30-08-2011
China Reportage
Neuregelung des Eherechts: Mehr Fairness oder Benachteiligung der Frau?

LI SHIGONG

Seit dem 13. August ist die Neufassung des chinesischen Eherechts in Kraft. Für besonderes gesellschaftliches Augenmerk sorgten vor allem die neuen Artikel zur Eigentumsfrage von Immobilien im Scheidungsfall. Die Beijing Rundschau stellt die wichtigsten Neuerungen vor und lässt Befürworter und Kritiker zu Wort kommen. 

Seit dem 13. August gilt in China eine Neufassung des Eherechts. Der Gesetzestext, der 19 neue Artikel umfasst, wurde jüngst vom Obersten Volksgerichtshof des Landes veröffentlicht. Er bildet die neue Rechtsgrundlage für Chinas Gerichte.

Einer der neuen Artikel besagt: „Wenn ein Ehepartner mit einer Anzahlung vor der Eheschließung auf seinen Namen eine Immobilie erwirbt, und diese Immobilie nach der Hochzeit alleinig auf seinen Namen eingeschrieben bleibt, wird die erworbene Immobilie im Falle einer Scheidung als persönliches Eigentum des Käufers betrachtet. Die verbleibende Hypothekenlast gilt als persönliche Schuld des Hypothekengläubigers. Der Anteil der Hypothek, den der Nicht-Eigentümer während der Ehe gemeinsam mit dem Eigentümer beglichen hat, wird durch den Eigentümer der Immobilie an den Ehepartner zurückgezahlt." Kurz gesprochen: Vor der Ehe gekaufte Häuser oder Wohnungen gelten fortan als persönliches Eigentum. Das Geld, das ein Ehepartner zur Tilgung der Hypothek beigesteuert hat, wird im Scheidungsprozess in gleichem Verhältnis zurückgezahlt.

In einem weiteren Zusatz heißt es: „Wenn die Eltern von einem der Ehepartner eine Immobilie für ihr Kind erwerben und die Besitzurkunde alleinig auf den Namen des Kindes ausgeschrieben ist, wird die Immobilie im Falle einer Scheidung dem Kind zugesprochen. Wenn beide Elternpaare eines Ehepaares gemeinsam eine Immobilie für die Eheleute erwerben, wird die Immobilie anteilig zum jeweiligen Kaufbeitrag der Eltern gesplittet."

Immer mehr Scheidungsfälle vor Gericht

Diese beiden Artikel des überarbeiteten Eherechts, die sich direkt auf die Behandlung von Familienimmobilien im Scheidungsfall beziehen, haben die größte gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund in die Höhe schnellender Immobilienpreise und wachsender Scheidungsraten.

In den letzten Jahren hat die Zahl der Ehescheidungen in China stetig zugenommen, die Scheidungsrate stieg jährlich durchschnittlich um sieben Prozent. Allein im Jahr 2010 wurden 2,67 Millionen Paare geschieden. Entsprechend hat auch die Zahl der Scheidungsfälle, die vor Gericht landen, ständig zugenommen. Dabei treten vor allem zwei Streitfragen gehäuft auf, die die Eigentumsfrage betreffen: einerseits geht es dabei um Immobilien, die mit einer Hypothek belastet sind, andererseits um solche, die während der Ehe von den Eltern geschenkt wurden. Vor diesem Hintergrund und dem zunehmenden Druck aus der Bevölkerung wurde die Revision des Eherechts nach dreijähriger Vorbereitungszeit erlassen.

Bereits kurz nach der Veröffentlichung hatten die Neuregelungen eine heftige öffentliche Debatte ausgelöst. Die Befürworter des Gesetzestextes loben, dass Eheleute nun als gleichberechtigte Partner behandelt würden. Die neue Version zeige eine stärker moralische Ausrichtung des Eherechts und lege größeres Augenmerk auf die individuellen Rechte des einzelnen Ehepartners.

Die Gegner des Gesetzes bemängeln, dass das neue Gesetz Frauen zusätzlich benachteiligt würden, obwohl diese so oder so bereits eine eher unvorteilhafte Ausgangsposition innerhalb der Ehe hätten. Außerdem, so argumentieren die Kritiker, sollte sich in einer Familie nicht alles ausschließlich ums Finanzielle drehen. In einer Ehe ginge es auch um Werte wie Liebe. Regeln, wie sie im Geschäftsbereich gelten, seien deshalb in der Ehegesetzgebung unangebracht.

