
Der zehn Tage lang andauernde Verkehrsstau auf der Autobahn Beijing – Lhasa nordwestlich von Beijing hat China zum Gespött der Welt gemacht. Ausländische Medien gehen davon aus, dass dieser Stau der längste in der bisherigen Geschichte des Straßenverkehrs war. Verkehrsstaus rechneten sich bis zu diesem historischen Datum in Stunden, nun aber in Tagen! Cable News Network (CNN) riet den Amerikanern, sich glücklich zu schätzen, nur zur Rush hour Stoßstange an Stoßstange zu stehen. Eine neuseeländische Zeitung wünschte sich die Geburt eines Babys im Stau, als Symbol des Wirtschaftswunders, das China innerhalb von nur zwanzig Jahren zum Land mit dem zweitlängsten Straßennetz gemacht hat. Aber der gigantische Stau lässt ausländische Medien daran zweifeln, ob der Aufbau der Infrastruktur dem immer größeren Verkehrsaufkommen gewachsen ist. Wenn man daran denkt, das jedes Jahr in China eine Million Autos hergestellt werden, muss man sich tatsächlich fragen, ob der Straßenbau in China bei diesem Tempo mithalten kann.
Der längste Stau der Geschichte
„Sie machen sich noch Sorgen über den Verkehrsstau am Morgen? Seien Sie froh, dass Sie nicht in China sind!" So berichtete CNN am 23. August. Zu diesem Zeitpunkt stehen Tausende von Autofahrern schon seit neun Tagen auf der Autobahn Beijing-Lhasa im Megastau. Auf seinem Höhepunkt war dieser epische Verkehrsstau mehr als 100 Kilometer lang. Für die britische Tageszeitung „Guardian" war es der längste Stau in der Geschichte. Die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete, dass sich der Verkehr auf einigen Abschnitten der Autobahn Beijing - Lhasa seit Juni nur noch im Schneckentempo bewegte.
Am 24. August meldeten chinesische Medien, dass sich der Stau in Kürze auflösen werde. Aber wegen Bauarbeiten auf der Nationalstraße 110 bestehe in der Umgebung weiterhin Staugefahr. Internationale Medien mutmaßten nach diesem Bericht, dass der Stau noch einen Monat andauern werde.
Während dieser beispiellosen Verkehrslage richteten die ausländischen Medien ihrem Blick auf nervöse Autofahrer, geschäftstüchtige Anwohner und überforderte Verkehrsplaner. Der „Guardian" berichtete, dass die meisten Autofahrer sich ihrem Schicksal ergeben hätten. Sie vertrieben sich die Zeit durch Brettspiele und den Gebrauch von Spielkarten. Stimmen wurden laut, Musikgruppen für Open Air Konzerte zu organisieren. Die Anwohner profitierten durch den Verkauf von Lebensmitteln zu Höchstpreisen. Chinas Verkehrsplaner suchten hastig nach einer Lösung des Problems. Eine neuseeländische Zeitung witzelte darüber, das ein im Stau geborenes Baby gute Aussichten hätte, auch seinen ersten Geburtstag noch im Stau zu feiern. Aber die Zeitung riß nicht nur Witze, sondern berichtete durchaus ernsthaft über die wirtschaftlichen Folgen des Staus. So heißt es im Artikel, dass diese Autobahn die wichtigste Verkehrsader zwischen der chinesischen Hauptstadt und dem Autonomen Gebiet der Inneren Mongolei ist. Viele wichtige Versorgungsgüter für die Bewohner Beijings werden über diese Autobahn transportiert. Die „Financial Times" hält diesen Riesenstau für das Vorzeichen von Dingen, die noch kommen werden: Kein Wirtschaftswissenschaftler habe vorhergesehen, dass die angesteuerte Erschließung des chinesischen Hinterlandes zu einer chronischen Verstopfung der Verkehrswege führen würde. Die Versorgung Beijings mit wichtigen Gütern ist ins Stocken geraten, die gesamte chinesische Wirtschaft ist davon betroffen. Im Artikel heißt es noch, dass die Nebenwirkungen der chinesischen Wirtschaftsentwicklung wie Luftverschmutzung und der große Unterschied zwischen Arm und Reich bereits allgemein bekannt seien. Weil China heute der größte Automarkt der Welt sei, auf dem jedes Jahr fast zehn Millionen Autos verkauft werden, kommt jetzt noch das Problem von Verkehrsstaus ungeahnter Dimensionen hinzu. In ihrer Überschrift gebraucht die Financial Times das Wort „Monster-Stau". Allerdings dürfte der Stau gar nicht der längste in der Geschichte gewesen sein. 1995 hat es nach offizieller Verkehrsstatistik in Japan einen Stau von 154 Kilometern Länge gegeben. Allerdings ließ sich der viel schneller auflösen als in China: innerhalb eines einzigen Tages war er wieder verschwunden.
