Mehr als 90 000 Mal wurde ein Foto weitergeleitet, das vor kurzem auf einem Mikroblog-Dienst gepostet worden war. Es zeigt chinesische Schriftzeichen, die auf einen wertvollen, mehr als 3000 Jahre alten Sandstein am Ostufer des Nil gekritzelt worden waren. Das Foto löste in der Öffentlichkeit großes Interesse und Empörung aus.
Online begann sofort die so genannte "Suche nach Menschenfleisch", so die wörtliche Übersetzung eines chinesischen Begriffs für die intensive Informationssuche im Internet mit dem Ziel, die Identität einer Person ausfindig zu machen. Die User wurden fündig, der Schuldige war ein Mittelschüler aus Nanjing in der ostchinesischen Provinz Jiangsu. Die Eltern des 15-jährigen Jungen entschuldigten sich später öffentlich für das unangemessene Verhalten ihres Sohnes in einer Zeitung der Stadt.
Auch wenn der Vorfall gewiss Aufmerksamkeit verdient, glauben viele, dass die Veröffentlichung persönlicher Daten angesichts des geringen Alters des Schülers unklug ist. Er sei möglicherweise nur dem Beispiel anderer gefolgt, meinen die einen, auch in China werden häufig Inschriften auf Sehenswürdigkeiten oder Bauwerken hinterlassen. Was auch immer zutreffen mag, als Jugendlicher sollte der Schüler Gelegenheit haben, aus seinem unangemessenen Verhalten zu lernen und es zu ändern.
Es folgen Ausschnitte aus Meinungsäußerungen:
Yan Guoya (Modern Express): Die Veröffentlichung persönlicher Daten eines Kindes im Internet ist juristisch gesehen eine Verletzung der Privatsphäre. Wenn jemand einen Fehler macht, was bringt es da, diese Person mit Hilfe rechtswidriger Handlungen zu verurteilen?
Nach Angaben der Eltern ist der Junge sehr gut in der Schule und sehr gehorsam, sogar etwas schüchtern. Ihm ist offensichtlich immer noch nicht klar, wie viel Aufmerksamkeit sein Abenteuer in Ägypten erregt hat. Sollte er jedoch das Ausmaß seines Handelns begreifen, könnte die psychologische Belastung groß werden.
Der Vater hat die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass man seinen Sohn in Ruhe lässt und die Gesellschaft ihm Toleranz entgegenbringt.
Zi Feng (Wanbei Morning Post): In China ist es nicht ungewöhnlich, auf Sehenswürdigkeiten Graffiti zu finden. So etwas erregt hier kaum Aufsehen, aber wenn so etwas in Ägypten passiert, wird ein Riesenaufheben gemacht.
Zunächst einmal repräsentiert der Teenager nicht die gesamte chinesische Gesellschaft. Der Junge ist wahrscheinlich davon beeinflusst worden, was er daheim oder woanders gesehen hat. Ohne Aufsicht oder Warnungen ist es leicht für ein Kind, sich während einer Auslandsreise mit ein paar hingekritzelten Schriftzeichen zu verewigen. Es gibt wirklich keinen Grund für so einen öffentlichen Aufschrei. Chinesische Touristen sind außerdem nicht die einzigen, die sich so verhalten.
Zweitens handelt es sich nur um einen Teenager. Der Junge sollte die Chance erhalten, seinen unüberlegten Fehler zu korrigieren. Auch wenn sich seine Eltern für sein Verhalten entschuldigt haben, kann die Veröffentlichung persönlicher Informationen im Internet negative, vielleicht sogar gefährliche Folgen für ihn haben. Schlimmer noch, der Hackerangriff auf die Website seiner Grundschule ist ebenso ein Gesetzesverstoß. Mit Gewalt auf Gewalt zu reagieren wird sich die Situation nur verschlimmern und wenig zur Anhebung der Moral beitragen.
Wir wollen sicher nicht, dass der Vorfall das Leben des Jungen ruiniert. Ist es nicht wichtiger und notwendiger, über Wege zu sprechen, mit denen man schlechte Angewohnheiten ändern und den Schutz von Kulturdenkmälern verbessern kann, als solche kleinen Vorfälle unnötig aufzublasen?
