Als der 46-jährige Yan Zhaoshi erfuhr, dass die Grundschule, in der er bereits seit einigen Monaten als ehrenamtlicher Lehrer unterrichtete, geschlossen werden sollte, zögerte er nicht lange. Yan kündigte kurzerhand seinen gut bezahlten Ingenieursjob im Zentrum Beijings und übernahm die Leitung der Grundschule in der Vorstadt, in der Kinder von Wanderarbeitern unterrichtet werden. Mit viel Herzblut und großem persönlichen Einsatz kämpft Yan seitdem für den Fortbestand der Einrichtung.
Voller Elan: Schüler der „Yanjing Kleiner Schwan Grundschule" üben ein kleines Theaterstück ein, das an die beliebte chinesische Cartoonserie "Xi Yang Yang" angelehnt ist.
Yan Zhaoshi ist Beijinger, durch und durch. Über zwanzig Jahre arbeitete der 42-Jährige im Zentrum der Hauptstadt als Ingenieur, bezog ein für lokale Verhältnisse üppiges Jahreseinkommen von 100 000 Yuan, umgerechnet rund 11 800 Euro. Dann kam das Jahr 2010, das das Leben des 42-Jährigen für immer umkrempeln sollte. Yan kündigte seinen Job und übernahm eine private Grundschule in der Beijinger Vorstand, in der die Kinder von Wanderarbeiten unterrichtet werden.
Spontaner Entschluss
„Es war eine Entscheidung, die ich quasi von jetzt auf nachher getroffen habe", erinnert sich Yan, der zuvor bereits einige Monate lang jedes Wochenende in der Yanjing-Grundschule als ehrenamtlicher Lehrer Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtet hatte.
An einem Tag im Juli dann beobachtete der Ingenieur, wie kräftige Männer Schulbänke und Wandtafeln auf einen Lastwagen hievten. Eine halbe Stunde später stieg der Schulleiter in den Transporter und brauste davon. Schon einige Zeit zuvor hatte es Gerede gegeben, dass sich der Schulleiter über Schwierigkeiten beim Betrieb der Schule beklagt hatte. Aber Yan hatte das nie besonders ernst genommen.
„Wenn die Schule einfach so dicht gemacht hätte, wo hätten die Schüler nach den Sommerferien dann hingehen sollen?" Yan zögerte keine Sekunde und entschloss sich, die Schule mit einem Freund zu übernehmen. „Wir haben nicht viel nachgedacht. Wir hielten es in diesem Moment einfach für richtig, zu handeln", erinnert sich Yan. Kurze Zeit später, im August 2010, kündigte Yan seinen Job. „Ich wusste, dass es viele Probleme gab und es so gut wie unmöglich sein würde, das Überleben der Schule langfristig zu sichern. Aber ich wollte es auf einen Versuch ankommen lassen."
Ursprünglich war die Schule mit ihren über 200 Eleven in Tangjialing angesiedelt, einem Dorf nordwestlich vom Zentrum der Stadt. Aber 2010 wurde das ganze Areal dem Erdboden gleichgemacht. Yan musste also einen neuen Standort für die Bildungsstätte finden.
Fast einen Monat suchten Yan und sein Freund nach neuen Räumlichkeiten für die Schule. Letztendlich mieteten sie ein altes Möbellager im nahe gelegenen Dorf Liulitun an. Am 25. August zog die Grundschule in ihr neues Zuhause.
Es sollte ein Neuanfang werden, weshalb auch ein neuer Name her sollte, befand Yan und taufte die neue Grundschule in „Yanjing kleiner Schwan Grundschule" um, in Anlehnung an das bekannte Märchen „Das hässliche Entlein" von Hans Christian Andersen. Yan unterteilte das alte Möbellager in acht kleine Klassenräume und richtete außerdem einen kleinen Pausenhof ein. Die Verhältnisse waren einfach, eines der Klassenzimmer musste gar ohne Tür auskommen, eine einfache Stahlplatte diente als Dach des Gebäudes.
Aber Yan glaubte an den Erfolg des Projektes und gab diesen Enthusiasmus auch an die Schüler weiter. Yans allmorgendliche Motivationsansprachen an die Schüler, wurden zu einem Ritual. Eine kleine Geste von großer Bedeutung, wie Yan findet: „Ich möchte allen Schülern mit auf den Weg geben, dass jeder seine ganz eigenen Begabungen hat. Ich sage ihnen: Fühlt euch nicht schlecht und gebt nicht auf."
Schwierige Suche nach Lehrkräften
Bevor Yan seine Stelle als ehrenamtlicher Lehrer in der Grundschule antrat, hatte der Ingenieur bereits einige andere Bildungseinrichtungen für Kinder von Wanderarbeitern besichtigt. Die schlechte Unterrichtqualität dieser Schulen überraschte den 42-Jährigen, damit hatte er nicht gerechnet: „Einige Betreiber legen tatsächlich keinen besonderen Wert auf hochwertigen Unterricht, manchmal arbeiten sie sogar in die entgegen gesetzte Richtung", sagt er. „Schulen für Wanderarbeiterkinder gelten in der Regel als nicht profitabel und die Betreiber finden deshalb ihre ganz eigenen Wege, Geld mit den Einrichtungen zu machen."
Einer dieser Wege, die Yan meint, ist etwa, die Gehälter der Lehrer so niedrig wie möglich anzusetzen. Auch Veruntreuung, etwa bei den Verpflegungsgeldern, die die Elter der Schüler zahlen, sind keine Seltenheit. Manche Betreiber richten sogar Internetcafés in den Räumlichkeiten der Schulen ein.
Auch in der Yanjing-Grundschule war es mit der Vermittlung von Bildungsinhalten nicht weit. Das wurde Yan spätestens dann klar, als er seine Schüler bat, die Namen einiger Wissenschaftler, die ihnen bekannt waren, zu notieren. Keinem der Schüler fiel auch nur ein einziger Name ein.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen nach der Übernahme der Schule, rekrutierte Yan deshalb neue Lehrer und erhöhte die Gehälter der verbliebenen Lehrkräfte. Insgesamt tauschte der Ingenieur sieben der zehn Lehrer der Grundschule aus und hob ihren Monatslohn von zuvor 960 Yuan (rund 113 Euro) auf 2000 Yuan (236 Euro) an.
„Ich meine, dass ein höheres Gehalt der einzige Weg ist, bessere Lehrer anzuziehen", sagt Yan. „Wir können den Schülern vielleicht keine guten Schulranzen kaufen, aber wir müssen wenigstens dafür sorgen, dass sie von guten Lehrern unterrichtet werden."
Trotz der Verdoppelung der Gehälter können die angestellten Lehrer damit aber kaum die Lebenshaltungskosten in Beijing decken. Manche Lehrer verließen die Schule deshalb rasch wieder. Zhang Xiaofang ist eine von ihnen. Mehr als fünf Jahre lang unterrichtete die 28-Jährige in der Grundschule, im August 2011 verließ sie die Einrichtung schließlich. Die Familie und Zhangs Freund zweifelten daran, dass die junge Frau als Lehrerin an einer privaten Schule für die Kinder von Wanderarbeitern eine Zukunftsperspektive hätte. Zhangs Familie verschafften der 28-Jährigen eine Stelle in ihrer Heimatstadt und der Freund lockte sie mit einem Heiratsantrag.
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