17-07-2012
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Chinas Modebranche – Bald den Kinderschuhen entwachsen?
von Judith Hagenhofer

New Silk Road – so heißt Chinas größte und älteste Modelagentur. Die Vizepräsidentin Judy Tao lässt die Beijing Rundschau einen Blick hinter die Kulissen werfen

Der Markenname New Silk Road ist vielen Chinesen ein Begriff; sie verbinden damit automatisch eine Modelagentur. In Europa ist die Marke weniger bekannt und löst eher Assoziationen zur ursprünglichen Seidenstraße aus. Diese hat seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert als Handelsweg zwischen Ost und West auch eine Brücke zwischen den Kulturen hergestellt. In Anlehnung daran versteht sich auch die New Silk Road als eine Plattform zur Verbreitung der chinesischen Kultur.

 

„Wir zeigen der Welt Chinas neues Image!"

Eine Veranstaltung der Modelagentur New Silk Road heißt Ganzhi Zhongguo, was man etwa mit „China wahrnehmen" übersetzen kann. Sie ist Teil der Werbeoffensive der chinesischen Regierung. Seit 1999 wird jedes Jahr ein anderes Land bereist: Einige Tage lang gibt es auf öffentlichen Plätzen Modeschauen und Partys. Deutschland, Frankreich, die USA und Südafrika waren alle schon Schauplätze von Ganzhi Zhongguo.

Heuer gab es die Veranstaltung anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Japan in Tokyo. Der Japan-Aufenthalt stand ganz im Zeichen der Kommunikation zwischen den beiden Ländern. Auf dem Laufsteg wurden chinesische und japanische Elemente harmonisch kombiniert und präsentiert. Models und Leiter waren Chinesen, für Make-up und Haartracht waren Japaner verantwortlich. Außerdem wurden beliebte japanische Bands eingeladen, um die Shows akustisch zu untermalen. Während in westlichen Ländern eher die traditionelle Kleidung einen zentralen Bestandteil dieser Veranstaltung ausmacht, wurde in Japan diesmal vor allem modernes Design präsentiert.

Die Vizepräsidentin von New Silk Road, Judy Tao, versteht Ganzhi Zhongguo als eine Plattform, mit deren Hilfe der Welt Chinas neues Image gezeigt werden soll. „Viele Länder halten China für unterentwickelt und verschlossen. Die chinesische Regierung möchte dem entgegenwirken und das echte China zeigen, das neue Image von China."

Die gute Beziehung der Modelagentur zur chinesischen Regierung spielt eine tragende Rolle. Wie so viele Unternehmen war New Silk Road einst ein Staatsbetrieb: „Da wir früher Teil des Ministeriums für Textilindustrie waren, wissen wir, was die Regierung will. Das war keine alltägliche Veranstaltung, es ging nicht nur um Kunst und Performance, sondern auch um Politik. Daher war die Vorbereitung sehr zeitintensiv. Aber wir sind stolz darauf, dass wir mithelfen konnten, Chinas Image zu fördern."

Neben Ganzhi Zhongguo veranstaltet New Silk Road unter anderem Events für Politprominenz und Modelwettbewerbe für Kinder und Senioren sowie für ethnische Minderheiten. Frau Tao betont die positiven Auswirkungen auf die chinesischen Veranstaltungsorte dieser Schönheitswettbewerbe. Durch die Wettbewerbe würde Aufmerksamkeit auf die oftmals eher abgeschiedenen und wenig entwickelten Gegenden gelenkt und der lokale Tourismus angekurbelt werden. Die Wettbewerbe werden von den Lokalregierungen unterstützt, die ja auch den örtlichen Tourismus stärken wollen. Frau Tao bezeichnet die Zusammenarbeit als eine „Win-Win-Situation".

 

Von bloßer Produktion zur Innovation: Evolution der Modebranche Chinas?

„Der chinesische Modelmarkt steckt noch in den Kinderschuhen, aber er wächst", so Frau Tao. In Ländern wie Frankreich oder den USA würden Models als Profis behandelt werden, während der Weg zur Professionalität in China noch weit wäre. Das würde damit zusammenhängen, dass Modeln und Casten hierzulande noch keine festen Regeln hätten. Die Modebranche sei in China noch nicht stark genug, da der Fokus noch immer die Produktion und nicht das Marketing sei: „Wir haben keine eigenen starken Marken. Das hängt auch mit dem Recht auf geistiges Eigentum zusammen, das hier noch immer nicht ausreichend gesichert ist."

Die Tatsache, dass neureiche Chinesen eher auf westliche Luxusmarken versessen sind als auf chinesische Labels, sieht Frau Tao als ein Stadium an, das überwunden werden kann. „Unser ganzes Land, besonders die Modebranche, verändert sich gerade hin zu mehr Kreativität. Wenn man keine eigenen großen Marken hat, hat man auch kein Mitspracherecht in der internationalen Modewelt. Das wollen wir ändern", gibt sie sich optimistisch.

Verstärkt wird die Problemlage dadurch, dass viele chinesische Firmen westliche Models bevorzugen, um ihre Produkte zu präsentieren. Denn westliche Gesichter oder Namen geben einem Produkt den Anschein von Exklusivität. Handtaschen von Dior oder Chanel haben eben einen Wiedererkennungswert, den chinesische Marken (noch) nicht aufweisen können.

Frau Tao sieht auch die vielen Fake-Designerprodukte als ein Symptom des Anfangsstadiums der Modebranche. „In Japan konnte man eine ähnliche Entwicklung beobachten. Möglicherweise ist das Kopieren das erste Stadium, durch das man dann mehr Erfahrung bekommt, um im nächsten Stadium selbst etwas erfinden zu können. So wird der kreativen Phase der Weg geebnet. Ein Baby muss schließlich auch erst einmal durch das Vorbild der Eltern lernen, bevor es seine eigenen Ideen entwickeln kann."

Um das Netzwerk der chinesischen Modebranche zu verbessern, plant New Silk Road unter anderem ein eigenes Ausbildungsprogramm für Modefotografen, -friseure und -designer. Frau Tao hat bereits 2005 gemeinsam mit dem IFM (French Fashion Institute) und der HEC, einer führenden französischen Management-Universität, ein Studienprogramm für Mode und Luxusmarken an der Tsinghua-Universität gestaltet.

Die Flexibilität, die in der chinesischen Modebranche zum Überleben notwendig ist, verkörpert der berufliche Werdegang von Judy Tao auf perfekte Weise: Nach Abschluss des Englisch-Studiums an der Universität Xinjiang unterrichtete sie einige Jahre lang. Danach kam sie nach Beijing, um Internationales Projektmanagement zu studieren. Neben dem Studium arbeitete sie ein Jahr bei Walmart, bis sich ihr eine Position in der chinesischen Handelskammer eröffnete. Nach zwei Jahren bot sich ihr 2007 schließlich die Chance, in Europa erneuerbare Energien zu erforschen. Im Selbststudium brachte sie sich alles Wissenswerte zum Thema Solarenergie bei. Sie half beim Aufbau mehrerer Zweigstellen in Deutschland sowie in den USA, Australien und Indien. Durch Vermittlung eines Investors des Solar-Unternehmens kam sie schließlich zu New Silk Road. „Mein professioneller Werdegang scheint keine Logik aufzuweisen, aber ich habe eine Menge gelernt. Egal, ob man Model ist oder ein Produkt verkaufen möchte, das Wichtigste ist, dass man gut genug ist!"