15-11-2010
Gesellschaft
Sechste Volkszählung in China: Neue Herausforderung
von Xu Bei

 

2. November 2010, Wolfgang Schaub, ein Deutscher in Beijing, erzählt beim Mittagessen in der Kantine einigen Landsleuten davon, dass er am Vortag in seiner Wohnung „gezählt" wurde. Wolfgang Schaub arbeitet derzeit als Redakteur bei „China Heute", einer deutschsprachigen Webseite mit Sitz in Beijing.

Um 0.00 Uhr am 1. November begann in China die sechste nationale Volkszählung. Im Rahmen der Volkszählung werden Namen, Geschlecht, Alter, Beruf sowie Bildungsgrad eines jeden Bürgers erfasst. Ebenfalls registriert werden die Versicherungs- sowie die Wohnsituation der Befragten.

Bei der sechsten Volkszählung werden erstmals auch die in China lebenden Ausländer mit berücksichtigt. „Mit Chinas Öffnung kommen immer mehr Ausländer aus verschiedenen Gründen nach China", sagt Zhan Zhenwu, Experte der Beratungsabteilung für die sechste nationale Volkszählung beim Staatsrat.

Wolfgang Schaub sagt, dass vor 23 Jahren eine Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurde. Allerdings war das seinerzeit auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen, weil die Bürger dem Vorhaben äußerst skeptisch gegenüberstanden: „Damals waren viele gegen die Volkszählung, weil sie den Zweck der Datensammlung nicht einsahen und nicht akzeptierten, dass die Daten der Volkszählung mit den Melderegistern abgeglichen werden sollten. Man kann sich gut vorstellen, was für eine große Herausforderung die Volkszählung für China ist. Ich glaube, die ganze Welt interessiert sich dafür, wie viele Menschen es jetzt in China gibt", sagt er.

 

Doppelzählung unregistrierter Bürger

Im Prozess der Urbanisierung sind Tausende von Wanderarbeitern in die Städte gezogen. Normalerweise sind diese Leute nicht gemeldet und haben keinen festen Wohnsitz, was die Volkszählung erheblich kompliziert.

„In Beijing gibt es zahlreiche Wanderarbeiter, die mehrheitlich über keinen festen Wohnsitz verfügen und sich bei der Stadtverwaltung nicht angemeldet haben. Wenn zum Beispiel ein Arbeiter die Wohnung einer Familie im Stadtteil Haidian ausbaut, dann wohnt er meist in dem Rohbau, an dessen Ausstattung er arbeitet. Wenn er morgen ein anderes Projekt im Bezirk Chaoyang aufnimmt, dann wird er sicherlich dorthin umziehen. Um möglichst genaue und verlässliche Daten zu bekommen, müssen wir selbstverständlich die Wanderarbeiter in unserer Stadt zählen. Allerdings ist das wegen der hohen Mobilität der Arbeiter sehr schwierig", sagt Cui Weiwei, Vize-Leiterin des Volkszählungsbüros von Yongwai im neuen Dongcheng-Bezirk.

Hinzu kommt, dass viele Wanderarbeiter in Wohnheimen untergebracht sind, die ihnen von ihren Arbeitgebern zur Verfügung gestellt werden. Um Kosten zu sparen, herrschen in den Wohnheimen oft inakzeptable Bedingungen. Die Einhaltung von Brandvorschriften und der Gesetze zum Schutz der Arbeiter lassen dort sehr zu wünschen übrig. Aus Furcht vor der Aufdeckung von Missständen wollen viele Arbeitgeber keine Informationen über die von ihnen beschäftigten Wanderarbeiter preisgeben. Auch das ist ein großes Hindernis für die erfolgreiche Durchführung der Volkszählung. Trotz der offensichtlichen Schwierigkeiten bei der Zählung der Wanderarbeiter legt die Regierung großen Wert auf die statistische Erfassung gerade dieser Bevölkerungsgruppe: „Ohne die Feststellung der korrekten Zahl der ungemeldeten Einwohner wäre die aktuelle Volkszählung ein Misserfolg. Denn in China ist die Fluktuation der Einwohnerschaft ein Massenphänomen, in das Millionen Menschen involviert sind. Wir müssen durch die Volkszählung verlässliche Daten auch und gerade über Bürger gewinnen, die polizeilich nicht gemeldet sind, um realistische Rückschlüsse auf die demographische Entwicklung des Landes in den kommenden zehn Jahren ziehen zu können", meint Cui.

Cui erläutert die Methode, mit der tragfähige Daten ermittelt werden sollen: „Alle Menschen, die vom 1. bis 10. November in jeder einzelnen Wohnung innerhalb eines Verwaltungsgebiets anzutreffen sind, werden von uns gezählt. Der Zähler befragt die Leute nach ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort und nach dem Ort, an dem sie polizeilich gemeldet sind. Wer in dem Verwaltungsgebiet, in dem er angetroffen wird, nicht registriert ist, wird an dem Ort, wo er offiziell gemeldet ist, noch einmal gezählt. Die beiden Zählvorgänge werden dann im Computer zusammengeführt. So sind wir in der Lage, festzustellen, wie viele Wanderarbeiter es tatsächlich gibt und von woher sie stammen", sagt Cui.

 

Mangel an Vertrauen erschwert die Zählung

„Im Vergleich zu den 80er und 90er Jahren, als die Leute extra zu Hause blieben, um auf die Volkszähler zu warten, sieht es heute mit der Kooperation der Bevölkerung ganz düster aus", sagt Duan Baocheng, Leiter des Volkszählungsbüros in Yongwai-Gemeinden im neuen Dongcheng-Bezirk.

Liu Lianying ist 50 Jahre alt und an der aktuellen Volkszählung als Zählerin beteiligt. In ihrem Bezirk hat sie es zu einer kleinen Berühmtheit gebracht, weil ihr sogar von hartnäckigen Verweigerern der Volkszählung schließlich Zutritt in ihre Wohnungen gewährt wurde.

„Oft höre ich hinter der Wohnungstür das Geräusch des Fernsehers, aber keiner öffnet die Türe. Solche Familien suche ich immer wieder auf und erkläre ihnen geduldig, warum es wichtig ist, bei der Volkszählung mitzumachen. Gerührt von meinem Beharrungsvermögen und überzeugt von meiner Aufrichtigkeit haben selbst die hartnäckigsten Verweigerer schließlich die Waffen gestreckt und mir doch noch die Tür geöffnet", erzählt Frau Liu.

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