Die Ferien sind rum und alle Schüler Chinas drücken wieder die Schulbank. Alle Schüler? Nicht wirklich: Immer mehr Eltern setzen auf Hausunterricht, die Schule in den eigenen vier Wänden. In der öffentlichen Meinung genießt das staatliche Schulsystem immer weniger Ansehen, die Lehrmethoden gelten als hoffnungslos veraltet.
Ye Wanhong schwört auf die Schule zu Hause. Zwölf Jahre lang arbeitete sie als Chinesischlehrerin in einer Grundschule in Guangzhou im Süden Chinas. Aber selbst sie als erfahrene Lehrerin hatte große Probleme, für ihre Tochter einen geeigneten Kindergarten zu finden. Später wechselte sie häufig die Schule, auf die sie das Kind schickte. Letztes Jahr hatte sie dann die Nase endgültig voll: Sie nahm ihre Tochter von der staatlichen Schule und unterrichtet sie seither zu Hause. Ye erteilt dem Mädchen maßgeschneiderten Unterricht, der genau auf die Bedürfnisse, Stärken und Schwächen des Kindes eingehen kann.
Beim Hausunterricht scheiden sich die Geister: Befürworter werfen dem öffentlichen Schulsystem seine Fixiertheit auf Prüfungsleistungen vor, was die volle Entfaltung des Potenzials der Schüler behindere. Gegner des Hausunterrichts warnen hingegen davor, die Schüler dem normalen Schulbetrieb zu entziehen. Langfristig gebe dies Schwierigkeit beim Erwerb sozialer Kompetenz.
Vielfalt der Erziehungsmethoden
Pro
Xu Xunlei (www.zjol.com.cn):
Bereits in den 1990er Jahren hatte sich Zheng Yuanjie, ein bekannter Kinderbuchautor, dazu entschlossen, seinen Sohn Zheng Qiya zu Hause zu unterrichten. Er stellte für ihn sogar eigene Lehrbücher zusammen. Heute ist sein Sohn als Erwachsener ein erfolgreicher Geschäftsmann, der Buchläden betreibt, eine Zeitschrift herausgibt und eine Kette von Fotostudios eröffnet hat.
Chinas gegenwärtiges Bildungssystem tötet die Persönlichkeit der Schüler ab und macht sie unglücklich. Die Jugend steht unter zu großem Leistungsdruck, weshalb viele Jugendliche an Depressionen leiden oder gar Selbstmord begehen. Andauernd müssen Prüfungen abgelegt werden, die alle nur zur Vorbereitung auf die entscheidende Universitätsaufnahmeprüfung dienen. Am Anfang gibt es Kinder mit eigener Persönlichkeit, aber nach der Qual einer zwölfjährigen traditionellen Schulerziehung enden viele von Ihnen als überangepasste, untaugliche Charaktere. Sie wachsen ohne eine glückliche Kindheit auf und kommen schließlich an die Universität, haben zu diesem Zeitpunkt aber längst jedes Interesse und jede Begeisterungsfähigkeit für ihr Studium verloren.
Menschen sind nun einmal verschieden, also sollte auch das Bildungssystem verschiedene Wege anbieten. Es geht gar nicht so sehr um Hausunterricht, als vielmehr um die Frage, wie endlich das sture prüfungsorientierte Schulsystem zu überwinden ist.
Yuan Zheng (Yangcheng Evening News):
1997 hat China den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) unterzeichnet. Es heißt darin, dass Eltern für ihre Kinder in Übereinstimmung mit ihren religiösen und sittlichen Überzeugungen einen nicht-öffentlichen Schulbesuch wählen können. Privatschulen, und das Recht der Eltern, ihre Kinder auf derartige Schulen zu schicken, sollten respektiert werden.
Bildung muss auf unterschiedliche Arten stattfinden können, ob die Methode der Vermittlung herkömmlich ist oder nicht, sollte dabei keine Rolle spielen. Solange das Gesetz es nicht verbietet, sollte es Privatschulen erlaubt sein, jede Unterrichtsmethode anzubieten, die ihr geeignet erscheint. Auf diese Weise sind und bleiben Privatschulen der Motor einer jeden Bildungsreform.
