Die zweite Reise der deutschen Bundeskanzlerin in diesem Jahr nach Beijing vertieft die deutsch-chinesischen Beziehungen
Angela Merkel und Wen Jiabao beim Probesitzen im 100. Airbus A320, Tianjin, 31. August 2012
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel machte am 31. August eine zweitägige Reise nach Beijing. Es war ihr zweiter Besuch in China in diesem Jahr und insgesamt ihr sechster als Bundeskanzlerin. Auch war es das dritte Mal in diesem Jahr, dass Merkel mit ihrem chinesischen Amtskollegen, dem Premierminister Wen Jiabao zusammentraf. Die Häufigkeit und Intensität der Treffen zwischen diesen Regierungschefs innerhalb so kurzer Zeit unterstreicht die wichtige Position beider Staaten in der jeweils eigenen Außenstrategie.
Während des Besuchs, der von einem deutlich großen Maßstab und hohen Niveau gekennzeichnet war und mit einem breiten Themenspektrum aufwartete, fand die zweite Runde der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt. Die deutsche Delegation nach China unter Leitung von Merkel war die größte der jüngeren Geschichte. Im Tross der Bundeskanzlerin waren sieben Minister, zwei Staatssekretäre und etwa 20 Führungskräfte großer Unternehmen, darunter Siemens, Volkswagen, BASF, Thyssen Krupp und die European Aeronautic Defense and Space Co. (EADS). Während ihres Besuchs führte Merkel Gespräche mit chinesischen Top-Beamten einschließlich Präsident Hu Jintao und Premierminister Wen.
Wesentliche Errungenschaft
Bevor Merkel nach Beijing abflog, beschrieben deutsche Regierungsvertreter in einer Pressekonferenz die deutsch-chinesischen Beziehungen zum ersten Mal als "spezielle Beziehung", was bedeutet, dass das bilaterale Verhältnis einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Der Begriff war bisher von Deutschland nur eingesetzt worden, wenn von seinen westlichen Alliierten die Rede war.
Deutschland ist eine exportorientierte Wirtschaftsmacht. Doch während Europa immer noch mit seiner Schuldenkrise hadert und die US-Konjunkturerholung ins Stottern geraten ist, befindet sich Deutschland in einer schwierigen Situation, in der ihre traditionellen Außenhandelsmärkte schrumpfen. Im Gegensatz dazu bietet China als weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft ein großes Marktpotenzial für deutsche Hersteller. In den neuen, im Februar veröffentlichten Leitlinien zur Außenpolitik Deutschlands erklärte die deutsche Regierung, sich auf die Beziehungen mit Schwellenländern zu konzentrieren. In der Zwischenzeit hat die Regierungskoalition auch gerade ihre Asienpolitik geändert. Die deutsch-chinesischen Beziehungen sind zu Deutschlands Top-Priorität in der Außenpolitik geworden, was sich am deutlichsten dadurch äußert, dass es drei Treffen zwischen Merkel und Wen innerhalb eines Jahres gab.
Beide Länder haben weiter die bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit gestärkt, die weithin als Generator und Stabilisator dieser Beziehungen betrachtet wird. Beide Seiten unterzeichneten 13 Kooperationsabkommen in verschiedenen Bereichen während Merkels Besuch. Chinesische und deutsche Unternehmen schlossen kommerzielle Verträge im Wert von annähernd sechs Milliarden Euro. Die Verträge sind von großer symbolischer Bedeutung für Deutschland, das vor Problemen wie einer äußeren Umwelt der Sparmaßnahmen und einem wirtschaftlichen Abschwung steht. Die unterzeichneten Geschäfte werden eine positive Rolle bei der Förderung der deutschen Wirtschaft und der Förderung deutscher Exporte spielen. Darüber hinaus betreffen die Verträge Branchen, an denen China interessiert ist, wie zum Beispiel Elektrofahrzeuge, Biotechnologie und Umweltschutz. Alle Sektoren, in denen es reichlich Gelegenheit für die beiden Länder gibt, suchen nach Win-Win-Kooperationen .
Der anhaltende Streit zwischen chinesischen und europäischen Photovoltaik-Unternehmen stellte in keiner Weise eine Barriere für den Dialog dar. Die deutsche SolarWorld reichte im Juli eine Beschwerde ein, um Strafzölle auf in China hergestellte Solar-Produkte zu erreichen. Wenn die Ermittlungen zu dem Fall beginnen, wird es der größte Handelsstreit zwischen chinesischen Unternehmen und ausländischen Unternehmen in Bezug auf die Gesamtsumme werden. Dank des hohen politischen Vertrauens und eines reifenden Streitbeilegungsmechanismus einigten sich beiden Seiten darauf, die Anti-Dumping-Frage durch Dialog statt durch Rückgriff auf Anti-Dumping-Verfahren zu lösen.
Merkels Reise hatte auch das Ziel, China zu zeigen, dass Europa entschlossen und in der Lage ist, das Problem der Schuldenkrise zu lösen. Im September wird das Bundesverfassungsgericht in Deutschland sein Urteil über die Machbarkeit des European Stability Mechanism (ESM), des dauerhaften Rettungsfonds der Euro-Zone, verkünden. Die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank sowie der IWF werden ebenfalls einen Evaluierungsbericht über den Stand der Reduktion des Haushaltsdefizits in Griechenland veröffentlichen. In gewissem Sinne ist die europäische Schuldenkrise an einem entscheidenden Punkt. Deshalb erwartet die deutsche Kanzlerin von China, eine positive Rolle bei der Bewältigung der Krise zu spielen.
