Dem grenzüberschreitenden Online-Handel gehört die Zukunft – sofern es gelingt, seine noch zahlreichen Probleme zu beheben.
Scannen und kaufen: Eine Frau scannt den QR-Code eines Produkts in einem international operierenden E-Commerce-Supermarkt in Hangzhou.
Florierender Handel: Die Zusteller von Joaye.com sortieren Paketen von ausländischen Online-Shops.
Lin Meijuan ist eine junge Mutter, die normalerweise ausländische Einkaufsagenturen mit dem Kauf von Milchpulver für ihr Baby beauftragt. Doch wenn sie daran denkt, wie sie von einem Chinesen in Australien betrogen wurde, kann sie ihren Ärger kaum verbergen. "Ich habe sechs Dosen Milchpulver von dem Online-Händler gekauft und musste fast einen Monat auf die Ware warten", erzählt sie.
Nachdem sie ihr Baby einige Tage mit dem Milchpulver gefüttert hatte, erkrankte es an Durchfall. „Als ich die Ware mit einem in Hongkong gekauften Pulver derselben Marke verglichen habe, merkte ich, dass ich eine Produktfälschung erhalten hatte, deren schlechte Qualität für den Durchfall meines Babys verantwortlich war", sagt sie.
Kunden mit ähnlichen Problemen wie Lin können künftig aufatmen. Der Staatsrat, Chinas Kabinett, bewilligte kürzlich die Einrichtung der ersten internationalen E-Commerce-Pilotzone auf Staatsebene in Hangzhou, der Hauptstadt der Provinz Zhejiang. Dort sollen ausländische Waren unter Zollverschluss gelagert und direkt nach der Bestellung an chinesische Kunden ausgeliefert werden.
Importierte Säuglingsnahrung, die aus der Testzone ausgeliefert wird, habe in der Regel eine chargenweise Qualitätsprüfung durchlaufen, Qualität und Sicherheit könnten entsprechend nationalen Standards garantiert werden, erklärte Zou Yongming, Vorsitzender der Shanghai Holyca E-business Co. Ltd.
Durch Steuerbefreiungen, Massenguttransporte und kürzere Entfernungen entstehen für chinesische Kunden außerdem geringere Kosten und kürzere Lieferzeiten, als wenn sie Einkaufsagenturen oder E-Commerce-Websites im Ausland mit der Auslieferung beauftragen.
Da die meisten ausländischen E-Commerce-Websites keinen Versandservice anbieten, müssen sich chinesische Kunden im Internet gekaufte Waren wie Milchpulver von Transfergesellschaften liefern lassen. Waren können dabei unterwegs beschädigt oder vertauscht werden und verloren gehen. Angesichts der Unsicherheitsfaktoren in der internationalen Logistik, bei der Zollabfertigung und der Besteuerung kann sich die Lieferzeit sehr in die Länge ziehen.
"Es dauert normalerweise mindestens zwei Wochen, bis Endverbraucher in China die Waren aus dem Ausland erhalten. Diese Zeit lässt sich mit international operierenden E-Commerce-Plattformen auf zwei bis drei Tage verkürzen", erklärte Huang Side, Geschäftsführer von Bermasde International Trade Chongqing Co. Ltd. „Außerdem ist das ökonomischer. Auf einer solchen Plattform zahlen Kunden nur 1.200 Yuan für einen Rasierer von Philips, der in chinesischen Geschäften 1800 Yuan kosten kann."
Seit 2013 hat die chinesische Regierung sieben Städten - Shanghai, Chongqing, Hangzhou, Ningbo in Zhejiang, Zhengzhou in der Provinz Henan sowie Guangzhou und Shenzhen in der Provinz Guangdong – versuchsweise erlaubt, internationale E-Commerce-Importdienstleistungen anzubieten.
Im März versprach Ministerpräsident Li Keqiang die Einführung einer vorteilhafteren Importpolitik und die Ausweitung des internationalen E-Commerce. Das Pilotprojekt in Hangzhou ist auch ein Zeichen dafür, dass Schwellenindustrien mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung erfahren.
"In drei bis fünf Jahren wird sich die Pilotzone in Hangzhou in ein Zentrum für E-Commerce verwandelt haben, das für seinen Unternehmergeist und seine Innovationen, seine Qualitätsdienstleistungen und seine Datentechnologie bekannt sein wird. E-Commerce, grenzüberschreitender Handel und umfassender Service werden eine gelungene Verbindung eingehen", erklärte Zhang Hongming, Bürgermeister von Hangzhou.
