11-11-2011
Porträt
Wachwechsel in Chinas Finanzwirtschaft: Hohe Erwartungen auf dem Markt
von Lan Xinzhen

Chinas Finanzwirtschaft, die von der internationalen Finanzkrise, der Schuldenkrise in Europa und der inländischen Rezession und Senkung der Immobilienpreise schwer in Mitleidenschaft gezogen worden ist, sucht derzeit vor allem nach Stabilität, die sie in einer Vertiefung der Reform zu finden erhofft.

Börse Shanghai

 

CBRC-Beamten beraten Beijinger Bürger in Fragen des persönlichen Finanzmanagements

 

Am 20. Oktober gab es ein großes Revirement unter Chinas obersten Wächtern über den Finanzmarkt. Der Personalwechsel betraf die Vorsitzenden der drei Kommissionen zur Überwachung der chinesischen Finanzwirtschaft: China Banking Regulatory Commission (CBRC), China Securities Regulatory Commission (CSRC) und China Insurance Regulatory Commission (CIRC). Insider deuten das Stühlerücken als Hinweis darauf, dass anstelle des Umbaus in Richtung Marktwirtschaft und Internationalisierung der Schwerpunkt in der Finanzwirtschaft gegenwärtig auf der Wahrung der Stabilität liegt.

Shang Fulin, ehemaliger CSRC-Vorsitzender, wurde zum Vorsitzenden der CBRC ernannt; Guo Shuqing, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der China Construction Bank, wurde zum CSRC-Vorsitzenden berufen und Xiang Junbo, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Agricultural Bank of China, wurde Vorsitzender der CIRC. Liu Mingkang, der ehemalige Vorsitzende der CBRC und Wu Dingfu, der ehemalige CIRC-Vorsitzende, gehen in Rente.

Shang Fulin verfügt als früherer stellvertretender Direktor der chinesischen Zentralbank und Präsident der Agricultural Bank of China über reiche Erfahrung auf dem Gebiet der Kreditwirtschaft, Risikokontrolle und Finanzmanagement. Er hat dabei komplexe Entscheidungen im Rahmen der Einführung des GEM (Growth Enterprise Market) und Aktienindex Futures getroffen, sowie federführend bei der Lösung von Fragen bezüglich Aktiensplittings gewirkt. Yang Zaiping, der stellvertretende Vorsitzende der China Banking Association schätzt Shang als Pragmatiker, der bei der Überwachung der wachsenden Risiken im Banksektor genau an der richtigen Stelle sei.

Lu Suiqi, der stellvertretende Direktor der Finanzabteilung des Wirtschaftsinstituts bei der Peking Universität, sagt, Guo Shuqing verfügt über mehrjährige Erfahrungen als hochrangiger Bankmanager und einen internationalen Horizont. Nach seinem Amtsantritt bei der CSRC wird er das System für die Ausgabe und den Handel mit Derivaten reformieren sowie die effektive Überwachung der Finanzinstitute und deren Informationspolitik verbessern.

Xiang Junbo kommt aus der Obersten Rechnungskammer und gilt als „eisern". Nach Auskunft von Lu ist Xiang Junbo Experte für Risikokontrolle und deshalb die ideale Besetzung für die Aufsicht über die Versicherungsbranche. 

Nach Lu sieht sich die chinesische Wirtschaft einer sehr komplizierten inländischen und internationalen Lage gegenüber. Die Finanz- und Schuldenkrise in Europa üben einen großen Einfluss auf China aus. Die drei neuen Vorsitzenden müssen die Bewahrung der Stabilität, die Aufwertung des Renminbi, die lokalen Schuldenkrisen, die Reform des Aktienwesens und eine ganze Reihe weiterer heikler Fragen sorgfältig behandeln. Es komme darauf an, trotz der Preissenkungen auf dem Immobilienmarkt die Stabilität der Finanzbranche zu bewahren, die eine wichtige Rolle für die Stabilität der chinesischen Wirtschaft spielt.

 

Herausforderungen

Guo Shuqing hat in seinem neuen Amt bereits Reformen eingeleitet: Am Abend des 2. November hat die Webseite der CSRC das Ergebnis der Überprüfung des Börsengangs von vier Unternehmen bekannt gegeben. Erstaunlicherweise haben drei dieser vier Unternehmen der Überprüfung nicht standhalten können. Es ist dies die strengste Überprüfung in diesem Jahr. Daran lässt sich ablesen, dass es zu Veränderungen in Praxis und Ablauf von Börsengängen kommen wird. Eine striktere Überprüfung der Firmenstruktur vor der Erstnotierung und eine strengere Aufsicht über die akquirierten Gelder scheint unmittelbar ins Haus zu stehen.  

