30-09-2014
Porträt
Chinas Tennis-Pionierin Li Na verkündet Karriereende
von Yin Pumin

Nach ihrem Rückzug aus dem Profisport wird über ihre schillernde Laüufbahn und das nationale System der Sportförderung diskutiert.

Karriereende: Li Na verkündet bei einer Pressekonferenz am 21. September ihren Rückzug aus dem Profitennis

Li Na gewinnt den French Open Titel im Jahr 2011, der erste Grand-Slam Titel im Fraueneinzel in Asien

Nach 15 Jahren auf dem Tennisplatz hat Chinas Tennispionierin Li Na ihre Karriere beendet. Die aktuelle Australian-Open- Siegerin verkündete am 19. September ihren offiziellen Rückzug aus der Women's Tennis Association (WTA).  

"China auf dem Tennisplatz zu vertreten, war ein außerordentliches Privileg und eine echte Ehre. Dass ich die einzigartige Chance hatte, dem Tennissport in China mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen ist etwas, dass ich für immer schätzen werde. Aber im Sport wie im echten Leben gehen die guten Dinge irgendwann einmal zu Ende", erklärte Li zum Abschied.

Die 32-jährige hat im Laufe ihrer Karriere neun WTA-Einzeltitel, zwei Doppeltitel und zwei Grand-Slam-Titel gewonnen, sie wurde zu einer der besten und beliebtesten Spielerinnen in der Geschichte des Frauentennis.

"Lia Na war eine lustige, starke und wunderbare Spielerin auf der WTA-Tour und wie ihre Fans bin ich traurig, dass sie aufhört", erklärte Stacey Allaster, WTA-Vorsitzende und Geschäftsführerin. Abgesehen von ihren sportlichen Fähigkeiten und ihrer warmen und humorvollen Persönlichkeit sei sie eine Pionierin für das chinesische Tennis gewesen, die hunderten Millionen Menschen in China und Asien die Welt dieses Sports eröffnet habe. „Danke für all ihre Erfolge und Leistungen, ihre Hinterlassenschaft ist immens und ich habe keine Zweifel, dass ihre Beiträge für die WTA in den nächsten Jahrzehnten in China, Asien und dem Rest der Welt gewürdigt werden."

 

Hochs und Tiefs

Li wurde am 26. Februar 1982 in Wuhan in der Provinz Hubei geboren. Ihr Vater war ein Badminton-Spieler in der Provinzmannschaft und starb, als sie erst 14 Jahre alt war.

Mit neun Jahren wechselte Li vom Badminton zum Tennis, 1997 wurde sie Teil der Nationalmannschaft und zwei Jahre später Profispielerin. Im Jahr 2000 gewann sie beim WTA-Turnier in Taschkent zusammen mit Li Ting das Frauendoppel und war damit die erste Turniersiegerin aus China.

Von 2002 bis 2004 verließ sie die WTA-Tour aus Zweifel über ihre eigenen Fortschritte. Während dieser Zeit absolvierte sie ein Journalistikstudium an der Huazhong University of Science und Technologie in Wuhan.

Mit mehr Selbstvertrauen und Wissen kehrte sie 2004 in die Nationalmannschaft zurück. 2006 heiratete sie ihren Coach und Trainingspartner Jiang Shan. Jiang trainierte sie, bis im Mai 2011 der dänische Trainer Michael Mortensen in ihr Team kam.

Als erste Grand-Slam-Siegerin aus Asien schrieb Li in Roland Garros Geschichte, in jedem ihrer letzten vier Spiele hatte sie Spielerinnen aus den Top Ten geschlagen. Kurz zuvor hatte sie als erste asiatische Spielerin ein großes Finale erreicht und war am Ende nach Kim Clijsters zweite bei den Australian Open.

Nach dem Gewinn der French Open bedankte sich Li bei ihrem Ehemann:  „Auch wenn er  nicht mehr mein Trainer ist, will ich ihm danken. Er versteht mich immer und toleriert mich… Danke dafür, dass du mich die ganze Zeit begleitet hast."

Dennoch lief es für Li nach Roland Garros nicht rund, bis Jahresende gewann sie nur sechs Spiele.  Die Medien stellten ihre mentale Stärke in Frage. Li gab zu, dass sie manchmal geradezu erschauerte, wenn sie ihren Namen in einer Zeitung sah, weil sie fürchtete, dass ihre Kommentare falsch verstanden worden seien.

Nach einem enttäuschenden Olympiaauftritt 2012 heuerte Li Carlos Rodriguez als neuen Trainer an, den ehemaligen Berater der siebenfachen Grand-Slam-Siegerin Justine Henin. Mit dem Argentinier schien die Chemie zu stimmen.

Unter seiner Anleitung fand Li 2013 zu ihrer alten Form zurück, sie erreichte das Finale der Australian Open, das Viertelfinale von Wimbledon und die Halbfinale der US-Open. In der Weltrangliste rückte sie auf Platz 3 vor.

Schließlich gewann sie im Januar dieses Jahres ihren zweiten Grand-Slam-Titel bei den Australian Open. Sie war nach Margaret Court die zweite über 30-jährige Frau der Open-Ära, der dies gelang. Mit diesem Sieg wurde sie am 17. Februar zur Nummer 2  der Welt, die höchste Position, die ein Spieler aus Asien je erreicht hat.

Neben ihren Grand-Slam-Siegen erzielte Li auch eine ganze Reihe von Durchbrüchen für das chinesische Tennis. Als erste Chinesin gewann sie 2004 einen WTA-Einzeltitel und 2011 WTA-Premier-Titel; 2006 erreichte sie ein Grand-Slam-Viertelfinale, von 2011 bis 2013 die WTA-Einzelfinale. Am 14. August 2006 schaffte sie es unter Top Twenty, am 1. Februar 2010 erreichte sie die Top Ten und am 6. Juni 2011 die Top Five.

 

Ein anderer Weg

Abgesehen von der Geschichte, die sie auf dem Platz schrieb, zeigt ihre erfolgreiche Tenniskarriere Chinas Athleten auch einen Weg neben der nationalen Sportförderung, um ein Spitzenniveau zu erreichen.

Chinas Regierung investiert stark in den Sport und fördert junge Talente. Durch das „nationale System", das ein strenges Training umfasst und den Sportler als Staatsbeamten behandelt, wurde eine Reihe von Weltklasseathleten geschaffen.  Die Regierung traf die strategische Entscheidung, mit diesem System auch chinesische Gesichter in das noch wenig entwickelte Profitennis zu bringen.

Als Li in der Nationalmannschaft war, war ihr Trainer äußerst streng. Sie fand es außerdem schwierig, ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen, vor allem, nachdem ihr stürmischer Angriffsstil von einigen Coaches kritisiert worden war.  2002 entschloss sie sich daher, ihre Tenniskarriere zu beenden. „Ihr früher Rückzug lag an der Enttäuschung über den strengen Führungsstil in der Nationalmannschaft", erklärte Sun Jinfang, Direktor des Tennis-Verwaltungszentrums der Staatlichen Hauptverwaltung für Sport.

Abgesehen vom rigiden Führungsstil und veralteten Trainingsmethoden war Li  auch frustriert, weil das Preisgeld im ganzen Team aufgeteilt wurde. Es war eine alte Regel, dass jeder Gewinner 65 Prozent des Preisgelds an die Sportbehörden übergeben musste.

Obwohl Sun Li 2004 überzeugen konnte, in die Nationalmannschaft zurückzukehren, kam ihre Unzufriedenheit mit dem System erneut nach ihrer Niederlage bei den 15. National Games 2005 zum Ausdruck, wo sie vergeblich versucht hatte, ihren Titel im Fraueneinzel zu verteidigen.  "Die Niederlage liegt am schlechten System der Nationalmannschaft", erklärte sie bei der anschließenden Pressekonferenz. "Es wäre besser, die Leistung eines Spielers an aktuelle Auszeichnungen zu knüpfen." Ihre Bemerkungen wurden überall in den Medien zitiert und als schonungslose Kritik am Trainingssystem interpretiert.

Im Dezember 2008 verließ Li zusammen mit drei anderen Spielerinnen die Nationalmannschaft und nahm an einem Testprogramm für Tennisspieler mit dem Titel "Fly Alone"  teil. Das Programm gestattete freie Trainerauswahl, Trainingsvereinbarungen und Turnierzeitpläne. Und die Teilnehmer mussten nur 8 statt 65 Prozent des Preisgelds an den Tennisverband abgeben. "Wir sind mit der Reform eine Menge Risiken eingegangen. Als wir sie „fliegen" ließen, wussten wir nicht, was geschehen würde. Jetzt haben sie Erfolg, d.h. unsere Reform war richtig", meint Sun.

"Im Tennis sollte die Teenagerzeit im nationalen Sportförderungssystem stattfinden, da China immer noch ein Entwicklungsland ist und Tennistraining eine  Menge Geld erfordert. Kein Profispieler würde es ohne die Unterstützung der nationalen Sportförderung schaffen", erklärte Sun. "Wenn Sportler an einen Scheideweg gelangen, lassen wir sie individuell auf der Weltbühne spielen und fördern so den Sport in China."

Viele denken jedoch nicht so. Sie glauben, dass Lis Erfolg alleine aus ihrer harten Arbeit und ihrem Mut, sich aus den Fesseln des staatlichen Sportsystems zu befreien,  herrührt und sie ihre Sportkarriere selbst gemanagt hat. "Lis Geschichte zeigt, dass unsere nationale Sportförderung in einem internationalen Profisport wie Tennis das individuelle Wachstum behindert", erklärt Zhang Wei, ein Sportredakteur der Liberation Daily. Es sei ihre Unabhängigkeit gewesen, die Li geholfen habe, eine "echte Profisportlerin" zu werden", meint der langjährige Sportkommentator Sun Qun.

Wie auch immer, Lis Geschichte kann anderen chinesischen Sportlern ein oder zwei Dinge beibringen.  „Sie zeigt, dass es einen Weg gibt, auch außerhalb der nationalen Sportförderung erfolgreich zu sein", erklärte Ren Hai, Professor für Olympische Studien an der Beijing Sport University.