11-09-2012
China und EU
Ein schwieriges Jahrzehnt leichter gemacht
von Kerry Brown

In der jüngsten Vergangenheit, in der Wen eine Schlüsselfigur auf der chinesischen Seite war, herrschte das Gefühl, dass die Zusammenarbeit von EU und China geradezu unvermeidbar sei. Der Schlüsselbegriff lautete „strategische Partnerschaft", ein Rahmenwerk auf das man sich 2003 einigte. Als die EU 2006 ihre China-Strategie überarbeitete, hielt sie dies in einem Dokument mit dem schlichten Titel „Die EU und China: Enge Partner, wachsende Verantwortung" fest.

Dennoch, dass es die EU bislang nicht zustande gebracht hat, China den Status einer Marktwirtschaft zuzusprechen und sich weigerte, das Waffenembargo aufzuheben, führte nicht selten zu Frustrationen. Es handelt sich um eine Beziehung, die größer, komplexer und notwendiger geworden ist, zu keiner Zeit aber war sie einfach zu handhaben, was nicht zuletzt auf die großen Veränderungen, die auf beiden Seiten stattfanden und den dynamischen Kontext, in dem sie agieren, zurückzuführen ist.

 

Praktische Zusammenarbeit

Der Hauptbereich, der zur Beurteilung der China-EU-Beziehungen herangezogen werden sollte, ist nicht die höhere politische Ebene. Viel bedeutender –  und das wurde bereits im Kommuniqué vom Februar erläutert und wird auch im Zentrum des Gipfels in Brüssel stehen – ist die praktische Gestaltung der Zusammenarbeit. In diesem Bereich schrieben die beiden eine überwältigend positive Geschichte. So haben etwa die Handelsbeziehungen dramatisch zugenommen: Nie zuvor haben China und die EU so viele Investitionen im jeweiligen Partnerland getätigt. Im Jahre 2002 waren chinesische Investitionen in der EU unerheblich, inzwischen spielen sie eine immer größere Rolle, was sich im Erwerb wichtiger europäischer Unternehmen widerspiegelt, darunter des schwedischen Autoherstellers Volvo und des britischen Energiekonzerns Thames Water. Kontakte zwischen der Bevölkerung auf beiden Seiten wurden etabliert und es gibt heute kaum eine Schule oder Hochschule in Europa und China, die nicht eine Verbindung zu Partnern auf der jeweils anderen Seite unterhält. Die Touristenzahlen in beide Richtungen schnellen in die Höhe. Europa bleibt ein beliebtes Ziel für chinesische Studenten, während umgekehrt auch die Zahl europäischer Studenten, die an chinesischen Universitäten studieren, stetig wächst. 

Beide Seiten arbeiten eifrig an der Vertiefung der Zusammenarbeit. Die Möglichkeiten für eine sehr viel umfassendere Zusammenarbeit in Bereichen von gegenseitigem Interesse sind das Erbe des vergangenen Jahrzehnts. Dazu gehören Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre sind sich beide darüber im Klaren, wo die Probleme liegen, und hegen keine unrealistischen Erwartungen mehr, die in einer beidseitigen Enttäuschung münden würden.

Führende europäische Politikerinnen und Politiker sagen durchwegs, dass sie Wert auf gute Beziehungen zu China legen und einer weiteren Integration und Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft und  globale Angelegenheiten begrüßen würden. Viele von ihnen aber sträuben sich ein wenig gegen die Vorstellung, dass sie China nun tatsächlich als gleichberechtigten Partner anerkennen müssen. Möglich, dass ihnen der Weitblick dafür fehlt, um sich vorstellen zu können, dass China eines Tages ein Innovationsland sein wird und damit auch ein Ort, der Menschen aus Europa anziehen wird, die wiederum den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften in bestimmten Sektoren und Teilen des Landes decken werden.

Das Verdienst  Wen Jiabaos war es, die kritischen Beziehungen in angespannten Zeiten aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass sie nicht aus der Spur geworfen werden. Kein leichtes Unterfangen, wenn man die Veränderungen des internationalen wirtschaftlichen Umfelds und die Nöte innerhalb der EU in Rechnung stellt. Jene Europäische Union, mit der er anfangs zu tun hatte, ist eine andere als heute. Durch die Aufrechterhaltung einer regen Verbindung leistete Wen einen signifikanten Beitrag zu den China-EU-Beziehungen. Die Europäische Union war manchmal ein durchaus komplizierter und mitunter frustrierender Gesprächspartner. Dennoch belegt die lange Liste gemeinsamer Interessen und Projekte, die im Februar erstellt wurde und diesen Monat mit ziemlicher Sicherheit weiteren Zuwachs erhält,  dass sich seine Arbeit gelohnt hat. Es wird nicht leicht sein, seinem Beispiel zu folgen. Für seine Anstrengungen in den letzten zehn Jahren wird ihm die EU-Spitze gewiss von ganzem Herzen dankbar sein.

 

 Der Autor  ist  Leiter des Zentrums für China-Studien an der University of Sydney und  Vorstand des von der Europäischen Union finanzierten Europe China Research and Advice Network (ECRAN).

 

 

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