14-02-2014
Porträt
China-Träume des am längsten in China lebenden Deutschen
Ein Pionier des Kulturaustauschs zwischen Ost und West
von Zeng Wenhui

Kulturaustausch zwischen China und Deutschland

Uwe Kräuter 1975 in Shanghai. Wo der Ausländer stehen blieb, blieben auch die Chinesen stehen, um ihn zu betrachten (Foto von Uwe Käuter)
 
In den Jahren von Chinas Reform und Öffnung lernte Kräuter bedeutende Persönlichkeiten aus der Gesellschaft und namhafte Künstler kennen. Dies vor allem auch durch die Freundschaft mit Yang Xianyi, dem berühmten Übersetzer von „Der Traum der Roten Kammer", und seiner Frau Gladys, die beide ebenfalls im Verlag arbeiteten. Zu Kräuters Freunden zählten bald Menschen, die schon zu Lebzeiten in China als legendär galten, und die er hier namentlich nennen möchte: Der Filmschauspieler Zhao Dan, der Dramatiker Cao Yu, der Maler Huang Yongyu, der Filmschauspieler Sun Daolin, die Schauspielerinnen Yu Lan, Bai Yang, Qin Yi, Zhang Ruifang, Huang Zongying, der Filmregisseur Ling Zifeng, der Autor Wu Zuguang, dessen Frau, die Opernsängerin Xin Fengxia, der Drehbuchautor Huang Zongjiang, der Dichter Ai Qing und andere. Viele hatten während des Jahrzehnts der Kulturrevolution, sogar schon davor, auf schlimmste Weise gelitten. Kräuter war oft mit ihnen zusammen. Und als er später in ernsten Schwierigkeiten war, standen sie ihm vertrauensvoll und furchtlos bei.

Kräuter betont: „Sie  gewährten mir Zugang zu ihrer Welt. Ich lernte von ihnen. Sie wurden meine Helden – und sind es bis heute!" Weiter, bewegt: „Ich fühlte, sie waren in der Tat die Menschen, die ich immer zu finden gehofft hatte!" Kräuter sagt auch erstmals in diesem Interview, seine Empfindungen für diese Menschen seien für ihn ein wichtigster Grund gewesen, dass er es in jenen frühen Jahren nicht schaffte, sich bei Vertragsende einfach von China zu verabschieden und nach Deutschland zurückzukehren.

Durch seinen Freund Ying Ruocheng – Schauspieler, Regisseur, Vize-Kulturminister, Übersetzer –  lernte Kräuter das Beijng People´s Art Theater (Beijing Renyi) kennen, wo das Drama „Teehaus" aus den 1950er Jahren von Lao She aufgeführt wurde. „Teehaus" ist ein Stück in drei Akten, und der Zuschauer erlebt durch die Entwicklung allein dieses Teehauses, seines Wirts (gespielt von Yu Shizhi) und der Vielfalt der Gäste fünf Jahrzehnte chinesischer Geschichte und chinesischer Menschlichkeit. Im ersten Akt sind die Mitwirkenden gerade über zwanzig Jahre alt, im zweiten Akt über vierzig, und im letzten über siebzig, soweit sie nicht in der Zwischenzeit ums Leben gekommen waren, und nun die Söhne oder Töchter das Teehaus frequentierten. Kräuter war hingerissen. Er sah das Stück über zwanzigmal, von vor wie von hinter der Bühne.

Bald gab Kräuter beim Suhrkamp Verlag, ein Buch heraus mit einer Übersetzung von „Das Teehaus" sowie Erläuterungen zum Volkskunsttheater und Portraits von Schauspielern und Regisseuren. Gleichzeitig nahm er Verbindung auf zum Mannheimer Nationaltheater. Als Chinas Ministerpräsident Hua Guofeng Deutschland besuchte, wurde das von Kräuter initiierte Projekt „Teehaus", mit dem Mannheimer Nationaltheater als Partner, in das Kulturaustauschprogramm zwischen Deutschland und China aufgenommen. 1980 war es soweit: Das chinesische Drama mit rund siebzig Mitwirkenden wurde in vierzehn deutschen Städten aufgeführt – wobei Kräuter Abend für Abend für die Zuschauer und über Kopfhörer als deutscher Simultansprecher für alle Rollen fungierte. Die Schauspieler spielten, so Kräuter, „auf der deutschen Bühne trunken wie zuhause", die Aufführungen waren durchgehend erfolgreich, die Karten ausverkauft, Publikum wie Medien waren geradezu begeistert, denn: Auf einmal erschien das ferne, unbekannte China als ob ganz nah!

Für Kräuter übrigens war es nach sechs Jahren Chinaaufenthalt der erste Deutschlandbesuch: Seine Haftstrafe war wenige Monate vor Beginn der Tournee vom Gericht für verjährt erklärt worden.

Als Antwort auf die Tournee strengten sich Kräuter und das Mannheimer Nationaltheater an, das Drama „Der Bockerer" von Ulrich Becher und Peter Preses nach China zu bringen, die Geschichte eines einfachen Fleischhauers in Wien zur Zeit des deutschen Faschismus. Das Auswärtige Amt in Bonn und das Goethe-Institut waren gegen das Vorhaben, denn: „Der Bockerer" sei „nicht exportfähig". Wahrheit war, man wollte kein Stück präsentieren, das den deutschen Faschismus zum Inhalt hatte, und schlug stattdessen deutsche Klassiker vor. Aber das Nationaltheater und, nach Übersetzung, auch das Volkskunsttheater wollten unbedingt den „Bockerer". Es gebe klare äußerlichen Parallelen zwischen der Kulturevolution und Erscheinungen im deutschen Faschismus, und das sei für das chinesische Publikum zweifellos bedeutungsvoll, sagten die Chinesen. Die deutschen Klassiker seien großartig, man kenne sie, ein Stücke wie Der Bockerer" aber kenne man nicht.  

Schließlich kam „Der Bockerer" gegen allen Widerstand nach China – und wurde in Beijing und Shanghai mit grandiosem Erfolg aufgeführt! Das Publikum ging bei den Vorstellungen in einer Weise mit, dass Kräuter sich an die berühmte Beschreibung von der Uraufführung von Schillers „Räuber" in Mannheim erinnert fühlte! Es gab Szenen und Formulierungen auf der Bühne, die in den Zuschauerreihen Jubelschreie, laute Zustimmung, begeistertes Lachen hervorriefen und die die Menschen wahrhaft aus den Sitzen rissen, sie immer wieder zu spontanem Beifall veranlassten. Auf Drängen der Zuschauer wurde „Der Bockerer" mehrfach landesweit im Fernsehen übertragen – und fand am Ende auf diese Weise in China mehr Zuschauer als ganz Westdeutschland Einwohner hatte! Von offizieller chinesischer Seite wurde Kräuter bestätigt, der Auftritt des Nationaltheaters gerade mit diesem Stücke sei „nicht nur ein künstlerischer, sondern auch ein politischer Erfolg für Deutschland". Deutschland habe „ein ganz ungewöhnliches antifaschistisches Stücke aufgeführt, und der politische Erfolg für Deutschland ist vielleicht noch wichtiger als der künstlerische".

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