16-08-2013
Wirtschaft
Investieren im Internet mit Alipay
von Nicholas Compton

Millionen Chinesen zahlen in die Cyberbank ein

Nur Tage, nachdem der chinesische E-Commerce-Gigant Alibaba Mitte Juni seine Online-Finanzplattform Yu'ebao ans Laufen gebracht hatte, überwies Liu Shaohua (24) mehrere Tausend Yuan von einem niedrig verzinsten Sparkonto, das angesichts der Inflation vor sich hindümpelte.

 Bei einer jährlichen Zinsrate von 4,5 Prozent (zum Vergleich: chinesische Banken gewähren 3,5 Prozent), keinerlei Anforderungen an eine Mindesteinzahlung und der Möglichkeit, Geld leicht und ohne Zahlung einer Kommission zu überweisen und abzuheben, habe er nicht lange überlegen müssen, um in Chinas neueste und angesagteste Investmentdienstleistung im Internet zu investieren, sagt Liu.

 "Es ist so einfach, in diesen Fonds zu investieren, das macht ihn so beliebt. Ich habe nicht viel Geld, da ich noch nicht arbeite. Aber mir gefällt es zu investieren und ich habe eine bestimmte Summe, die ich nicht sofort benötige. Das Geld bei Yu'ebao abzuheben ist genauso leicht, wie es einzuzahlen", erklärt Liu, der in Beijing lebt.

 

Positives Echo in der Öffentlichkeit

Er ist nicht der einzige. Innerhalb nur einer Woche gewann die Online-Plattform, die mit Alibabas Bezahlsystem Alipay (eine chinesische Version von Paypal) und mit der  Tian Hong Vermögensverwaltung in Tianjin zusammenarbeitet, eine Million User. Einen Monat später, Mitte Juli, waren es bereits 4 Millionen und mehr als 10 Milliarden Yuan (1,25 Milliarden Dollar) an Einzahlungen, hieß es.

 Yu'ebaos Beliebtheit ist explosionsartig gestiegen, vor allem weil die Verbraucher dem Mutterunternehmen Alibaba und dem Onlinebezahlsystem Alipay vertrauen. Alipay hat eigenen Angaben zufolge fast 600 Millionen aktive User in aller Welt (800 Millionen registrierte Accounts laut Unternehmenswebsite).

 Im vergangenen Jahr gingen 50 Prozent aller Paketlieferungen in China auf das Konto von Alibaba. Das Unternehmen mit Sitz in Hangzhou (Provinz Zhejiang) betreibt auch Taobao, Tmall und eine Menge anderer E-Commerce-Websites. Die Umsätze erreichten 163 Milliarden Dollar bzw. 2 Prozent des chinesischen BIP, hieß es in Stellungnahmen, die von Yahoo veröffentlicht wurden. Der US-Technikgigant besitzt 24 Prozent Anteile an Alibaba und gab Investoren mit dem letzten Geschäftsbericht einen kurzen Einblick in die Unternehmensfinanzen.

 "Chinesen vertrauen Alibaba als etablierter Finanzmarke und unterstützen Produkte wie dieses. Wenn alles schief gehen würde, würden sie darauf bauen, ihr Geld zurückzuerhalten; und wenn man Millionen anderer Einzahler hat, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit drastischer Regierungsmaßnahmen", erklärt Mark Tanner, Geschäftsführer  bei China Skinny, einem Online-Marktforschungsunternehmen in Shanghai.

 

Big player

Als Vorbereitung für eine mögliche Börsennotierung in den kommenden Monaten haben einige Finanzanalysten Alibabas Wert auf mehr als 100 Milliarden Dollar geschätzt. Damit wetteifert es mit Facebook, das im vergangenen Jahr auf 104 Milliarden Dollar geschätzt wurde, bevor es dann mit einem Wert von nur noch 16 Milliarden Dollar an die Börse ging. Das ist die höchste Evaluierung für ein Technikunternehmen und die dritthöchste aller Zeiten.

 Analysten können den schwindelerregend hohen Schätzwert mit dem explosiven Wachstum von Chinas Onlinehandel rechtfertigen. Nach Einschätzungen von McKinsey wird Chinas Internet-Einzelhandel mit Alibaba als Hauptmotor bis 2020 Umsätze von 420 Milliarden bis 650 Milliarden Dollar erreichen. Damit würde China die USA in den Schatten stellen und der größte Markt der Welt werden. Zurzeit liegt China mit Online-Umsätzen von 210 Milliarden Dollar im Jahr 2012 und einer jährlichen Wachstumsrate von 120 Prozent seit 2003 weltweit auf Platz zwei.

 Als er vor chinesischen Medien seine Pläne mit Yu'ebao und den Vorstoß in den Bereich der Finanzdienstleistungen verkündete, erklärte Jack Ma, Gründer und Geschäftsführer von Alibaba, "Chinas Finanzindustrie, vor allem das Bankwesen, dient nur 20 Prozent der Kunden, ich sehe 80 Prozent Kunden, die nicht berücksichtigt werden. Finanzdienstleistungen sollten eher dem Nicht-Fachmann dienen als ein Spiel in geschlossenen Kreisen zu  sein und selber Geld zu machen."

