11-10-2011
Porträt
„Wir wollten auch die Stimmen hören, die bei uns nicht gehört werden“
von Matthias Mersch

Wie sehen Sie künftige Kulturarbeit in einem größeren Rahmen? In einer medial vernetzten Welt ist per Knopfdruck fast alles verfügbar, auch virtuelle Besichtigungen von Ausstellungen, aber trotzdem scheinen nach wie vor Verständnisbarrieren zu bestehen.

Ich finde, die bestehen immer häufiger, seltsamerweise! Die Oberflächlichkeit, die sich dadurch ausbreitet, dass man alles anklicken kann, verhindert eine aufmerksame Wahrnehmung der Kunst. Aber im Grunde möchte man doch lieber der Wirklichkeit, dem Objekt begegnen. Das ist auch der Reiz eines Besuchs im Museum. Ich sehe dort tatsächlich dieses alte Dokument und nicht die Kopie eines alten Dokumentes. In einem Konzert höre ich tatsächlich diese Künstlerin singen, tanzen, spielen. Das ist heute wichtiger denn je, wird aber gerade durch die mediale Verfügbarkeit oft verschüttet. Nehmen Sie die chinesische Choreographin, Sängerin und Opernregisseurin Tian Mansha. Ihre letzten Aufführungen in München, Amsterdam, Brüssel, Antwerpen und Rom waren alle ausverkauft. Das weist darauf hin, dass die Menschen die persönliche, direkte, unmittelbare Begegnung haben wollen. Ich glaube, dass hierin das eigentlich Bereichernde liegt: Die Begegnung mit dem Original, nicht mit dem Abbild!

 

Wie sehen Sie die Gewichtung in der Kulturarbeit zwischen traditioneller Kultur und Gegenwartskultur, sowie innerhalb dieser die Unterteilung in „ Prominenz" und „Randerscheinung",also Künstler als interessante Randerscheinungen, die keinen Prominentenstatus genießen. Welches Mischungsverhältnis zwischen diesen Kategorien empfiehlt sich für ein interessantes Programm?

Das ist eine schwierige Frage, die mich insbesondere im Haus der Kulturen der Welt beschäftigt hat, als wir dort 2006 das große Programm mit chinesischen Künstlern präsentierten. Wir haben das Programm Cultural Memory genannt, das Kulturelle Gedächtnis. Uns interessierte die Frage, worin besteht die Verbindung zwischen Tradition und Moderne?

Eine der Kuratorinnen war die Komponistin und Schriftstellerin Liu Sola. Sie ist eine von vielen chinesischen Künstlern, die in traditionellen Kunstformen ausgebildet wurden, dann aber selbst eine eigene Moderne geschaffen haben. In der Publikation zu den Xiqu, der reichen Tradition chinesischen Musiktheaters, präsentierten wir neben Tian Mansha mit Ke Jun, Zhao Zhigang, Liu Xiaofeng und Wu Hsing-Kuo große Künstler dieser Traditionen, die sich jedoch der Moderne geöffnet haben. Wie macht ihr das, wenn ihr ins Zeitgenössische geht? Über einen Zeitraum von zwei Jahren haben wir sichtbar gemacht, wie die Verbindung zwischen dem Zeitgenössischen und der Tradition funktioniert. Ich finde es wichtig, dass Kunst sich seiner jeweils spezifischen Wurzeln bewusst ist und kein Einheitsbrei entsteht. Ich sage das jetzt mal überspitzt: Was hat es für einen Sinn, dass jemand in Brasilien oder China genauso malt wie ein Künstler aus Leipzig oder Berlin? Ich finde es viel interessanter, wenn er aus seiner eigenen Tradition die Moderne schafft.

 

Wobei der Rückgriff auf Versatzstücke traditioneller Kultur natürlich auch wieder eine Marktstrategie sein kann, die der Künstler verfolgt.

(Lacht) Klar! Aber das können wir nicht überprüfen!

 

Hans-Georg Knopp, geboren am 13. Januar 1945 in Bernburg an der Saale, hat Indologie, Islamkunde und Politologie in Tübingen, Wien und Gießen studiert und wurde 1974 in Marburg im Fach Indologie promoviert. Im darauf folgenden Jahr beginnt er seine Tätigkeit beim Goethe-Institut, die ihn unter anderem nach Bombay, Colombo, Jakarta und Singapur führt. Von 1986 bis 1991 arbeitet er im Stammhaus des Instituts in München und leitet anschließend bis 1996 das Goethe-Institut Chicago. Dort schließt er Bekanntschaft mit Vertretern des Postkolonialismus wie Homi Bhabha und Edward Said, was den Inhalt seiner Kulturarbeit nachhaltig beeinflusst. Nach Deutschland zurückgekehrt, verlässt er das Goethe-Institut, um am Haus der Kulturen der Welt in Berlin zunächst Generalsekretär und ab 2002 Intendant zu werden. 2005 kehrt er als Generalsekretär zu seinem alten Arbeitgeber zurück.  

 

 

 

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