Vor dem 90-jährigen Jubiläum der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas hat die Beijing Rundschau Professor Theodor Bergmann, einen 95-jährigen Wissenschaftler und langjährigen Abonnenten der Beijing Rundschau, der sich selbst als „kritischen Kommunisten" bezeichnet, über seine Einschätzung der KP Chinas und seine Vorstellungen über die Entwicklung in China interviewt.
Theodor Bergmann, der gegenwärtig zum vierzehnten Mal China besucht, ist Autor, Herausgeber und Übersetzer zahlreicher Bücher zur Agrarpolitik und zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Seit 1978 ist er ein regelmäßiger Besucher der Volksrepublik China und hat die politische und wirtschaftliche Entwicklung in China zu beobachten versucht.
Beijing Rundschau: Dieses Jahr begeht die Kommunistische Partei Chinas ihren 90. Gründungstag. Ihre Lebenszeit, Herr Bergmann, umfasst die gesamte Spanne der Geschichte der KPCh. Können Sie sich daran erinnern, wie sich Ihre Vorstellungen von der KP Chinas in den zurückliegenden Jahrzehnten geändert haben?
Theodor Bergmann: Die Kommunistische Partei Chinas hat eine wichtige Rolle gespielt in der Geschichte Chinas und spielt heute eine wichtige Rolle in der Weltgeschichte und Weltpolitik. Sie ist gegründet worden von wenigen Idealisten, die einen jahrzehntelangen schweren historischen Kampf geführt haben; dabei wurde viel diskutiert und gestritten. Es gab ständig einen Kampf zweier Linien, was ich für sehr wichtig halte, denn ich glaube, dass die kommunistische Bewegung lebendig und offen sein muss, innerlich demokratisch. Sie muss offen sein für Kritik und Diskussion, damit die Fehler, die Kommunisten gemacht haben, minimiert werden können.
Die Kommunistische Partei Chinas hat im Befreiungskrieg (1945-1949) Großes geleistet. 1949 war bei den Werktätigen und Sozialisten eine große Begeisterung. Ich halte es für eine große Leistung, dass es den chinesischen Kommunisten gelungen ist, das chinesische Volk in eine neue Gesellschaftsordnung zu führen.
Wie beurteilen Sie die KP Chinas von der Gründung der VR China über die Reform und Öffnung bis heute?
Auch nach der Revolution, nach dem Sieg der KP Chinas, war es nicht einfach, ein so großes Land zu regieren. Fehler sind fast unvermeidlich, worauf es ankommt, ist, dass diese Fehler möglichst schnell korrigiert werden. Ich glaube, die großen Fehler der chinesischen Kommunisten waren der „Große Sprung nach Vorn" und die „Große Proletarische Kulturrevolution". Die beiden großen Fehler haben die chinesischen Kommunisten 1981 nach einer langen Diskussion offen verurteilt. Ich halte es für eine große historische Leistung, dass Kommunisten an der Macht sagen können, wir haben uns geirrt, wir sind selbst dafür verantwortlich, dass das nicht wieder passiert. Es ist wichtig, dass die Opfer der Kulturrevolution öffentlich rehabilitiert wurden. Ich denke, dass es unter Kommunisten immer verschiedene Meinungen geben wird und geben soll, dass wir auf eine demokratische Weise diskutieren, was das Beste ist.
Ich halte es für eine große Leistung, dass die alten Kommunisten Deng Xiaoping, der dreimal abgesetzt war und dreimal wiederkam, unterstützt und wieder an die Macht gebracht haben. Deng Xiaoping hat eine große historische Leistung vollbracht. Diese hat es China ermöglicht, sich weiterzuentwickeln, aus der ökonomischen und gesellschaftlichen Sackgasse herauszukommen. Heute ist China eine große moderne Gesellschaft, in der alle Menschen vorwärts kommen können, in der für alle gesorgt wird, auch wenn es immer noch Probleme gibt.
Deng Xiaopings Politik der Reform und Öffnung ist eine sehr gute Idee, und sie ist erfolgreich gewesen. Damit wurden die Schwierigkeiten der überzentralisierten Planwirtschaft behoben. Es gibt weiter Planwirtschaft, aber die Planung ist lockerer und offener geworden. Am Anfang war ein direkter Plan in der großen Not notwendig, aber wenn die Wirtschaft sich weiter entwickelt und sich diversifiziert, dann muss man öffnen. Markt und Plan sind keine Gegensätze. Im Sozialismus gab und gibt es immer Markt. Nur wenn man die Menschen arbeiten läßt und ihnen Anteil am Fortschritt gibt, dann machen alle motiviert mit.
Die chinesischen Kommunisten haben heute eine große Bedeutung für die Welt. Unsere Aufgabe ist es, diese Gesellschaft ständig zu verbessern und in der Welt Rationalität, Frieden, Hilfe für alle Völker zu bringen, durch Kritik, durch Mitarbeit, durch Hilfe und durch Solidarität.
Welche chinesischen Kommunisten haben Sie kennen gelernt? Welchen Eindruck hatten und haben Sie von den chinesischen Kommunisten?
