10-07-2012
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Mit dem Herzen malen: Thangka-Schule in Beijing
von Xu Bei

1. Juni 2012, mittags: In einem ruhigen Hof im Beijinger Vorort Huairou sitzen Pedma, ein Thangka-Maler aus der Provinz Qinghai, und seine Schüler in einem 20 Quadratmeter großen Unterrichtsraum konzentriert über ihrer Arbeit. Wir befinden uns in einer Klasse für Thangka-Kunst, die vom Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation (CCF) organisiert wird.
 
 
Pedma erläutert Farbkontraste

 

Anders als bei anderen Kursen ist meditative buddhistische Musik zu hören, der starke Geruch von Leim, der aus Yakbutter gewonnen wird, liegt in der Luft. Die Wände des Klassenzimmers sind mit goldfarbenen Vorhangstoffen drapiert. Eine Buddhastatue steht neben dem Eingang. Die Schüler sitzen über den Raum verteilt und malen Thangkas. Manche von ihnen arbeiten zusammen, um etwa die Leinwand für ein besonders großes Thangka zu grundieren. Manche von ihnen malen mit feinen und dünnen Pinseln an eigenen Arbeiten. Einige skizzieren mit Bleistift die Umrisse eines Bildmotivs.

He Bin, Vize-Direktor des Tibet-Kulturfonds der CCF, erklärt, dass der Dekor des Unterrichtsraums dazu dient, für Lehrer und Schüler eine Tempelatmosphäre zu schaffen. Denn das Anfertigen von Thangkas und der buddhistische Glaube sind nicht voneinander zu trennen. Darin liege gerade der besondere Reiz der Thangka-Kunst.

Thangka, auch „Tibetische Enzyklopädie" genannt, ist ein wichtiges Medium der tibetischen Kultur, denn das breite Angebot an Motiven und Bildthemen umfasst nahezu alle Aspekte der traditionellen Kultur, auch wenn die Religion dabei immer im Mittelpunkt steht. Aber beim Betrachten der Thangkas lernt man auch viel über Tibets Geschichte und Gesellschaft sowie über das Alltagsleben der Menschen auf dem Dach der Welt.

Seit der Zeit von Songtsen Gampo, der von ca. 617 bis 649 König von Tibet war, ist die Herstellung von Thangkas als Rollbilder verbürgt. Mit pflanzlichen und mineralischen Farbstoffen werden seither religiöse Motive meist auf Leinenstoff gemalt. Da die Tibeter mehrheitlich fromme Buddhisten sind, findet sich in jeder Familie ein kleiner Opferaltar. Aufgrund der vorwiegend nomadischen Lebensweise der Menschen hat sich die Mitnahme eines Rollbildes auf die Sommerweide als praktisch erwiesen. So trat vielerorts ein Thangka an die Stelle von Buddhafiguren aus Bronze oder Holz. Deshalb nennt man Thangkas auch gerne „laufende Buddhastatuen".

2006 wurde die Thangka-Malerei von der chinesischen Regierung in die Liste der schutzwürdigen immateriellen Kulturgüter aufgenommen.

 

Vom Himalaya nach Beijing

Bevor man sich an das Malen eines Thangkas setzt, gilt es zunächst, die Leinwand zu behandeln. Normalerweise spannt man den Leinstoff auf einen Holzrahmen. Dann trägt man als Grundierlösung insgesamt zweimal Butterleim auf der Vorder- und Rückseite der Leinwand auf. Nachdem die Leinwand wieder trocken ist, sprengt man ein wenig Wasser auf das Leinen. Mit einem Stein wird die Oberfläche aufgeraut. Dann kann das Werk beginnen.  

Nach dieser umfangreichen Vorbehandlung zeichnet man den Entwurf mit Bleistift. Das zeichnerische Talent ist vielleicht die wichtigste Fertigkeit eines Thangka-Malers. Wenn der Entwurf fertig ist, beginnt der Prozess des Farbauftrags. Details werden mit feinen Pinseln gemalt, bestimmte Flächen werden mit Goldfarbe belegt.  

Im Klassenzimmer zerreiben zwei Schüler mit der Hand Blattgold zu Pulver. Pedma zufolge dient das Gold zur Darstellung des Schmucks des Buddhas. Thangka-Maler  lösen das Goldpulver in Wasser und tragen es als Goldfarbe auf die Leinwand auf. Zuletzt poliert man die mit Goldfarbe behandelten Stellen, damit das Gold nicht seinen Glanz verliert.

Obwohl das Zerreiben von Blattgold zu Pulver sehr einfach wirkt, kostet dieser Handgriff doch viel Geld und Zeit. Der tibetische Junge hat zwei Tage mit dem Mörsern des Goldes zugebracht.

Nach dem Auftragen der Goldfarbe für Kleidung und Schmuck des Buddhas, kommt der wohl schwierigste Arbeitsschritt: das Malen des Buddha-Gesichtes.

Obwohl der 22-jährige Cédain seinem Lehrer Pedma schon oft dabei geholfen hat, Thangkas zu grundieren und malerisch zu gestalten, durfte er bis heute noch kein Gesicht malen. Cédain stammt ebenfalls aus Qinghai und lernt schon sieben Jahre bei Pedma wie man Thangkas malt.

