21-10-2014
Porträt
Museumsgründer Wu Xianbin – Ein Nachkomme Nanjings reist nach Japan
von An Xinzhu

 
Museumsgründer und Kurator: In seinem Nanjinger Privatmuseum für den chinesischen Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression hat Wu Xianbin eine beträchtliche Menge von historischen Materialien gesammelt.

Jedes Jahr im August veranstaltet die Gesellschaft für chinesisch-japanische Freundschaft an wechselnden Orten Japans eine Wanderausstellung unter dem Motto „Die Gräuel des Krieges aufdecken, um den Frieden zu bewahren", bei der Fotos und historische Gegenstände gezeigt werden, die im Zusammenhang mit Japans Aggressionskrieg gegen China stehen.

In diesem Jahr fand die Ausstellung vom 10. bis zum 12. August in der japanischen Stadt Nagoja statt. 39 Nichtregierungsorganisationen stellten zahlreiche historische Exponate zur Verfügung. Erstmals war mit Wu Xianbin auch ein Vertreter einer chinesischen NGO vertreten. Wu ist Kurator des Nanjinger Privatmuseums für den Chinesischen Widerstandskrieg gegen die Japanische Aggression.

„Ich bin weder ein Nachkomme der Opfer des Massakers von Nanjing, noch finden sich Soldaten des Widerstandskriegs unter meinen Vorfahren", erzählt Wu. „Meine Familie zog erst nach Nanjing, nachdem der Krieg bereits zu Ende war. Ich selbst allerdings bin in Nanjing geboren und aufgewachsen und sehe mich deshalb als Nachfahre der Stadt."

 

Erinnerungen der einfachen Bevölkerung

Alle Exponate in Wus Museum stammen aus der Bevölkerung und jeder Gegenstand hat seine ganz eigene Geschichte. Da findet sich zum Beispiel eine unscheinbare alte, vergilbte Visitenkarte in Wus Sammlung, auf deren Vorderseite ein Name und ein Titel zu lesen sind: „Chen Zhongzhu, Kommandant der Vierten Kolonne der Guerillakämpfer im Grenzgebiet der Provinzen Shandong, Jiangsu und Anhui". Chen ist einer der vielen vergessenen Helden, die im Guerillakrieg gegen die japanische Aggression kämpften, und denen Wus Museum heute ein stilles Denkmal setzt. Chen Zhongzhu starb Anfang 1941, nachdem er von sechs Kugeln getroffen worden war.

„Die Rückseite der Karte trägt die einzige erhaltene Handschrift des Generals. Nachdem sie in unseren Besitz gekommen ist, haben wir damit begonnen, die Nachkommen des Generals ausfindig zu machen", berichtet Wu. Im August 2012 reiste Chens Tochter eigens aus Australien nach Nanjing, nachdem sie von der Visitenkarte erfahren hatte. In einem Eintrag in das Gästebuch des Museums schrieb sie: „Lieber Vater, heute habe ich Ihre Handschrift und Ihr Siegel gesehen, was mich an die Vergangenheit erinnert. Es ist fast so, als ob ich Sie selbst wieder getroffen hätte."

„Die Exponate, die hier zu sehen sind, sollen nicht die Grausamkeit des Krieges darstellen, sondern vor allem das Leben und das Schicksal der einfachen Menschen der damaligen Zeit schildern und nachvollziehbar machen", erklärt Wu. So finden sich unter den Ausstellungsstücken Briefe und Rechnungen der Bevölkerung, Armbinden von Mitgliedern des Bergungstrupps, die die Toten nach dem Massaker begruben, mehr als 300 Landkarten, die die japanische Armee während des Kriegs verwendete, sowie alltägliche Gebrauchsartikel der chinesischen Soldaten.

Zu sehen ist auch ausführliches Videomaterial, das die Schriftstellerin Iris Chang aufgezeichnet hat. Die Amerikanerin chinesischer Abstammung führte bei der Recherche für ihr Buch „The Rape of Nanking" 1995 zahlreiche Interviews mit Überlebenden des Massakers. Nach ihrem Tod spendeten Changs Eltern die kostbaren Videodaten Wus Museum.

Das Privatmuseum dient auch als Plattform der Völkerverständigung. Jedes Jahr empfängt Wu viele ausländische Besucher, vor allem Japaner, Amerikaner und Deutsche. „Viele Vertreter japanischer NGOs kommen bei ihrem Chinabesuch zu uns", sagt Wu. „Während des Austausches mit den Menschen unterschiedlicher Länder habe ich festgestellt, dass die Vertreter ausländischer NGOs deutlich reifer sind als ihre relativ unerfahrenen chinesischen Kollegen. Aber ich bin der Ansicht, dass auch chinesische NGOs ihre Stimme in Bezug auf historische Fragen zwischen China und Japan haben sollten."

