19-07-2010
China Reportage
„Nur ja nicht den Anschluss verlieren!“
von Christoph Karg

In allen Klassen werden verschiedene Medien eingesetzt.

Wenn man so viel Geld hinblättert, dann will man natürlich auch wissen, wie es um den Lernfortschritt des Nachwuchses steht. Nach jeder Stunde informieren sich die Eltern, wie weit es ihre Sprösslinge schon gebracht haben.

Ich frage Liu Wandan, ob sich die Eltern des Druckes bewusst sind, den sie auf ihre Kinder ausüben. „Viele Eltern sehen sich in einer Zwickmühle: einerseits wissen sie, dass soviel Druck nicht gut ist, andererseits haben sie Angst, dass ihr Kind den Anschluss verliert", meint Liu.

 Rose hat Englisch studiert. Die 24-jährige ist Lehrerin an der Schule und heißt mit richtigem Namen Jin Zhu. Seit einem Jahr unterrichtet sie Sieben- bis Achtjährige. Besonders am Herzen liegt ihr die Schaffung eines englischsprachigen Umfeldes: „Die Kinder sind dazu angehalten, Englisch zu sprechen, auch untereinander", sagt sie. Am Anfang sprechen viele Kinder untereinander noch Chinesisch, irgendwann gewöhnen sie sich aber an das Englische, erzählt sie.

Unaufmerksame Kinder habe sie nicht in ihren Kursen. Sie  erklärt sich das vor allem mit dem spielerischen Ansatz, den man hier anwende. „Jeder Kurs beginnt mit einem Lied." Anforderungen gibt es aber dennoch. Ihre Schüler müssen Hausaufgaben machen und in regelmäßigen Abständen Tests ablegen.

 Besuchen die Schüler gerne die Kurse? Eine siebenjährige Schülerin sagt mir, dass das Lernen hier gar nicht so anstrengend sei, und mehr Spaß als in der Schule mache. „Vor allem das Lernen am Computer mag ich, und das Lesen von Comics", sagt das Mädchen.

„Ich mag Englisch sehr gerne", fügt sie hinzu. So legt das eigentlich schüchterne Mädchen auch gleich los, als Liu Wandan es auffordert, ein Lied auf Englisch vorzutragen.

Die Bedeutung, die Eltern den Sommerkursen beimessen, lässt auf einen gestiegenen gesellschaftlichen Druck in China schließen. Bereits in der Grundschule werden die Weichen dafür gestellt, welche Universität man später besuchen kann. Auf diese Weise muss man immer einen Tick besser sein als die anderen. Es wäre also fatal, die kostbaren zwei Monate der Sommerferien zu verschwenden. Die meisten Eltern in chinesischen Städten haben nur ein Kind. Entsprechend richtet sich ihr ganzer Ehrgeiz auf dieses einzige Kind.

 Viele Eltern sind der Meinung, dass ihre Kinder außer Englisch auch noch andere Dinge lernen sollten: „Bevor sie in meinen Unterricht kommen, haben manche Kinder schon zwei Stunden Klavierunterricht hinter sich und können sich gar nicht mehr konzentrieren", berichtet mir ein Freund, der in Beijing an einer privaten Schule Deutsch unterrichtet.

In Deutschland kann man sich den Luxus des Faulenzens erlauben. Aller Wahrscheinlichkeit nach lässt nicht nur das eigene Kind alle fünf gerade sein: auch das Nachbarskind pfeffert mit Ferienbeginn das Mathebuch in die Ecke und geht Fußball spielen. So muss man keine Angst haben, dass der eigene Stammhalter im Vergleich zu anderer Leute Kind zurückfällt.

 Im Zuge der so genannten G8 Reform – der Verkürzung der Oberschulzeit um ein Jahr - mag sich auch in Deutschland einiges verändern und die Kinder künftig erhöhtem Druck ausgesetzt sein. Aber von Sommerkursen habe ich in Deutschland noch nichts gehört. Dort scheint die Beliebtheit von so genannten Ferientreffs, auf denen der Spaß im Vordergrund steht, ungebrochen. Es ist zu bezweifeln, dass eine private Englischschule in Deutschland viele Kunden hätte.

In China wird Bildung als stetiger Prozess begriffen. Wer eine Pause einlegt, fällt zurück. Lernen ist wie Rudern gegen den Strom, sobald man damit aufhört, treibt man den Fluss hinunter. Diese Denkweise von Konfuzius haben viele chinesische Eltern verinnerlicht. Sie werden ihren Kindern wohl auch in den nächsten Ferien einen Kurs bei EngTech bezahlen.

   <   1   2