Warum dauert der Stau so lang?
Die rund 3710 Kilometer lange Autobahn zwischen Beijing und Tibet ist die wichtigste Verkehrsader Nordchinas. Sie beginnt in Beijing und endet in Lhasa, der Hauptstadt des Autonomen Gebiets Tibet. Sie windet sich durch Hebei, die Innere Mongolei, Ningxia, Gansu und Qinghai. Warum sich auf dieser Autobahn ein Stau ereignete, der über zehn Tage lang anhielt, ist eine schwer zu beantwortende Frage.
Die australische Zeitung „Herald Sun" sieht die Ursache für den Megastau in Instandsetzungsarbeiten auf der Nationalstraße 110: Das hohe Aufkommen vor allem des Lastwagenverkehrs wurde auf die Autobahn umgeleitet. Die LKW-Fahrer haben keine andere Wahl, denn nach Beijing führt kein anderer Weg. Im Stau fanden zudem reihenweise Unfälle statt. Dadurch verschlimmerte sich die Lage zusätzlich. Nach Auffassung eines Korrespondenten der BBC zeige dies, dass die chinesische Zentralregierung und die Kommunalverwaltungen unter großem Druck hinsichtlich Straßenwartung und Ausbau der Verkehrswege stehen.
Nach Expertenmeinung hat sich der Autobahnbau in China rasch entwickelt. Im Jahre 1988 wurde die erste Autobahn des Landes eröffnet, sie verband Shanghai mit Jiading. Gut zwanzig Jahre später ist das chinesische Autobahnnetz nach dem der USA nun bereits das zweigrößte der Welt. Duan Jinyu, der Leiter des Qinghua-Verkehrsinstituts für Stadtplanung, sagt zum Reporter der „Global Times", dass die Verkehrsplanung eine Gesamtlänge des chinesischen Autobahnnetzes von mehr als 100 000 Kilometern vorsieht. Damit wird das chinesische Autobahnnetz das der USA übertreffen, das lediglich 80 000 Kilometer aufweist. Er meint, dass die Anbindung Beijings an die Autobahn unweit Badaling schlecht gelöst ist. Aufgrund der topografischen Gegebenheiten ist eine Verbreiterung der Autobahn nur schwer möglich, zu beiden Seiten ist die Autobahn von Bergen eingefasst. Es gibt zuwenig andere Straßen, auf die die Autofahrer bei hoher Verkehrsdichte ausweichen könnten. Den unzähligen LKWs, die Lebensmittel und Kohle nach Beijing transportieren, bleibt fast nichts anderes übrig als dieses Nadelöhr zu passieren. Zwar wird fieberhaft an Ausweichstrecken gebaut, aber die Arbeiten erweisen sich wegen der topografischen und geologischen Verhältnisse als schwierig. Derzeit dient allein die Nationalstraße 110 als Entlastungsstrecke, von der auch reichlich Gebrauch gemacht wird. So sehr, dass Sanierungsarbeiten unumgänglich wurden, die aktuell mit Teilsperrungen der Strecke verbunden sind.
Institutsleiter Duan meint, man müsse jetzt lediglich die Autofahrer über die Medien dazu auffordern, die Strecke nicht zu nutzen und schon werde sich der Stau auflösen.
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