Heute ist die Provinz eine der wohlhabendsten – nach der Provinz Guangdong im Süden und der Provinz Shandong im Osten. Und dennoch waren einige Teile Yiwus „nicht in der Lage mit der halsbrecherischen Entwicklung seiner Warenwirtschaft mithalten", sagt Wang Gang, Vizedirektor für Öffentlichkeitsarbeit der Lokalregierung Yiwus.
Als er noch jünger war, verkaufte Jin Guoyuan, 61, Modeschmuck in der Stadt, aber nachdem sein Unternehmen gescheitert war, kehrte er in das Dorf zurück, um weiter Obst anzubauen. Die Orangen, Pfirsiche und Beeren aus den Gärten Jinfus werden am Fruchtmarkt in der Yiwu-Stadt verkauft und das angebaute Gemüse wird von den Dorfbewohnern selbst konsumiert.
„Der Verkehr und die Wohnungen verbessern sich", sagt Jin, neben seiner Frau, die sich um den trocknenden Fisch kümmert.
Dutzende weiß gestrichene Häuser säumen die engen Gässchen seines Dorfes. Früher nutzten die Menschen die Wasserwege, um zu verreisen, heute gibt es Straßen und auch einige Grundschulen. Die Stadt Yiwu wurde im letzten Jahrzehnt zusammen mit dem wachsenden Handel immer urbaner.
Exporte, das Rückgrat des Geschäftes in Yiwu, wuchsen um 45 Prozent in der ersten Hälfte des Jahres – im Vergleich zu 32 Prozent für das Wirtschaftsjahr 2013-14, erklärte Wang Birong, der Generaldirektor des Handelsbüros Yiwus der China Daily.
Von Januar bis Juli dieses Jahres betrugen die Exporte insgesamt 15,4 Milliarden und im gesamten letzten Jahr machten sie 23,7 Milliarden aus, sagte er.
Jin Guohui, ein Lehrer mittleren Alters aus Jinfu, sagt, dass an der Stelle des klimatisierten mehrstöckigen internationalen Handelszentrums früher ein Bazar war, wo in den späten 1970ern Snacks und Nudelgerichte auf der Straße verkauft wurden. Vor kurzem entdeckten die Einwohner eine neue Einkommensquelle aus Tourismusaktivitäten wie Obstpflücken.
Es gibt ungefähr 20 Dörfer im näheren Umkreis.
Viele der älteren Bewohner des ländlichen Yiwu leben nicht mehr von der Landwirtschaft, sondern kümmern sich um die Kinder, deren Eltern in der Stadt arbeiten. Aber anders als in den meisten anderen chinesischen Städten, leben junge Paare relativ nah bei ihren Kindern und Eltern, da die Distanz zwischen Stadt und Land vergleichbar gering ist.
Eine dieser Großmütter ist Shen Lizhen, 57, die sich um das Baby ihrer Tochter kümmert. Sie und ihr Ehemann waren ihr Leben lang Bauern, die die Ruhe ihres Dorfes schätzen. Ihre Kinder leben nun in der Stadt Yiwu, ein Ort, den sie als teuer beschreibt. Sie sagt, abgesehen von dem Bau der Infrastruktur habe der Markt relativ wenig Einfluss auf ihr Leben.
„Die Früchte könnten sich besser verkaufen", sagt Shen.
Sie nutzt einen tragbaren Ventilator, um sich im heißen und feuchten Spätjuliwetter Erleichterung zu verschaffen. Zwischendurch ermahnt sie immer wieder ihren Enkel acht zu geben, der versucht, sich seinen Weg durch das vollgestellte Haus zu bahnen. Shen sieht gestresster, müder und älter aus, als sie ist.
Xinlou, das Nachbardorf, ist mit etwa 400 Einwohnern ein wenig kleiner. Es ist etwas besser entwickelt als Jinfu, wenn man nach dem Beton in den Straßen und Häusern, und sogar an der Umrandung eines Teiches, urteilt. Es gibt hier mehr Gemüsefelder als Obstanbau und Handwerk aus dem Dorf wird in Yiwu verkauft.
Doch die Struktur ist ähnlich: das Dorf ist das Zuhause der älteren und der ganz jungen Generation.
Es ist kurz vor Mittag und die sonnigen Dorfstraßen sind menschenleer. Durch die offene Tür eines Hauses kann man eine Frau beim Flechten eines Korbes aus Plastikstroh beobachten. Ein Poster an einer ihrer Wände ist eine Kollage aus den sieben Mitgliedern des Ständigen Ausschusses des Politbüros der KP Chinas, des höchsten Entscheidungsgremium der Kommunistischen Partei Chinas.
Das entfernte Zirpen der Grillen trägt zusätzlich zum sedativen Charme des Dorfes bei.
Lou Bingquan, ein Bauarbeiter aus der Gegend, eilt die Straße herab. Er ist einer der wenigen Dorfbewohner, der einen anderen Beruf als in der Landwirtschaft, Haushalt oder Babysitting hat. Aber sogar für Lou sind die Verlockungen der Stadt kaum zu verleugnen, sagt er, als er kurz stehenbleibt.
Die Szene in einem Geschäft an einer Ecke zeigt einen Blick in das Leben der Anderen.
Drei Frauen in westlicher Kleidung sitzen rund um einen Tisch und spielen Karten. Eine hat ein kleines plärrendes Kind dabei. Am Boden rund um sie herum liegen die Reste der Sonnenblumenkerne, eine beliebte Nascherei in China. Der Raum füllt sich mit Gelächter, als die Frauen versuchen, sich gegenseitig beim Spiel auszutricksen.
Sie alle sind enge Freunde der Geschäftseigentümerin Hu Liqin, 40.
„Das Dorf ist ruhig und angenehm", sagt Hu. „Aber ich möchte nach Yiwu ziehen, um mehr Geld zu bekommen… die Leute dort sind reicher."
Der Lebensmittelladen, der sie versorgt und mit dem sie die Schule ihres Sohns außerhalb des Dorfes bezahlt, hält sie momentan noch davon ab, die Flucht zu ergreifen. |