 

 

Die Beijing Rundschau stellt die Argumente und Standpunkte der Fürsprecher und Gegner der neuen Regelungen vor:

Yu Ge vom Nachrichtenportal Eeo.com.cn: „Eheleute sollten gleichberechtigte Partner sein."

„Die Revision des Eherechts gleicht einem riesigen Erdbeben, das die Familien im ganzen Land spüren. Die Neuerungen spiegeln eine neue moralische Ausrichtung des Eherechts. In der Vergangenheit hatte das Gesetz der Familienethik mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Heute kommt den Persönlichkeitsrechten der einzelnen Ehepartner eine viel wichtigere Rolle zu. Zwei Menschen, die eine Ehe schließen, sollten in erster Linie als zwei Individuen betrachtet werden, erst in zweiter Linie als Ehepaar. Das mag vielleicht hart klingen, aber nur so können die persönlichen Rechte des Einzelnen in größtmöglichem Maße geschützt werden. Die Neufassung des Eherechts spiegelt ein neues Rechtskonzept: Die Ehe wird nicht länger über ethische Maßstäbe definiert, sondern vertraglich geregelt.

Die 19 neuen Artikel werden die Auffassung der Menschen zum Thema Ehe verändern, heißt es in den Medien. Ich halte das für eine gute Sache. Eheleute sollten gleichberechtigte Partner sein. Die Eltern des Ehemanns rackern meist ein Leben lang, um ihrem Sohn eine eigene Wohnung kaufen zu können. Wenn die Ehefrau im Falle einer Scheidung dann das Recht erhält, die Hälfte der Wohnung einzubehalten, wäre das nicht äußerst unfair gegenüber dem Ehegatten und seinen Eltern?

Die Rechte beider Seiten in einer Ehe abzustecken, mag für all diejenigen unakzeptabel klingen, die glauben, in einer Ehe gehe es ausschließlich um romantische Gefühle. Aber für das Eherecht sollte es ein zentrales Ziel sein, klare gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen. Wer glaubt, darin eine Schieflage der Gesetzgebung zu sehen, der irrt. Vielmehr scheinen einige Menschen ein schiefes Ehe- wenn nicht sogar Weltbild zu haben."

 

Wang Guorong von den Qiangjiang Evening News:„Neuregelungen werden die Einstellungen zur Ehe verändern."

„Nach chinesischer Tradition ist es der Mann, der das Heim für die Familie kauft. Die Eltern sparen oft ein Leben lang, um ihrem Sohn und seiner Angetrauten eine Immobilie zu kaufen. Dass die Schwiegertochter im Falle einer Scheidung Anspruch auf die Hälfte der Wohnung hat, bereitete den Eltern bisher großes Kopfzerbrechen. Es ist wirklich traurig, dass heutzutage viele Frauen den Besitz einer eigenen Immobilie als Prämisse für eine Eheschließung betrachten, und wenn es zur Scheidung kommt, auch noch gerichtlich darum kämpfen, die Hälfte dieser Immobilie einzubehalten. Deshalb kann ich China zur Revision des Eherechts nur gratulieren; es schafft endlich klare Verhältnisse bei der Eigentumsfrage von Immobilien im Scheidungsfall. Die neue Gesetzeslage wird die gerichtlichen Streitfälle bei Scheidungen sicher um ein gutes Stück reduzieren.

Angesichts der wachsenden Scheidungsrate wird die Ehe zu einer immer unsicheren gesellschaftlichen Institution. Da die Eigentumsfrage der Familienimmobilie bisher ein schwieriger Punkt bei gerichtlichen Scheidungsstreitigkeiten war, ist es nur zu begrüßen, dass die Neufassung des Eherechts hier Klarheit schafft und diese Voraussetzungen auch allen Menschen vor der Heirat eindeutig bekannt gibt. Von dieser Perspektive her betrachtet, werden die Neuregelungen die Einstellungen der Chinesen zum Thema Ehe mit Sicherheit verändern. Zukünftig werden sicher mehr Frauen gewillt sein, einen Mann mit großem Potential zu heiraten, um gemeinsam mit ihm um eine glückliche und finanziell sichere Zukunft zu kämpfen, statt sich mit einem Nachkommen aus reichem Elternhaus zu vermählen. Diese neuen Ehebündnisse werden meiner Auffassung nach letztlich länger halten und generell glücklicher sein."

 

Li Kejie von Xinhuanet.cn: „Ehe und Familie sind kein Firmenbetrieb."

