27-07-2011
China Reportage
Wege zum Wohlstand
von Wang Jun

Menschen in Nyingchi verdienen jetzt mehr, weil sie es verstanden haben, die örtlichen Gegebenheiten zu erkennen und Marktchancen zu nutzen.

Zimmer frei: Ein Gästezimmer im Haus von Tang Cering in Zhaxigang im Landkreis Nyingchi Von Wang Jiao

Im äußersten Südwesten des Autonomen Gebiets Tibet liegt der Landkreis Nyingchi. Er ist berühmt für seine spektakuläre Landschaft und seine ausgedehnten Wälder. In den letzten Jahren hat der Bezirk einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. 

Das Bruttoinlandsprodukt des Kreises Nyingchi ist von 2005 bis 2010 von 2,45 Milliarden Yuan (rund 264 Millionen Euro) auf 5,4 Milliarden Yuan gestiegen (rund 581 Millionen Euro), das durchschnittliche pro-Kopf-Einkommen der Bauern und Hirten hat sich von 2723 Yuan (293 Euro) auf 5410 Yuan (582 Euro) fast verdoppelt.

Der Erfolg der Leute aus Nyingchi gründet sich nicht auf ein einheitliches, von der Regierung vorgegebenes Muster. Die Wurzeln der günstigen Entwicklung liegen in zwei Dörfern, deren Bewohnern es gelungen ist, die eigenen Stärken auszuspielen und so auf der Grundlage lokaler Gegebenheiten ein ganz eigenes Entwicklungsmodell zu errichten.   

Blühender Tourismus

Lulang, der tibetische Name des Gebietes bedeutet "Ort, wo himmlische Wesen hausen", ist ein rasch wachsendes Tourismuszentrum mit unberührten Wäldern und Steppen, die jedes Jahr Zehntausende Touristen anziehen.

Das Dorf Zhaxigang liegt nahe einer Staatsstraße, es erfreut sich in letzter Zeit bei Touristen besonderer Beliebtheit, denn es ist leicht erreichbar und liegt inmitten einer herrlichen Landschaft. Es ist noch keine zehn Jahre her, als die Bewohner draufkamen, dass es sich lohnt, auf die Entwicklung des Tourismus zu setzen.

"Während der einwöchigen Ferienzeit zum 1. Mai 2001 kamen zufällig ein paar Touristen nach Zhaxigang und wollten bei den Einheimischen übernachten. Als sie am nächsten Tag abreisten, bezahlten sie für die Übernachtung", erzählt Punlha, ein Dorffunktionär, der Beijing Rundschau.

Die Hirten entdeckten auch ihre Pferde als Einnahmequelle: für einen kleinen Ritt auf deren Rücken wurde ein bescheidenes Entgelt gefordert. "Sie fanden schnell heraus, wie man an das Geld der Touristen kommen kann", erinnert sich Punlha.

Ab dem Jahr 2003 setzte die Lokalregierung auf die Entwicklung des Tourismus. Etwa zur gleichen Zeit eröffnete Tang Cering im Dorf ein Gästehaus. Einen Förderbetrag der Regierung in Höhe von 40 000 Yuan (4300 Euro) setzte er ein, um ein Zimmer seines Hauses herzurichten, das er mit sechs Gästebetten ausstattete.  Nach nur einem Jahr reichte ein Raum schon nicht mehr aus, um eine wachsende Zahl von Touristen aufzunehmen. Im Jahr 2006 baute Tang Cering mit Hilfe eines staatlichen Zuschusses in Höhe von 10 000 Yuan (1076 Euro) und 110 000 Yuan (11 836 Euro) aus eigener Tasche ein neues zweistöckiges Gebäude und erweiterte den Gästebereich.

2009 bot die Regierung den 22 Pensionswirten in Zhaxigang zinsbegünstige Kredite in Höhe von insgesamt 980 000 Yuan (105 056 Euro) zur Renovierung von Toiletten und Duschen an. Mit einem entsprechenden Kredit baute Tang Cering ein Badezimmer. Heißwasser lieferte fortan eine Solaranlage. Für einen zusätzlichen Aufenthaltsraum in seinem Gästehaus investierte Cering 50 000 Yuan (5380 Euro).

Jetzt verfügt seine Pension über 12 Zimmer mit insgesamt 24 Betten. Eine Übernachtung kostet dreißig Yuan (3,23 Euro). Legt der Besucher weitere dreißig Yuan drauf, bekommt er ein Abendessen dazu. Von Mai bis Oktober bewirtet Cering durchschnittlich 600 Touristen, an denen er bis zu 70 000 Yuan (7532 Euro) verdienen kann. Zählt man sein Einkommen aus der Landwirtschaft hinzu, so hat seine Familie im letzten Jahr mehr als 100 000 Yuan (10 760 Euro) verdient.

Nach Angaben der Kreisregierung nehmen die Pensionswirte von Zhaxigang jedes Jahr über 800 000 Yuan (86 080 Euro) ein.

Der Ausbau des Tourismus hat nicht nur das Einkommen der Dorfbewohner erhöht, sondern auch ihr Alltagsleben verbessert.

Früher wurde der Abfall einfach in der Landschaft entsorgt, aber seit der Aufnahme des Pensionsbetriebs werden Gebäude und Außenanlagen stets sauber gehalten. Als Pensionswirt hat Tang Cering heute mannigfach Gelegenheit, mit Besuchern aus dem ganzen Land zu reden. Dadurch hat er viel über die Welt außerhalb Tibets erfahren.

"Der Tourismus erlaubt es nicht nur den Besuchern, unsere tibetischen Sitten und Gebräuche kennen zu lernen, er hat auch meinen Horizont erweitert", sagt der 62-Jährige der Beijing Rundschau. "Bevor sie Fremdenzimmer vermieteten, haben sich die Dörfler nicht aufs Geschäft verstanden, heute aber sind sie geschäftstüchtig und aufgeschlossen", meint Punlha.

Wei Hong, Pressesprecherin des Kreiskomitees der KPCh in Nyingchi, teilt diese Einschätzung.

"Durch den Kontakt mit Touristen erfahren viele Dorfbewohner etwas über die Außenwelt. Sie werden in die Lage versetzt, aktuelle Ereignisse aus dem übrigen China und der Welt zu kommentieren", sagt Wei Hong.

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