 

Risikofaktor

Trotz der enthusiastischen Reaktion der Investoren bestehen noch Unsicherheiten für Yu'ebao. Regulatorisch ist noch einiges in der Schwebe. Die China Securities Regulation Commission hat  noch keine Genehmigung erteilt, auch wenn Unternehmenssprecher verkündeten, die erforderlichen Papiere eingereicht zu haben. Yu'ebao riskiert sogar eine Geldstrafe wegen Zwangsschließung, falls es  diese Prozedur nicht schnell abschließen kann. Beobachter meinen jedoch, dass Alibaba und auch Alipay genügend Schlagkraft und Renommée haben, um die Genehmigung der Regierung zu erhalten.

 Außerdem gibt es ein gewisses Investitionsrisiko, weil die Einzahlungen unter Aufsicht von Tian Hong überwiesen werden, das Unternehmen investiert sie dann in verschiedene Fonds und Anleihen. Auch wenn lauthals ansehnliche Rendite verkündet werden, warnt das Kleingedruckte vor möglichen Verlusten.

 "Die Basis-Investitionen sollen relativ risikoarme Anleihen und Bankeinlagen sein, so dass das Risiko für den Kunden etwas geringer ausfällt", erklärt Zennon Kapron, Gründer von KapronAsia, einem Beratungsunternehmen für die Finanzindustrie. "Wenn wir an die jüngsten großen Misserfolge mehrerer Vermögensverwaltungsprodukte von Banken in Betracht ziehen, glauben wir, dass die Öffentlichkeit sich der Risiken bewusst ist, wie klein sie auch sein mögen."

 Bislang wurde Yu'ebao nur in China genutzt, eine internationale Expansion ist wegen bestehender Währungs- und Finanzverordnungen unwahrscheinlich.

 

 

Ausgezeichnetes Timing

Bis dato gab es abgesehen von den Vermögensverwaltungsprodukten der Banken nur wenig klar umrissene Anlageformen mit scheinbar niedrigem Risiko. Die Banken forderten eine Mindesteinlage von 50.000 Yuan (6250 Euro). Wer sein Geld frühzeitig zurückforderte, musste empfindliche Geldstrafen zahlen. Wegen ihrer explosionsartigen Zunahme und ungewissen Nachhaltigkeit werden diese Produkte nun überprüft. Alipays Yu'ebao erschien mit seiner attraktiven Rendite, sofortiger Liquidität und fehlender Grenzwerte für Einzahlungen unwiderstehlich.  Alles, was der User tun muss, ist einen Button anzuklicken, um überschüssiges Geld vom Alipay-Account in den Fonds zu überweisen und nochmals zu klicken, wenn er es wieder zurücküberweisen will. 

 "100 Millionen User zu gewinnen ist (für Yu'ebao) vorstellbar", sagt Li Xiaohui, Wissenschaftler bei den China Security News, und führt dafür Alipays Basis von mehr als 500 Millionen Usern an.

 "Es ist ein einfacher Vorgang, dem man nur schwer widerstehen kann. Das Geld liegt nur ungenutzt auf deinem Konto herum, warum es nicht in etwas mit einer kleinen Rendite investiert und es zurückgeholt wird, wenn du es brauchst?", sagt Li. User müssten nicht in der Lage sein, selber die Risiken  zu überblicken, da sie ihre Einzahlungen einer Fondsverwaltungsgesellschaft zum Investieren anvertrauen.

 Während Yu'ebao weiterhin versucht, Alipay-Nutzer dazu zu verleiten, wenigstens einen Teil ihres Geldes in den Fonds zu überweisen, wird es wohl nicht lange dauern, bis auch andere große Unternehmen die Online-Finanzbühne betreten, meint Kapron.

 "Es wird mit Sicherheit Nachahmer geben. So hat beispielsweise auch Tencent eine sehr große Kundenbasis sowie ein Zahlungssystem und könnte schnell in diesem Bereich aktiv werden", meint Kapron. Er glaubt jedoch nicht, dass Yu'ebao und potenzielle Nachahmer Einfluss auf die Beliebtheit von Vermögensverwaltungsprodukten der Banken haben werden. Die meisten Einlagen bei Yu'ebao stammten eher von brachliegendem Geld bei Alipay als "großen kurzfristigen Geldsummen", stellt er klar.

 Zurzeit ist es nicht möglich, Geld bei Yu'ebao abzuheben, ohne es zunächst auf ein Alipay-Account zurückzuüberweisen. Erst dann kann die Summe wieder einem Bankkonto gutgeschrieben werden. Dieser Extra-Schritt hat Liu Xiaohua nicht abgeschreckt, er will die Plattform lieber als jede andere Investitionsform weiter nutzen.

 "Wir kennen alle den guten Ruf von Alibaba und wir sind ziemlich begeistert und überrascht, diese Chance zu haben. Solange ich nicht Tausende von Yuan investiere, warum sollte ich da nicht weitermachen?", sagt Liu.