Wie Pedma ist auch Cédain schon seit zwei Jahren in der Thangka-Klasse in Beijing. Da er bereits in Qinghai ein Schüler Pedmas war, ist er zur Fortsetzung seines Studiums mit ihm nach Beijing gekommen, wo er dem Meister zugleich als Gehilfe dient.

Gegenüber der Beijing Rundschau sagt Cédain, dass der Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation ihm neben einem Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten in Beijing auch jedes Jahr eine zweimalige Heimreise nach Qinghai bietet. So kann er alljährlich zum tibetischen Neujahrsfest und in den Sommerferien in die Heimat reisen.

Pedma hält Cédain für einen sehr talentierten Schüler. Nach 10-jährigem Studium – also in rund drei Jahren – wird er die Fertigkeit zum Malen von Gesichtern beherrschen und damit zu einem wahren Thangka-Maler herangereift sein.

„Wenn man die Augen und das Gesicht des Buddhas schlecht malt, wird der Thangka verdorben. Ich hoffe, dass ich eines Tages diese hohe Kunst beherrschen werde und somit ein Thangka-Meister werden kann", sagt Cédain.

 

Pflichtfach in der Thangka-Klasse

Mit dem Boom des Kunstmarktes in China ziehen auch Thangkas immer größere Aufmerksamkeit auf sich. Als Zeugnis gelebter Frömmigkeit wirken die Bilder sehr anziehend.

Pedma sagt, dass es normalerweise zehn Jahre dauert, bis ein Thangka-Schüler in der Lage ist, eigenständige Werke zu schaffen. Da auf dem chinesischen Kunstmarkt heute jedoch eine große Nachfrage nach Thangkas herrscht, beginnen viele Thangka-Schüler schon nach ein- bis zweijährigem Studium damit, Thangkas zu malen. „Ihre Werke können sie für rund 1000 Yuan pro Stück verkaufen", sagt Pedma. „Das ist natürlich ein einträgliches Geschäft. Deshalb haben viele Schüler keine Lust mehr, zehn Jahre damit zu verbringen, systematisch und gründlich die Kunst des Thangka-Malens zu erlernen. Sie sehen das Ganze nur noch als gute Gelegenheit zum Erwerb ihres Lebensunterhalts."

Halbwissen und mangelnde Übung führen dann dazu, dass die Maler keine eigenständigen Thangka-Werke schaffen, sondern beliebte Arbeiten einfach imitieren. Solche Maler wollen keine Zeit damit verbringen, Originale zu schaffen. Sie kopieren die Muster der anderen und tragen dann flüchtig ihre Farben auf. Pedma hält dies und den sich darin offenbarenden Mangel an Spiritualität bei diesen geschäftstüchtigen „Künstlern" für  unvereinbar mit den Prinzipien der Thangka-Malerei: „Diese Bilder haben keine Seele."

In der Thangka-Klasse müssen sich die Schüler ganz dem Buddhismus verschreiben und völlig nach dessen Doktrinen leben. Kanonische Schriften des Buddhismus zu lesen und zu verstehen ist ein Pflichtfach in der Thangka-Klasse. Das ruhige Hofhaus im Beijinger Vorort stellt eine relativ abgeschlossene Welt dar. Pedma und seinen Schülern kommt dies bei ihrer Arbeit sehr zugute.

„Als ich mich dazu entschlossen hatte, nach Beijing zu gehen, haben das viele meiner Freunde und Bekannten nicht verstanden. Sie finden, dass anders als in Qinghai in Beijing keine religiöse Atmosphäre herrscht. Ich hingegen bin der Meinung, dass Beijing sogar besser geeignet für uns Thangka-Schüler ist. In Qinghai sind die Kinder zu sehr ins Familienleben eingebunden, da bleibt kaum Raum für Versenkung in Gedanken und konzentriertes Malen. Unsere Schule liegt in einem Vorort der großen Stadt. Hier ist es sehr ruhig und wir sind von der Welt fast gänzlich ausgeschlossen. Ein idealer Ort für meinen Unterricht", sagt Pedma.

Eine andere Schwierigkeit beim Lernen ist, dass Thangkas nach genau definierten ikonografischen Vorschriften (in Bezug auf Körperformen, Kleidung und Haltung der Dargestellten) erstellt werden. Deswegen darf man beim Malen des Buddhas keinen Fehler machen.

Bisher haben insgesamt vierzig Schülerinnen und Schüler an diesem Thangka-Ausbildungsprogramm teilgenommen. He Bin zufolge kommen sie meistens aus armen Familien aus tibetischen Siedlungsgebieten in den Provinzen Qinghai und Sichuan.

„Bei unserer Inspektionsreise durch Qinghai, Sichuan und Tibet haben wir entdeckt, dass der Schutz, die Weitergabe und die Entwicklung der Thangkas auf erhebliche Probleme stößt. Es mangelt vor allem an Nachwuchs für diese Kunst. Wegen der regen Nachfrage nach tibetischer Kunst, fällt es immer mehr Studenten immer schwerer, zehn Jahre lang das Thangka-Malen zu erlernen. Wir als Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation wollen gerne die Grundlage für eine vernünftige Nachwuchsarbeit schaffen. In den Gegenden, in denen Tibeter leben, wollen wir Einführungskurse anbieten, mit deren Hilfe profilierte Lehrer auf Talentsuche gehen können", sagt He gegenüber der Beijing Rundschau.