Kontra
Luo Zhigang (www.cnhubei.com):
Aufgrund von Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Bildungssystem entscheiden sich einige Eltern für den Hausunterricht auf allen Bildungsebenen: Vom Kindergarten über die Grund- und Mittelschule bis hin zur Oberschule. Allerdings können sich nur reiche Familien leisten, einen effektiven und umfassenden Unterricht in den eigenen vier Wänden zu vermitteln. Die Mehrheit der Einwohner Chinas sind noch immer Bauern und auch die normal arbeitende Bevölkerung der Städte kann nicht die Zeit aufwenden, um sich den Anforderungen des Heimunterrichts zu stellen.
Auf den Hausunterricht abgestimmt ist das Privatschulsystem ein gewinnorientierter Wirtschaftszweig, der davon profitiert, dass sich einige Reiche von der Mehrheit der Menschen abheben möchten. Einzelpersonen und Organisationen haben damit begonnen, so genannte moderne Sishu (Sishu war private Einklassenschule im alten China) zu eröffnen. Erziehung ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft unseres Landes. Es ist daher erforderlich, diese Einrichtungen im Interesse eines gesunden Aufwachsens der Kinder angemessen zu beaufsichtigen.
Niu Xiaohua (www.cnr.cn):
Ich begreife nicht, warum sich Eltern für den Heimunterricht entscheiden. Ist es wegen ihrer Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Bildungssystem, das auf Examen setzt, oder glauben sie, dass das, was die Schule lehrt, falsch ist? In der Schule erwerben Kinder nicht nur Wissensinhalte, sondern auch die Kunst des Umgangs mit anderen. Schüler brauchen reichhaltige Aktivitäten mit ihren Schulkameraden auch außerhalb des Unterrichts, damit sie soziale Kompetenz erlangen. Die meisten Kinder im heutigen China sind Einzelkinder, deshalb brauchen sie besonders den Umgang mit Gleichaltrigen. Die Erfahrung des Schulbesuchs vermittelt also viel mehr als bloßes Bücherwissen.
Qingzuozheliao (bbs.longhoo.net):
Der größte Mangel des gegenwärtigen Bildungssystems ist der fehlende Respekt vor der Persönlichkeit der Schüler und Schülerinnen. Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, wollen die Entwicklung der Persönlichkeit ihrer Kinder fördern, und das ist ein großer Fortschritt. Allerdings haben diese Eltern nicht ganz verstanden, wie sich die Persönlichkeit eines Kindes entwickelt und was das Endziel der Erziehung sein sollte.
Die Persönlichkeit des Menschen kann sich nur in Interaktion mit anderen gesund entwickeln. Die Anhänger des Heimunterrichts legen großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder, aber woran es heute am meisten fehlt, ist der Respekt vor dem Mitmenschen. Auf die Vermittlung dieser Eigenschaft sollte das Hauptaugenmerk gelegt werden, sonst laufen wir Gefahr in Zukunft, in einer Gesellschaft ohne Liebe und gegenseitige Achtung zu leben.
Kinder zu Hause zu unterrichten ist eine blinde und gefühlsbetonte Entscheidung. Es mag ein oder zwei erfolgreiche Beispiele geben, aber für die Mehrheit der Schüler und Eltern wird der Hausunterricht kein gutes Ergebnis zeitigen. Auch wenn es wirklich in anderen Ländern Zehntausende von Kindern geben sollte, die zuhause unterrichtet werden, heißt das noch lange nicht, dass diese Unterrichtsmethode für chinesische Kinder geeignet ist.
Zheng Xiaoqi (Beijing Evening News)
Ob sie schließlich eine chinesische oder eine ausländische Hochschule besuchen, bleibt sich gleich, letztendlich werden auch Kinder, die zu Hause unterrichtet worden sind, dem Schulleben ausgesetzt sein, das von ihnen verlangt, mit anderen zusammenzuarbeiten aber auch im Wettbewerb zu stehen.
Wenn Kinder ein bestimmtes Alter erreicht haben, sind ihre Altersgenossen viel wichtiger für sie als ihre Eltern. Eine gesunde Entwicklung der Psyche erfordert das Zusammensein mit Klassenkameraden. Beim Hausunterricht fehlt es den Kindern an sozialer Interaktion. Deshalb ist der Hausunterricht kein Ersatz für einen normalen Schulbetrieb.
|