Ich habe eine Reihe chinesischer Kommunisten kennen gelernt, einer von ihnen war Israel Epstein, den ich gut gekannt habe. Es hat mich sehr beeindruckt, dass er nach so vielen Jahren im Gefängnis noch immer Kommunist geblieben war. Ich erlebte ihn als einen klugen Menschen, der sein ganzes Leben für den Kommunismus und für die Arbeiterbewegung einsetzte.
Wang Guangmei hat mich auch sehr beeindruckt, eine mutige Frau, die nach so vielen Jahren in der Kulturrevolution, die ihr Haft eingetragen hat, doch weiter für den Kommunismus gearbeitet hat, für den Aufbau des Staates, für arme Kinder und so weiter. Ich habe mit ihr ein langes Gespräch geführt.
Warum ist die KP Chinas als Regierungspartei erfolgreich?
Ich denke, die chinesischen Kommunisten haben viele Erfolge erzielt. Sie haben einem Volk, das zum großen Teil nicht lesen und schreiben konnte, in dem es Hunger, Elend und Unterdrückung gab, dabei geholfen, eine andere Gesellschaft zu schaffen. In dieser Gesellschaft geht jedes Kind in die Schule, Millionen Arbeiterkinder können auf die Universitäten gehen. Eine Gesellschaft, in der es den Menschen besser geht als früher, in der es im Allgemeinen keinen Hunger gibt. Eine Gesellschaft, die nach besseren Verhältnissen für alle strebt, nicht bloß für eine kleine Minderheit. Ich glaube, das ist eine große Leistung in einem Entwicklungsland.
Ich denke, dass die Kommunistische Partei Chinas lebendig ist und immer neue Reformen, neue Ideen aufbringt. Eine kommunistische Partei muss mit der Zeit gehen, muss die neuen Probleme verstehen. Ich denke, dass die chinesischen Kommunisten einen richtigen Kontakt haben zum Weltgeschehen und zum Geschehen im eigenen Land, und dass sie im Stande sind, darauf sachlich und vernünftig zu reagieren.
Was wollen Sie durch die Beijing Rundschau den Lesern mitteilen?
Ich möchte den chinesischen Arbeitern und Bauern sagen, dass sie eine große Leistung vollbracht haben, dass sie noch viel Arbeit zu machen haben werden, dass es kein Paradies geben wird, es aber eine Gesellschaft geben kann, in der es allen Menschen noch ein bisschen besser geht. Wo die Arbeitzeit verkürzt wird, wo es für jeden eine Sozialversicherung, die man derzeit ausbaut, geben wird. Wo alle Menschen ohne Sorgen leben können, wo alle Kinder in die Schule gehen können, wo alle tüchtigen Schüler und Schülerinnen auf die Universität gehen können.
Den deutschen sozialistischen Lesern möchte ich sagen, dass ich überzeugt bin, dass die chinesischen Kommunisten wirklich Kommunisten sind und China auf den Weg zum Sozialismus führen. Es ist unsinnig zu glauben, dass die chinesischen Kommunisten den Kapitalismus eingeführt haben oder einführen werden.
Allen anderen will ich sagen, dass es unsinnig ist, China zu fürchten, die Welt ist groß genug für uns alle. Sie haben alle Platz, alle können satt werden, sie sollten China nicht als unseren Feind oder als unseren Konkurrenten betrachten.
Lebenslauf von Theodor Bergmann
Theodor Bergmann wurde 1916 in Berlin geboren. 1927 trat er dem Jungspartakusbund und dem Sozialistischen Schülerbund bei. Doch er verließ bald beide Organisationen, da sie unkritisch der Linie der KPD folgten. 1929 schloss er sich der Jugendorganisation der soeben gegründeten KPD-Opposition an. Unmittelbar nach der Machtübergabe an Hitler 1933 musste er aber Deutschland verlassen und arbeitete als Landarbeiter zuerst in Israel (Palästina), dann bis 1938 in der Tschechoslowakei und anschließend in Schweden. Nach seiner Rückkehr 1946 in die britische Zone Westdeutschlands gab er mit seinen Freunden die Zeitschrift der unabhängigen Kommunisten „Arbeiterpolitik" heraus. Nach dem Studium der Agrarwissenschaft in Bonn promovierte er 1955 an der Universität Hohenheim, wo er sich 1968 habilitierte. 1973 erhielt er in Hohenheim eine Professur für International Vergleichende Agrarpolitik. Seit Ende 1989 ist er Mitglied erst der PDS, jetzt der Linken. Zahlreiche Forschungsreisen und sein Engagement als kritischer Kommunist führten ihn in viele Länder der Welt. Vor dem 60-jährigen Jubiläum der Gründung des VR China 2009 hat Professor Theodor Bergmann, mit der Journalistin der Beijing Rundschau über seine Vorstellungen von der sozialistischen Gesellschaft nach der Gründung der VR China und seine Ansicht von der Zukunft von Sozialismus und Marxismus gesprochen.
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