14-02-2014
Porträt
China-Träume des am längsten in China lebenden Deutschen
Ein Pionier des Kulturaustauschs zwischen Ost und West
von Zeng Wenhui

Grenzüberschreitung

Uwe Kräuter im Interview (Foto von Shi Gang)

Wir fragen Kräuter nach seiner Beurteilung des Chinabildes, das man sich in Deutschland und im Westen macht. Für die Menschen, die selber nicht die Reise in das ferne Land machen können, sei es schwer, sagt er, eine Vorstellung zu bekommen. Denn das allseits präsente Chinabild sei maßgeblich geprägt von vorherrschenden politischen, ideologischen Interessen. Westliche Politiker, ebenso die Medien, würden gerne mit großer Kritik an China hervortreten. So sei das nun mal. Kräuter macht deutlich: „Aber die Tatsache, dass das Land in nur zwei Jahrzehnten über vierhundert Millionen Menschen aus der Armut befreit hat, und, weiter, in solch kurzer Zeit ebenso auf die Schaffung einer gewaltigen Mittelschicht von Hunderten Millionen verweisen kann, sollte Grund sein, dem Land gleichzeitig vehement und neidlos Lob auszusprechen."

China habe sich mit einer Rasanz entwickelt, wie kein anderes Land der Welt. Und dies, obwohl sich das Land mit Problemen auseinanderzusetzen habe, wie man es sich im Westen, „zumal im vergleichsweise doch sehr idyllischen Deutschland", gar nicht vorstellen könnte. Das verlange eigentlich Respekt. Doch im Westen sei man gerne überzeugt, so Kräuter, „allein unser europäisch-amerikanisches System sei das einzig richtige System. Solch bequemes, in Wirklichkeit unwissenschaftliches Denken wird in Asien häufig als anmaßende koloniale Haltung belächelt, aus einer Zeit also, die der weiße Mann eigentlich überwunden haben sollte. Wir dürfen ruhig ein wenig mehr Vertrauen in die Chinesen haben. Sie kennen ihr eigenes Land besser als so mancher von uns, der da mit erhobenem Zeigefinger herumstolziert. Ein Aufeinander-Zugehen, weniger Voreingenommenheit, mit der Absicht, sich gegenseitig zu helfen, wäre sicher im allgemeinen Interesse der Erhaltung des Friedens, wie auch im Interesse der Weltwirtschaft – und diente selbstverständlich der Förderung der deutschen Wirtschaft."

Uwe Kräuters Fazit am Ende unseres langen Gesprächs: „Ich habe keine Minute bereut, dass ich damals nach China gegangen und all die Jahrzehnte geblieben bin, und empfinde es bis heute als besonderes Privileg, die Abläufe und Veränderungen hier mitzuerleben." Er ist fasziniert von seinem, wie er es bezeichnet, „Leben in der Grenzüberschreitung". Solch ein Leben erweise sich als maßlos, es offenbare immer wieder ungeahnte Seiten und stelle für ihn eine immense kulturelle Bereicherung dar. Es gelte nämlich zurechtzukommen mit zwei gesellschaftlichen Verständnisebenen, der von Ost und der von West. Dies beschreibt er in seinem Buch „So ist die Revolution, mein Freund" (Herder Verlag, Freiburg). „Das zu schaffen, die Balance zu finden," sagt Kräuter lachend, „ist nicht ganz leicht, aber es hat was."

Natürlich brauche er auch immer wieder die Besuche und Gespräche in Deutschland. Manchmal fliegt er alleine, manchmal mit der ganzen Familie. Kräuter und Shen Danping haben zwei Töchter, Wei Dan Elisabeth und Anna Shan Shan, Elisabeth hat Germanistik studiert, spricht mehrere Sprachen und arbeitet im internationalen Hotelmanagement, Anna macht im nächsten Jahr den Schulabschluss, sie malt und macht Musik, ihr mögliches Studienfach ist noch nicht entschieden.

   <   1   2   3   4   5  

Mehr dazu:
„China war so weit weg wie ein anderer Planet“