Abgesehen davon, dass sie dem Wunsch Ausdruck verlieh, China möge mehr Anleihen der Eurozone kaufen, betonte Merkel, Europa habe nicht nur die Fähigkeit, die Krise zu überwinden, sondern die Krise könnte sogar die Integration Europas fördern. Sie hofft, dass die Außenwelt das Vertrauen in Europa wiedererlangt und ein stabiles und positives externes Umfeld für Erholung bietet. Chinesische Führer haben eine positive Reaktion auf Merkels Anliegen gewährt. Wen sagte, China sei bereit, weiterhin in Euro-Staatsanleihen zu investieren, solange es die Gewissheit erlangen könne, dass die Risiken unter Kontrolle sind. China habe Vertrauen in die europäische Wirtschaft, die Euro-Zone und den Euro, sagte er.
Nachdem die beiden Länder die durch Merkels Treffen mit dem Dalai Lama im Jahr 2007 verursachten Rückschläge überwanden, haben die deutsch-chinesischen Beziehungen eine gesunde Entwicklung erfahren, insbesondere in den letzten zwei Jahren. Die persönliche Freundschaft zwischen den Führern der beiden Länder setzt sich auch glatt fort, ein solides Fundament für eine umfassende Interaktion in der Zukunft. Da China vor einem Führungswechsel in den kommenden Monaten steht, könnte es das letzte Mal sein, dass Merkel von Wen in der Rolle des chinesischen Ministerpräsidenten empfangen wird. Während ihrer Wechselwirkungen in den letzten Jahren haben die beiden Regierungschefs eine enge persönliche Freundschaft entwickelt. Als Wen im April Deutschland besuchte, begleitete Merkel ihn während der gesamten Reise, auf der sie die Hannover Messe und den Hauptsitz von Volkswagen besuchten. Diesmal begleitete Wen Merkel in seine Heimatstadt Tianjin, um für einen weiteren, denkwürdigen Besuch der deutschen Kanzlerin zu sorgen. Darüber hinaus traf sich Merkel mit jüngeren Führern wie Vizepräsident Xi Jinping und Vizepremier Li Keqiang, die dazu beitragen, günstige Bedingungen für die künftige bilaterale Kommunikation zu schaffen.
Neue Felder der Zusammenarbeit
Die Volkswirtschaften von China und Deutschland ergänzen sich hervorragend. Neben ihrer traditionellen wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Schwerindustrie könnten beide andere Bereiche erkunden, die gegenseitig von Vorteil sind. Ausgehend von den Ergebnissen der jüngsten Runde von Konsultationen, dürften die beiden Seiten eine weitreichende Zusammenarbeit in mehreren neuen Bereichen durchführen.
Nach dem nuklearen Unfall von Fukushima im Jahr 2011 initiierte Deutschland eine grüne Energiestrategie und beschloss, alle Atomkraftwerke im Land bis zum Jahr 2022 zu schließen. Deutschland wird sich dann auf Solar-, Wind-und Bioenergie als Ersatz verlassen. Inzwischen ist das Land auf dem Weg, einen Durchbruch mit Elektrofahrzeugen zu machen. Da grüne Energie ein unvermeidlicher Trend der Zukunft ist, hat auch China in den letzten Jahren sein Engagement in diesem Bereich erhöht und große Fortschritte gemacht. Zum Beispiel wurde Chinas hocheffiziente Akku-Technologie auch auf dem deutschen Markt gut aufgenommen. Allerdings taucht auch Wettbewerb zwischen Unternehmen aus beiden Ländern auf. Als in China hergestellte Solarenergie-Produkte Preisvorteile aufwiesen, trafen sie auf Protektionismus in Deutschland. Tatsächlich aber haben China und Deutschland das Potenzial, sich gegenseitig bei sauberen und erneuerbaren Energien zu ergänzen. Deutschland hat technische Vorteile, während Chinas Lohnkosten relativ wettbewerbsfähig sind. Die große Nachfrage in China nach Produkten im Bereich neue Energiequellen bietet auch deutschen Produkten einen riesigen, potentiellen Markt. Beide Seiten können auch eine Zusammenarbeit in den Bereichen Umweltschutz, High-Tech-Transfer sowie Sicherheit der Energieversorgung verfolgen.
Der kulturelle Austausch spielt als Ergänzung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen eine wichtige Rolle bei der Vertiefung der gegenseitigen Freundschaft und der Förderung nichtstaatlicher Bindungen. Der kulturelle Austausch zwischen den Ländern fand in den letzten Jahren immer häufiger statt. Die dreijährige Kampagne "Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung" von 2007 bis 2010 verstärkte das gegenseitige Verständnis zwischen den beiden Kulturen. Es half auch dabei, die Zusammenarbeit bei Stadtplanung, Transport, Bau von Infrastruktur, Energieeinsparung und Verbesserung von kulturellen Einrichtungen und mehr nach vorne zu bringen.
Dieses Jahr markiert den 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Das Chinesische Kulturjahr in Deutschland, das am Anfang des Jahres 2012 eingeläutet wurde, bietet der deutschen Bevölkerung eine Chance, an verschiedenen chinesischen kulturellen Aktivitäten teilzunehmen und aus der Nähe einen wahrheitsgemäßen und lebendigen Blick auf China zu werfen. Diese kulturellen Aktivitäten haben wesentlich die Interaktion von Volk zu Volk erhöht, was den Weg für die bilaterale politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit ebnen wird. Darüber hinaus ist der kulturelle Austausch nicht nur auf die volkstümliche Ebene beschränkt. Es gibt viel Raum für die beiden, in Wissenschaft, Bildung, Gesundheitswesen und Technik voneinander zu lernen. Hochrangige Zusammenarbeit in diesen Bereichen würde die traditionelle Art der Zusammenarbeit durchbrechen und den bilateralen Beziehungen neue Vitalität verleihen.
Der Autor ist ein Forschungsrat des China Institute of Contemporary International Relations.
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