihrem Enkel, der das Wort wiederum aus Nachrichten über die Aktivitäten von Seniorinnen in chinesischen Auslandscommunitys kennenlernte. "Ich war verwirrt, als ich den Begriff zum ersten Mal hörte, da wir ja gar nicht auf einem Platz tanzen, man sollte den Tanz vielmehr Parktanz nennen", meint Lin.

Rund 30 Frauen sind Mitglieder in Lins Tanzgruppe. Sie treffen sich jeden Morgen um 7 Uhr im Park, der Veranstalter bringt eine tragbare Musikanlage mit und kassiert jeden Monat 30 Yuan Gebühren. Neuen Mitgliedern erklärt er mit einfachen Worten den Tanz.

Als Lin vor sechs Jahren zur Gruppe stieß, tanzten sie hauptsächlich nach Liedern aus den 1980er Jahren oder noch älteren Songs, heute bewegen sie sich auch zu modernen Pop-Songs.

 

Rhythmus im Blut: Jeden Abend treffen sich Anwohner auf dem Bahnhofsplatz von Hangzhou (Provinz Zhejiang), um gemeinsam zu tanzen (HAN CHUANHAO)

Kein neues Phänomen

Square Dance gibt es seit fast 30 Jahren in öffentlichen Discos. Mit der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik wurde das Tanzen in der Öffentlichkeit zunehmend akzeptiert. Und Ende der 1980er Jahre war diese Form der sportlichen Betätigung in den Parks aller großen chinesischen Städte weit verbreitet.

"Die Bewegungen sind einfach und leicht zu lernen", sagt Lin. „Man braucht nicht viel Zeit, um die Schrittfolge zu behalten. Man muss einfach nur der Musik folgen."

"Square Dance ist eine gute Art, morgens ein wenig Sport zu machen und bereichert das Leben der Senioren", erklärt Jin Xing, eine bekannte chinesische Tänzerin. "Gruppen, die jeden Morgen fröhlich im Park tanzen, sind ein typisch chinesischer Anblick. Ich denke, andere Länder könnten hier von unserer Vorreiterrolle profitieren."

Tatsächlich scheinen Chinas Senioren erpicht darauf, diesen Teil ihrer Kultur weiter zu verbreiten. In den vergangenen Monaten gab es Berichte über chinesische Seniorinnen im Sunset Park in New York, auf dem Roten Platz in Moskau und vor dem Louvre in Paris, die Bilder zeigen uniform gekleidete Tänzerinnen, alle mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht.  

Lärm sorgt für Konflikte

Leider teilen nicht alle dieses Lächeln, viele sind eher verärgert über die Tanzgruppen. Anwohner beschwerten sich über den Lärm und in New York wurden die Square Dancer von der örtlichen Polizei aufgefordert, die Musik leiser zu stellen.

Dieselben Konflikte gehören auch in China zum Alltag. Wenn die Tänzer keinen Park oder eine freie Fläche weit weg von ihren Wohnungen finden können, wählen sie einen Platz in der Nähe ihrer Hausgemeinschaft.

"Ich bekomme jedes Mal Kopfschmerzen, wenn die Musik abends auf der Straße wieder angestellt wird", klagt Yang aus Taizhou (Provinz Jiangsu). "Sie fangen jeden Abend gegen 7 Uhr an, zu tanzen und es dauert mehr als eine Stunde. Ich kann meinen eigenen Gedanken dabei zuhören."

Sie habe mit den Tänzern gesprochen, aber nichts habe sich geändert, erzählt Yang, daher wandte sie sich dann an die örtliche Polizei. „Ein paar Tage lang war Ruhe, dann ging es wieder los", erzählt sie. „Was sollen wir da machen?" Im Sommer, bei geöffneten Fenstern, wird die Situation noch schlimmer. „Es hört sich an, als wenn sie direkt neben meinen Ohren tanzen", sagt sie.

Im November 2013 ließ ein Mann aus dem Beijinger Bezirk Changping drei tibetische Doggen auf eine große Gruppe Tänzerinnen los, die er dann nicht mehr aufhalten konnte. In Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei, legte ein Anwohner Glasscherben auf den Platz, um die Tänzer an ihren Treffen zu hindern. In Wenzhou in der Provinz Zhejiang brachten Anwohner gegen den Tanzlärm spontan 260.000 Yuan für einen Hochtonsprecher auf, um den Tanzlärm zu mildern. Damit erregte sie große Aufmerksamkeit. Am Ende willigten die Anwohner jedoch ein, das Richtverstärkersystem wieder zu entfernen.

"Ich finde, die Regierung sollte Square Dance in den Gemeinden verbieten und extra Plätze zum Tanzen zur Verfügung stellen", meint Shi, ein Mann aus Shanghai. "Es stört sehr, vor allem im Sommer."

Die Tänzer argumentieren dagegen, dass sie keine Alternative hätten. Hu Shuqin, eine Tänzerin aus Shanghai, erklärt, dass die „Tänzer einer Gruppe normalerweise Nachbarn sind, und wir müssen einen Treffpunkt in der Nähe finden. Aber es gibt keine Parks oder freien Plätze zum Tanzen. Wir haben keine andere Wahl."

Im Juni veröffentlichte Xi'an einen Gesetzesentwurf, der Square Dance von 22 Uhr bis 7 Uhr in Wohnvierteln verbietet. Wer gegen die Sperrstunde verstößt, muss eine Geldstrafe von 1000 Yuan zahlen.

Auf der Suche nach einer Lösung

Wissenschaftler der Universität Fudan in Shanghai haben ein Instrument zur Lärmreduzierung beim Square Dance erfunden, das sie einen „aktiven Richtlautsprecher" nennen.

"Dieses Gerät ermöglicht die Kontrolle der Schallwellen innerhalb eines bestimmten Gebiets. Innerhalb dieses Bereichs sind die Schallwellen stark, außerhalb werden sie schwächer und klingen ab. Damit wird der Square Dance die Anwohner nicht länger stören", erklärte Ma Jianmin, Professor am Fachbereich für Mechanik und Ingenieurswissenschaften der Universität Fudan.

Es wird jedoch noch Zeit brauchen, bis die Hightech-Erfindung in der Praxis eingesetzt wird. Einige Tänzer wollten nicht so lange warten und haben das Problem mit Bluetooth-Ohrstöpseln gelöst.

"Eines Abends spazierte ich durch mein Viertel und als ich um eine Ecke bog, musste ich fast schreien. Da tanzten Großmütter in mehreren Reihen vollkommen geräuschlos zusammen", erzählt ein Internetuser aus Chongqing. "Sie waren still und lächelten. Ich habe mir geschworen, nie wieder durch das Viertel zu spazieren. Der Anblick war zu gruselig!"

Ein Internetuser aus Beijing lobt dagegen die neuartige Lösung. „Diese Tänzer sind clever, und es scheint die beste Lösung für alle zu sein."