21-04-2015
Porträt
He Jiahong: die chinesische Antwort auf John Grisham
von Eric Daily

Handlungselemente

In den 1990ern hatte die Mehrheit der chinesischen Kriminalromane einen Polizisten als Hauptfigur. Der angehende Schriftsteller He wollte etwas anderes machen und erwog einen Privatdetektiv als zentrale Figur. Doch leider hatte das Ministerium für Öffentliche Sicherheit 1993 alle Lizenzen für Privatdetektive annulliert und er machte sich daher Sorgen, dass seine Bücher dadurch unglaubwürdig würden und es ein schlechtes Licht auf sein Wissen der aktuellen Ereignisse werfen würde. „Es hätten doch sicher alle gesagt: ‚Du bist Juraprofessor, wie kann es sein, das du so etwas nicht weißt'", scherzt er.

Seine nächste logische Wahl war ein Strafverteidiger, eine heroische Figur im amerikanischen System. Das war aber ein wenig problematisch. He erklärt, dass es im amerikanischen System drei Schritte gibt: Ermittlung, Strafverfolgung und Strafprozess. Das amerikanische System ist vom Typ her kontradiktorisch, wohingegen das chinesische traditionell inquisitorisch sei. In den USA spielt der Strafverteidiger viel früher eine deutlich größere Rolle als in China, wo der Strafverteidiger erst sieben Tage vor dem eigentlichen Prozess in Erscheinung tritt.

Sogar bei einem rasanten Thriller hätte dies die Zeitschiene zu drastisch komprimiert. Der Autor fand daher einen Trick, der ihm (und seinem Helden) mehr Zeit verschaffen würde. Dies erreichte er dadurch, dass seine Hauptfigur Fehlurteile untersuchen würde und indem er einkalkulierte, dass die Ermittlungen vor der Verhandlung länger dauern dürfen, wenn neues Beweismaterial auftaucht. Seit Mitte der 1990er wurde dieser Aspekt des Verfahrens, dank He und anderen, verbessert. Seit 2012 kann ein Verdächtiger dem Moment der Anklage einen Anwalt hinzuziehen.

Dieser Trick erlaubt He auch, ein anderes Anliegen anzugehen. Aufgrund dieser undankbaren Rolle, waren bis vor kurzem wenige chinesische Anwälte bereit, überhaupt Strafverteidiger zu werden. Der Schriftsteller wollte daher eine Hauptfigur kreieren, die künftige Generationen von Strafverteidigern inspirieren würde. Als begeisterter Badmintonspieler, bemerkte er, dass er sich nur angesichts besserer Gegner verbessern würde. Er ist der Ansicht, dass dies auch für Anwälte gilt. Wenn die Anwälte immer besser würden, würden dies auch die Staatsanwälte und das würde in einem faireren und balancierterem Rechtssystem resultieren. So wurde Hong Jun, „der Gentleman Anwalt" geboren.

 

Selbstverbesserung

Hong und sein Schöpfer haben viel gemeinsam. Sie teilen ihre Initialen und Alma Mater, und beide arbeiten an den Ungerechtigkeiten des Rechtssystems. Die Frage nach den Unterschieden zwischen ihm und seinem literarischen Doppelgänger beantwortet er mit: „Er ist größer als ich." Zudem fügt er hinzu, dass Hong die sozialen Aspekte eines praktizierenden Anwalts genießen kann, während er selbst mehr der Akademiker ist und daher ein relativ isoliertes Leben führt, das ihm viel Zeit zu denken und zu schreiben lässt.

2008 wurde eine 15-bändige Ausgabe von Hes Werk, einschließlich seiner Romane, veröffentlicht und ein begleitendes Seminar abgehalten. Der Schriftsteller, ein Mitglied des Chinesischen Schriftstellerverbandes, räumt ein, dass es nervenaufreibend war, einer Jury von Schriftstellerkollegen gegenüberzusitzen, die seine Arbeit als zu didaktisch bewerteten. Zudem waren diese der Ansicht, dass seine Erzählungen seinen Charakteren und deren Motiven besser treu bleiben sollten. In einem für westliche Autoren unüblichen Schachzug, aber gemäß Hes peniblen Ansprüchen, überarbeitet er schließlich 2009 seine Werke für den chinesischen Markt – zum Teil, um den Empfehlungen der Jury zu folgen, zum Teil, um den rechtlichen Inhalt auf den neuesten Stand zu bringen.

Im Bookworm verrät He, dass Englisch nicht die erste fremdsprachige Übersetzung seiner Bücher war. Zu seiner Überraschung hatte ihn einmal eine Studentin französisch-chinesischer Translation kontaktiert, die ihre Dissertation über sein Werk verfassen wollte. Sie besuchte He in Beijing und kontaktierte ihn einige Zeit später erneut, als ein französischer Verlag Interesse hatte, seine Arbeit zu publizieren. Daraufhin folgten dann bald italienische und spanische Übersetzungen.

He Jiahong sagt, dass ihn das alles sehr überrascht habe, da er seine Romane ausschließlich für ein chinesisches Publikum geschrieben habe. In der Folge wurde auch Penguin Australia auf ihn aufmerksam und 2012 wurde eine englischsprachige Version seines ersten Romans, „血之罪" („Blutige Verbrechen") mit dem Titel „Hanging Devils: Hong Jun Investigates" veröffentlicht. Seine französische Ausgabe „Crime de Sang" hatte es zuvor auf die Top 10 Liste asiatischer Literatur im „The Guardian" geschafft.

Unterscheiden sich die Übersetzungen von den Originalen? He erklärte im Bookworm, dass sein Lektor bei Penguin deutliche Änderungen bei den Schlusskapiteln des Buches gemacht habe. Im Original wird das Schicksal eines Hong nahestehenden Protagonisten sehr deutlich gemacht, während es in der Übersetzung offen bleibt. Interessanterweise würden chinesische Leser eine solche Ambiguität als Betrug empfinden, während westliche Leser eher ihre eigenen Theorien über das Ende der Geschichte machen wollten.

 

Von der Kunst lernen

Für He sind Kunst und Aktivismus keine einander ausschließenden Aktivitäten. Die letzten beiden Bände seiner Pentalogie untersuchen die fiktive Umsetzung eines „sunshine law" für korrupte Beamte, für das He sich selbst im echten Leben eingesetzt hat. In seinem vierten Roman, „无罪贪官"(„Unschuldige korrupte Beamte") spielt in einer erfundenen Stadt in der Provinz Guangdong, in der eine solche Amnestie erklärt wurde. Ein solches Gesetz würde es Beamten erlauben, ihr unrechtmäßig erworbenes Vermögen ohne Angst vor Strafverfolgung aufzugeben. Die Idee kam von einem Besuch in Hong Kong, wo 1977 in einer Zeit weitverbreiteter Polizeikorruption ein solches Gesetz verabschiedet worden war. Der Hintergedanke dabei war, dass es 40-50 Jahr gedauert hätte, bis alle ausstehenden Fälle von Korruption aufgearbeitet worden wären.

Der Professor ist der Ansicht, dass Recht und Ordnung in China mit einer solchen Amnestie ähnlich gestärkt werden würden. Im Lauf des Jahres 2008 publizierte er sieben Artikel in Legal Daily, in denen er die Vorteile einer solchen Initiative aufzeigte. Er schätzt, dass er die öffentliche Meinung einigermaßen beeinflusst habe. Die Idee hat das Interesse der Regierung auf sich gezogen und auf Provinzebene laufen erste Versuchsprojekte. Die Schwierigkeit ist, dass diese Regelung unter der Bevölkerung nicht besonders populär wäre. Aufgrund des sehr strengen Sinns für Gerechtigkeit des chinesischen Volkes würde es wohl „weich werden" gegenüber von Korruption aufgefasst werden. Es könnte auch Probleme mit den betroffenen Beamten geben, da einige wohl Eigentum besäßen, das nicht geeignet wäre, es zu deklarieren.

Da die Übersetzungen der Romane immer populärer werden, kann man annehmen, dass es wohl nur eine Frage der Zeit sei, bis Hollywood anklopft. Auf die Frage, ob er ein Problem haben würde, wenn man die Handlung seiner Bücher in das heutige China oder sogar in die USA versetzen würde, meint er, dass er diesbezüglich eine „Macht was immer ihr wollt" Attitüde habe. He verrät, dass eines seiner Werke bereits adaptiert werden hätte sollen, aber das Projekt ging mit dem Tod des berühmten chinesischen Regisseurs Wu Tianming, der die Produktion leiten hätte sollen, unter.

Seine Zurückhaltung, ein Drehbuch zu schreiben ist verständlich. Am Weg aus seinem Büro erzählt er, dass er momentan neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit mit einer zweiten Umarbeitung von „Blutige Verbrechen", beschäftigt sei. Das wäre die dritte Ausgabe des Buches auf Chinesisch. Dies alles vor Augen, verlasse ich Professor He und seine Bücher, seine Grübeleien und seine Träume eines besseren Chinas.

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