Die Entwicklung des E-Commerce werde nicht nur dazu beitragen, internationale Industrieketten umzuformen, sondern auch die Transformation des Wachstumsmodells von Chinas Außenhandel erleichtern, betonte Yang Guoxun, stellvertretender Direktor des Beratungskomitees für Staatliche Informatisierung. "Wenn die Versuchszone von Hangzhou Erfolg hat, kann das Modell auch von anderen Regionen übernommen und gefördert werden", so Yang.
Laut Statistiken des China E-Business Research Center erreichten Chinas Im- und Exporte 2013 ein Volumen von mehr als 4 Billionen Yuan, der Anteil des internationalen E-Commerce lag bei 3,1 Billionen Yuan, eine Steigerung von 31,3 Prozent im Vorjahresvergleich. Zudem prognostiziert der weltweite Handelsbericht des Handelsministeriums, dass die Branche auch weiterhin jährlich durchschnittlich um mehr als 30 Prozent wachsen wird.
Probleme bleiben noch
In den meisten Fällen kaufen Online-Shopper wie Lin keine großen Mengen ein, und eine einzelne Bestellung umfasst oft unterschiedliche Produkte. Für die internationalen E-Commerce-Plattformen kann in solchen Fällen vor allem die Zollabfertigung kompliziert und langwierig sein, noch dazu sind viele Waren einzeln verpackt und müssen während der Zollprüfung wieder ausgepackt werden.
Außerdem fehle noch ein vernünftiges Geschäfts- und Kontrollmodell für die Bezahlung, die Steuererstattung und die Abwicklung von Devisengeschäften, erklärte Han Feng, leitender Mitarbeiter bei Xi'an Haitaotong E-Business Co. Ltd. in Xi'an, der Hauptstadt der Provinz Shaanxi.
"International arbeitende E-Commerce-Unternehmen erwarten, dass jeder Aspekt der Transaktionen durch ein streng geregeltes Verfahren standardisiert wird", so Han. „Nur so können die Waren vom Zoll anforderungsgemäß vorbereitet, abgefertigt und ausgeliefert werden. Genau definierte Verfahrensabläufe können den Unternehmen eine Menge Sorgen abnehmen und sie können sich auf die Ausweitung ihrer Geschäfte konzentrieren."
Auf Empfehlung des Staatsrats sollen in der Pilotzone von Hangzhou technische Standards, Verfahrensabläufe sowie ein Kontrollmodell für Zahlungen, Logistik, Zollabfertigung, Steuererstattungen und die Abwicklung von Devisengeschäften ausgearbeitet werden.
"Im weitesten Sinne werden grenzüberschreitende E-Commerce-Transaktionen in B2B- und B2C-Geschäfte unterteilt. Zurzeit sind B2C-Geschäfte beliebter", erklärte Lei Ming, Marketingleiter der Shanghai Hank Business Consulting Co. Ltd.
Nach Ansicht von Zhang Hong, Leiter der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Management der Universität für Post und Telekommunikation in Xi'an in der Provinz Shaanxi, wird der B2C-Bereich aber schon bald mehr Marktanteile erobern. "Durch moderne Internettechnologien und den Trend zum personalisierten Verbrauch wird die Entwicklung hin zur Fragmentierung des Handels immer deutlicher", erklärte er.
Überwachung und Förderung
Da landesübergreifende E-Commerce-Geschäfte normalerweise in Echtzeit und sporadisch stattfinden, würden traditionelle Kontrollsysteme nicht funktionieren, erklärte Yang. Er fordert die Entwicklung eines ganz neuen Überwachungs- und Fördersystems.
Im August 2014 gab die Allgemeine Zollverwaltung das Dekret Nr. 56 bekannt, das klare Regeln zur Kontrolle der Ein- und Ausfuhr von Waren bei internationalen E-Commerce-Transaktionen aufstellt. „Die meisten Industrieverbindungen müssen nun durch politische Maßnahmen - Steuererhebungen, Zollabfertigungen und –erklärungen eingeschlossen - standardisiert werden", fordert Wang Xiaoxing, Analyst bei Analysys International, einem führenden chinesischen Internetberatungsunternehmen.
Die Mehrzahl der bestehenden Vorschriften im E-Commerce sei darauf ausgerichtet, Geschäftsaktivitäten und Unternehmen im Bereich des Handels zu regulieren, sie vernachlässigten Unternehmen, die unterstützende Dienstleistungen wie etwa eine logistische Integration anbieten, bemerkte Zhang Xiangli, Analyst bei iResearch, einem Marktforschungs- und Beratungsunternehmen in Beijing. "Damit die Entwicklung und Standardisierung des länderübergreifenden E-Commerce reibungslos verläuft, sollten die Behörden mehr Vergünstigungsprogramme zur Unterstützung von Dienstleistungsanbietern ins Leben rufen", forderte er.
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