Chen Guangjiang (Lanzhou Morning Post): Viele Chinesen schämen sich für das Verhalten des Jungen in Ägypten. Die öffentliche Empörung hat seitdem sogar dazu geführt, dass persönliche Details im Internet auftauchten. Obwohl sich die Eltern für den Fehler des Sohns entschuldigt haben, bleibt der Vorfall ein heißes Eisen. In den anschließenden Diskussionen ging es um den Mangel an moralischer Disziplin und Rechtsbewusstsein.
Tatsächlich ist es falsch, einen Jungen wegen eines unbedachten Fehlers im Namen der Moral zu tadeln. Auch wenn sein Verhalten nicht richtig war, verletzt die Veröffentlichung seines Namens und Geburtstags sein Recht auf Privatsphäre.
Die Kritik wird Graffitis in China nicht stoppen können. Dem Jungen seinen Fehler zu vergeben und ihm die Chance zu geben, sich zu bessern, ist eine Chance für seine Mitbürger, über ihr eigenes unmoralisches Verhalten in der Öffentlichkeit nachzudenken. Dies sollte keine Gelegenheit sein, einen Jungen zurechtzuweisen, sondern angemessenes Bewusstsein für den Schutz von Kulturdenkmälern zu wecken und das Benehmen bei Reisen im In- und Ausland zu verbessern.
Qing Chuan (www.voc.com.cn): Zunächst einmal müssen wir zugeben, dass das Internet heutzutage wirkliche große Macht hat. Sich zu verstecken ist unmöglich. Da ich bei der Jagd nach dem Namen des Jungen mitgemacht habe, begann ich schnell, mich schuldig zu fühlen.
Zuallererst muss man sich der Fakten vergewissern. Zweitens ist der Vorfall kein bisschen einzigartig. Touristen haben viele Jahre lang ihre Spuren an historischen Orten wie dem Palastmuseum und der Großen Mauer hinterlassen, ohne dass ihre Identität bekannt gemacht wurde oder eine „Suche nach Menschenfleisch" begann. Wenn so etwas außerhalb Chinas passiert, zeigen sich Leute schnell empört. Ist das ein Ausdruck von Patriotismus oder fehlendem nationalen Selbstbewusstsein? Drittens, was macht es für einen Sinn, einen Jungen so der Öffentlichkeit auszusetzen? Er ist nur ein 15-jähriger Junge, für den Graffitis wahrscheinlich keine große Sache sind, sondern nur eine Art, sich auf kreative Weise auszudrücken. Ist sein Verhalten die Folge schlechter sozialer Vorbilder? Warum also stattdessen nicht die Erwachsenen kritisieren?
Die Veröffentlichung persönlicher Daten ist ein Gesetzesverstoß und wirkt sich traumatisierend aus. Versuchen wir dem Jungen zu helfen oder ruinieren wir sein Leben? Und wo ist die sonst zur Schau gestellte Toleranz gegenüber Graffitis hin?
Andere zu verurteilen, ist immer leicht. Aber wer sagt, dass wir immer Recht haben? Wenn wir andere beurteilen, berücksichtigen wir da auch immer unser eigenes schlechtes Verhalten?
Die "Suche nach Menschenfleisch " ist extrem heuchlerisch und wird soziale Bemühungen behindern, die auf das Prinzip des Rechtsstaats abzielen.
Es ist nichts Falsches daran, an Mitbürger zu appellieren, sich angemessen zu verhalten, um historische und kulturelle Denkmäler zu schützen. Dennoch darf man nicht zu weit gehen. Online-Aktionen wie die „Suche nach Menschenfleisch" sind bislang nicht reglementiert und zeigen, in welchem Ausmaß Informationen mittlerweile erhältlich sind. Da der technologische Fortschritt Leuten den Zugang zu allen möglichen Details leicht macht, muss das Gesetz gebührend auf den Plan treten. Die uneingeschränkte „Suche nach Menschenfleisch" könnte Moral und Werte der Gesellschaft aushöhlen, was Zeichen für einen Rück-, statt Fortschritt wäre.
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