„Ich bin kein Befürworter der neuen Auslegung des Eherechts. Ehe und Familie kann man nicht mit dem Betrieb einer Firma vergleichen. Sie sollten nicht als eine Kombination von Vermögenswerten gelten, sondern als eine Verbindung von familiärer Liebe und Kapital. Die Liebe in einer Ehe ist etwas überaus Kompliziertes, das nicht einfach kalkuliert werden kann. Hinzu kommt, dass der Beitrag, den die Mitglieder innerhalb einer Familie leisten, sich nicht nur mit Geld bemessen lässt. Von daher sollten wir die Ehe nicht als Einkaufszentrum betrachten und die Marktgesetze des „Wer die Investition tätigt, erhält auch den Profit" auf sie übertragen. Andernfalls wird nur eine, nämlich die ohnehin stärkere Seite profitieren, die schwächere Seite bleibt auf der Strecke.

Die neue Auslegung des Eherechts steht stark im Geiste der Marktwirtschaft und orientiert sich an Regeln aus dem Businessbereich. Dem Faktor „Liebe" als bindendes Element innerhalb einer Familie wird in keiner Weise ausreichend Beachtung geschenkt. Tatsächlich geraten die Frauen durch die neuen Regelungen noch weiter ins Hintertreffen.

Außerdem wird ein Hauptproblem völlig außer Acht gelassen, nämlich die Unterstützung der älteren Generation. Sowohl in den Städten als auch auf dem Land wird das Problem der Altenversorgung immer dringlicher. Wenn das Familienheim nur einem Ehepartner gehört, sollte ihm dann nicht auch alleine die Pflicht der Versorgung der Alten obliegen? Es wird nun ein großes Problem sein, zu entscheiden, wer die Elterngeneration nach einer Scheidung unterstützen soll. Wenn das Haus oder die Wohnung nur einem der Ehepartner gehört und der andere Partner nur als temporärer Bewohner der Immobilie gilt, warum sollte die benachteiligte Partei dann noch die Last der Versorgung der Eltern beider Seiten schultern? Wenn man diese Gedankengänge weiterspinnt, werden die Menschen nach und nach immer weniger Familiensinn haben und sich immer weiter von einander entfernen.

Natürlich sollte die Gesetzgebung die Liebe bei der Regelung von Familien- und Eheangelegenheiten nicht überbewerten, aber auch der Aspekt des Besitzes von Eigentum sollte nicht der alleinige Maßstab sein. Was wir brauchen, ist eine vernünftige Bilanz zwischen beiden Aspekten."

 

Xu Feng von der Guangzhou Daily: „Eine klare Benachteiligung der Frauen."

„Die neuen Regelungen werden mehr Probleme aufwerfen, als sie lösen. Erstens werden Frauen von nun an als Prämisse für eine Heirat verlangen, dass sie mit auf die Eigentumsurkunde der Immobilie gesetzt werden. Das wird zu noch mehr Chaos in Scheidungsfällen führen.

Zweitens erhalten Männer durch die Neufassung noch mehr Schutz, als ihnen zustehen sollte. Auf den ersten Blick mag das Gesetz mehr Fairness suggerieren, tatsächlich aber verbirgt sich dahinter eine noch stärkere Ungleichbehandlung. Männer und Frauen haben eine ganz unterschiedliche Rolle innerhalb einer Familie, und auch unterschiedliche Pflichten und Rechte. Jede Seite leistet seinen ganz eigenen Beitrag. Die Frauen bringen die Kinder zur Welt und sind in China nach den gängigen Konventionen auch für die Erziehung der Kinder sowie die Hausarbeit zuständig. Diese weitgehend unsichtbaren Beiträge, die Frauen für die Familie leisten, führen meist unausweichlich dazu, dass sie nach der Hochzeit weniger Vermögen anhäufen. Wenn diese Beiträge im Scheidungsfall bei der Aufteilung der Güter nicht berücksichtigt werden – und das gilt auch für Immobilien, die vor der Ehe erworben wurden – ist das eine klare Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern.

Drittens und letztens bleibt da noch der offensichtliche Makel, dass die Neufassung mehrdeutig in Bezug auf die Wohnverhältnisse der Landbevölkerung bleibt, während sie die Eigentumsverhältnisse der Stadtbevölkerung klar regelt. Dabei macht in China die Landbevölkerung die große Mehrheit der Bevölkerung aus. Hierin besteht ein weiterer großer Makel der neuen Regelungen."