 

Erste Reise nach Japan

Nachdem der Verband der Präfektur Aichi der Gesellschaft für chinesisch-japanische Freundschaft Wu im März dieses Jahres offiziell eingeladen hatte, an seiner Jahresausstellung teilzunehmen, brachte Wu nach reiflicher Überlegung und sorgfältiger Auswahl 28 Fotografien über das Nanjing-Massaker nach Japan. 24 davon wurden schließlich in Japan ausgestellt. Es war das erste Mal, dass Exponate aus Wus Sammlung in Japan gezeigt wurden. Die Ausstellung fand in einer mehr als 1.000 Quadratmeter großen Halle im dritten Stockwerk der Civic Assembly Hall in Nagoja statt. Die von Wu zur Verfügung gestellten Bilder wurden dabei in einem separaten Raum gezeigt.

„Bei den Fotos handelt es sich zwar überwiegend um Aufnahmen, die in Japan veröffentlicht wurden, aber die Ausstellung vermittelt den Japanern auch einen allgemeinen Eindruck darüber, welche Art von Fotos in China zu sehen sind", sagt Wu.

Die Wirkung der Ausstellung blieb letztlich jedoch hinter Wus Erwartungen zurück. „Zwar gab es viele Besucher, die meisten von ihnen waren allerdings Menschen mittleren Alters oder ältere Leute. Junge Menschen waren spärlich vertreten", so sein Fazit. „Da rechte Kräfte in Japan erschreckend aktiv sind, hat die normale Bevölkerung in Japan meines Erachtens nur eine vage Vorstellung von dieser geschichtlichen Periode", so Wu.

„Ich habe bei meinem Aufenthalt in Japan mit einigen jungen Japanern gesprochen und sie gefragt, warum sie sich nicht für die Geschichte des Nanjing-Massakers interessieren. Sie antworteten, dass immer noch Streitigkeiten zwischen den Regierungen Japans und Chinas über diese Frage bestünden. Das ist ein sehr gefährliches Signal. Diese engstirnige Ansicht junger Japaner über die Geschichte wird den Abstand zwischen China und Japan weiter vergrößern und gefährdet letztlich stark die Grundlage der Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern", sagt Wu.

Auch mit der medialen Präsenz der Ausstellung zeigte sich Wu weniger zufrieden. Obwohl Vertreter verschiedener japanischer Medien die Veranstaltung besucht hätten, habe letztlich nur die Tageszeitung „Asahi Shimbun" Wus Teilnahme an der Ausstellung in einem Bericht erwähnt: „Der Kurator des Privatmuseums über Chinas Krieg gegen die japanische Aggression ist nach Japan gekommen, um über den chinesisch-japanischen Krieg zu sprechen, und äußerte seinen Wunsch nach Frieden", hieß es darin.

„Ich hätte mir natürlich eine etwas ausführlichere Berichterstattung über unsere Teilnahme gewünscht", sagt Wu, zeigte gleichzeitig aber Verständnis. In der Vergangenheit habe es begrenzte Kommunikationskanäle zwischen China und Japan gegeben. Als Folge sei es für die Japaner schwierig, das Nanjing-Massaker anzuerkennen, wenn sie direkt darauf angesprochen würden.

„Als NGO gehen wir von den Tatsachen aus und sind unparteiisch", betont Wu. „Das Massaker von Nanjing war ein Ereignis mit globaler Wirkung. Dieser Begriff wurde durch den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellt und zugelassen. Das Massaker ist eine objektive Wirklichkeit, die durch Millionen von in der ganzen Welt verteilten Belegen bewiesen werden kann."

„Von der Kommunikation zwischen mir und japanischen Historikern ausgehend glaube ich, dass ein klares Verständnis dieses historischen Ereignisses auch für Japaner kein Problem sein dürfte. Aber rechte Kräfte haben einen großen Einfluss in der japanischen Gesellschaft, und sie schaffen eine Atmosphäre der öffentlichen Meinung, die suggeriert, dass es Streitigkeiten zwischen der chinesischen und der japanischen Regierung gibt, was die Realität des Massakers von Nanjing betrifft. Dies führt zu einer verzerrten Sicht der Geschichte, nicht nur bei Japans junger Generation, sondern auch bei der allgemeinen japanischen Bevölkerung", sagt Wu.

Wenn sich die Gelegenheit biete, wolle Wu gerne erneut nach Japan reisen, sagt der Nanjinger. Künftige Besuche wolle er allerdings noch besser vorbereiten, etwa durch Dialoge mit japanischen Medien und Historikern, betont er. „Ich bin sehr dankbar für die Bemühungen der 38 japanischen NGOs, die sich an der Ausstellung beteiligt haben. Ihre Ermutigung hat unsere Teilnahme an der Ausstellung als chinesische NGO letztlich erst ermöglicht."