Hu Jian, Direktor des Forschungszentrums für Finanzwirtschaft bei der Peking Universität, sieht in der Durchsetzung der Wende vom blindwütigen Akquirieren von Kapital zur sinnvollen Anlage von Kapital die größte Herausforderung, vor der Guo steht. Er müsse dringend die Reform des Kapitalmarktes vorantreiben, wozu auch die bereits vor längerer Zeit angekündigte Einführung eines „International Enterprise Boards" zur Internationalisierung chinesischen Kapitals, der Aufbau eines Freiverkehrsmarktes sowie die Risikodeckung bei kurzfristigem Kapitalfluss unter Liberalisierung von Kapitalkonten in China gehöre.

Mit noch grö ßerer Spannung werden jedoch die ersten Amtshandlungen von Shang Fulin erwartet. Da China 2012 das Regelwerk Basel Ⅲ einf ü hren wird, kommen vier neue Instrumente fü r die Bankenaufsicht zur Anwendung: Eigenkapitalquote, Rücklagen für uneinbringliche Forderungen , Fremdkapitalverhältnis bzw. Verschuldungsgrenze und eine erhöhte Liquidität. Diese Merkmale modernen Bankmanagements umzusetzen wird die vorrangige Aufgabe von Shang Fulin sein. 

Die größten Gefahren für Chinas Wirtschaft lauern jedoch auf dem Hypothekenmarkt. Vor dem Hintergrund der hohen Verschuldung der Lokal- und Provinzregierungen und der strikten Regulierung des Immobilienmarktes ist der Banksektor in den nächsten zwei Jahren einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Ein stabiler Übergang des Kreditgeschäfts weg von der Finanzierung des Immobilienmarktes als Hauptbetätigungsfeld und die Reduzierung des Risikos notleidender Kredite dürften die ganze Aufmerksamkeit Shangs beanspruchen.

Guo Tianyong, Direktor des Forschungszentrums für Chinas Banksektor bei der  Zentralen Hochschule für Wirtschaft und Finanzwesen, sagt, dass in den acht Jahren, da Liu Mingkang Vorsitzender der CBRC war, dieser ein komplettes Überwachungssystem etabliert hatte, das eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Bankensektors und der Risikodeckung gespielt hat. Zunächst bräuchte Shang dieses System lediglich festigen und stärken.

Insider vertreten die Ansicht, dass Shang nicht so schnell Maßnahmen zur Lösung der Probleme der Bankwirtschaft ergreifen wird. Seinem Führungsstil entspräche es eher, Kurs zu halten und Risiken zu minimieren. Er wird nur nach vorsichtigem und sorgfältigem Abwägen die von seinem Vorgänger hinterlassenen Probleme angehen. 

Bei den Newcomern steht Xiang Junbo vielleicht vor den größten Herausforderungen, denn in diesem Jahr ist das Wachstum der Beiträge für Lebensversicherungen deutlich gesunken und die Zahl neuer Vertragsabschlüsse ist rückläufig. Außerdem steckt die chinesische Versicherungsbranche in einer Vertrauenskrise. Der Ausbau der Versicherungskasse, die Erhöhung ihrer Rentabilität und die Lösung der drängenden Frage der langfristigen Finanzierung des Versicherungssystems angesichts einer alternden Gesellschaft sind die Problemlagen, mit denen Xiang vor allem zu tun haben wird.

Xiang hat keine Erfahrung auf dem Versicherungssektor, was seine Ausgangslage erschwert. Die Versicherungswirtschaft setzt in ihn allerdings hohe Erwartungen.  Während seiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender der Agricultural Bank of China gelang es ihm im Februar 2011, den Erwerb von Anteilen der Jiahe Life Insurance Co. Ltd. unter Dach und Fach zu bringen und so die Teilhabe der Bank am Versicherungsgeschäft zu fördern. Branchenkenner sehen hier Chancen für eine strategische Zusammenarbeit von Banken und Versicherungen. Xiang legt auch großen Wert auf den Ausbau der Dienstleistung der Banken für die Landwirtschaft, ländliche Gebiete und Bauern. Ob er der Versicherung für die Bewohner ländlicher Gebiete aufhelfen kann, wird daher mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden.