02-09-2015
Im Focus
China verdient mehr Anerkennung für seinen Einsatz im Zweiten Weltkrieg
von Kerry Brown

Kriegsgräuel

Mit dem Massaker an mehr als 300.000 Zivilisten und entwaffneten Soldaten in Nanjing, der damaligen Hauptstadt Chinas, verübte die japanische Armee 1937 eins der ungeheuerlichsten und unmenschlichsten Kriegsverbrechen der modernen Geschichte. Augenzeugenberichte von Ausländern, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Stadt aufhielten, berichten vom allgegenwärtigen Abschlachten von Männern, Frauen und Kindern, Vergewaltigungen und dem unsäglichem Leiden der Bevölkerung, die den nach Nanjing einrückenden japanischen Streitkräften hilflos ausgeliefert war. Die Tatsache, dass einige Japaner bis heute das Ausmaß der Zerstörung in Nanjing verleugnen, sorgt für tiefgehenden Unmut und Zorn. Das ist verständlich. Das Ausmaß des Leidens abzustreiten, bedeutet, eine sowieso schon gigantische Ungerechtigkeit um weitere Verletzungen zu vergrößern. Es beleidigt die Erinnerung an diejenigen, die damals in der Stadt den Tod fanden, ihre Verwandten und diejenigen, die sich an sie erinnern.

In Shanghai errichteten die japanischen Streitkräfte eine Kriegsfront innerhalb einer dicht besiedelten Region der Stadt. Fotos aus dieser Zeit zeigen Kinder mit schweren Verbrennungen, die von ihren Eltern – selbst verwundet oder ermordet – verlassen worden waren. Andere Bilder zeigen, wie chinesische Kriegsgefangene in Gruben getrieben wurden, bewacht von japanischen Soldaten, die zusahen, wie sie lebendig begraben wurden.   

In seiner einflussreichen Hitler-Biographie spricht der britische Historiker Ian Kershaw davon, wie Nazi-Deutschland, einst ein zivilisiertes und kultiviertes Land, durch die hasserfüllte und hetzerische Ideologie der Nazis den Zusammenbruch seiner Zivilisation und die Perversion seiner Werte erlebte. Gewalttätigkeit in Wort und Tat wurde beinahe zur Normalität während der Hitler-Zeit mit ihrer Verehrung roher Gewalt und ihrer Missachtung des Werts menschlichen Lebens. Im kaiserlichen Japan herrschte derselbe Mangel an Menschlichkeit. Der Ehrgeiz der Anführer des Tokioter Regimes bestand darin, eine gewaltige „Großostasiatische Wohlstandssphäre" zu schaffen, ein Programm, das eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit zum nationalsozialistischen Konzept des Lebensraums aufweist. Im Kern verbarg sich dahinter einfach nur das Eigeninteresse eines Regimes, das allein auf Herrschaft ausgerichtet war und sich den Ideen der rassischen Überlegenheit verschrieben hatte, die die grausame Behandlung der Nachbarländer rechtfertigen sollte.

In den Jahren bis 1945 fand eine der großen Schlachten gegen die gefährliche imperialistische Weltsicht der Japaner und die brutalen Methoden, die sie zu ihrer Verwirklichung einsetzten, statt. Millionen von Chinesen zahlten dafür mit dem Leben. Viele wurden im Krieg getötet, eine erschreckend hohe Zahl starb infolge der Misshandlungen in Kriegsgefangenschaft oder sie wurden durch die kaiserlichen Truppen versklavt. Nehmen wir die Trostfrauen (ein japanischer Euphemismus für rund 200.000 Frauen, die während des Krieges in die Prostitution gezwungen wurden),  ein tragisches Thema, das auch 70 Jahre nach dem Krieg noch bewegt und so viele Auseinandersetzungen und Verletzungen hervorruft wie in den Jahrzehnten zuvor. Dass so viele Frauen entführt und brutal missbraucht wurden und unter so harten Bedingungen leben mussten, ist kaum zu glauben. Und doch war es Teil der Kriegsrealität im Asien der 1940er Jahre.

 

Lernen aus der Vergangenheit

China durchlebte im Anschluss an die Invasion weitere Unruhen im Bürgerkrieg. Nach 1949 begann der lange Prozess des Wiederaufbaus. Heute ist China nicht mehr wiederzuerkennen, es hat mit dem Land, dessen Verkehrsinfrastruktur ab 1937 stark zerstört wurde, fast nichts mehr gemein. Der Traum von einem modernisierten China, der gegen Ende der Qing-Dynastie vor 1911 begann, Gestalt anzunehmen, ist mittlerweile in einigen Teilen bereits Realität. Städte wie Shanghai und Beijing, die noch vor 1945 Schlachtfelder waren, werden heute durch moderne Wolkenkratzer und eine aufstrebende Mittelklasse von globaler Bedeutung dominiert, die zu den ehrgeizigsten und wohlhabendsten in der asiatischen Region zählt.  

Für moderne Chinesen mag der Zweite Weltkrieg heute nur eine entfernte Erinnerung sein. Nur wenige haben noch eigene Erinnerungen daran. Schauplätze der traumatischsten Kriegsereignisse wie Nanjing sind vollständig wiederaufgebaut worden. Japanische Unternehmen und Touristen besuchen China, beide Länder investieren ineinander und pflegen umfangreiche und vielseitige Verbindungen.

Dennoch lauert der Zweite Weltkrieg immer noch im kollektiven Gedächtnis des Landes. Er ist ein Ereignis, an das man sich weiterhin erinnert und über das in der Öffentlichkeit diskutiert wird, allgemein wird er als eine Zeit großer Verletzungen und Verluste wahrgenommen. Die meisten sind der Ansicht, dass man sich daran erinnern muss, damit sich der sinnlose Verlust von Leben und die Zerstörungen durch den Krieg nicht wiederholen. Noch stärker als vielleicht in Europa sahen die Chinesen ihr Land einem so bösartigen und erbarmungslosen Angriff ausgesetzt, dass viele sich fragten, ob es jemals in der Lage sein würde, sich davon zu erholen.  Wenn sie sich am Ende durchgesetzt hätte, hätte die kaiserliche japanische Armee dieselbe unmenschliche Schreckensherrschaft ins Land gebracht, die sie vor ihrer Niederlage in China und anderswo bereits teilweise in die Tat umgesetzt hatte.

Daher ist der 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges nicht nur in Asien, sondern in der ganzen Welt ein Grund zum Feiern. Er markiert die Bezwingung einer der schlimmsten und grausamsten Kriegsmaschinerien, die die Welt jemals erlebt hat, nicht nur für die Chinesen, sondern für die gesamte menschliche Rasse. Die Chinesen standen den alliierten Streitkräften im gigantischen Kampf gegen den Faschismus zur Seite und zahlten einen genauso hohen – vielleicht sogar höheren – Preis wie viele andere. Dieser Beitrag zum Wohlstand und zur Stabilität der modernen Welt sollte niemals vergessen werden, der Heroismus und das Opfer der Chinesen sollten gefeiert und mit erhobener Stimme und voller Stolz anerkannt werden.

 

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