25-08-2015
Im Focus
Thangkas kehren nach China zurück
von Sudeshna Sarkar

Die Erdbebenkatastrophe in Nepal hat die traditionelle tibetische Kunstform stark in Mitleidenschaft gezogen. Nun setzen die Künstler auf China als neuen Markt.

Tanka Bahadur Bal Tamang, dessen Vorfahren aus Tibet stammen, fördert junge Nepalesen in der Kunstform der Thangka, die von tibetischen Mönchen verbreitet wurde.

An einem entspannten und verschlafenen Samstagnachmittag hatte Tasi Lama gerade sein gemütliches Mittagessen beendet und wollte sich die Hände waschen, als der Boden unter seinen Füssen plötzlich anfing, stark zu schwanken. Gegenstände krachten von oben herab, begleitet von immer lauteren und entsetzten Schreien um ihn herum.

Auch einige Monate danach erinnert sich der Maler aus dem Kathmandutal in Nepal deutlicher an diesen Tag als an seine Hochzeit oder die Geburt seines Sohns.

81 Jahre nach einer ähnlichen Katastrophe schlug am 25. April ein Erdbeben eine Schneise der Verwüstung durch Nepal, das ehemalige Königreich am Himalaya, versteckt gelegen zwischen seinen gigantischen Nachbarn China und Indien.

Das tödliche Beben und die mehr als einen Monat anhaltenden Nachbeben kosteten mehr als 8000 Menschen das Leben, machten Tausende Häuser dem Erdbeben gleich und zerstörten eine Wirtschaft, die bereits durch zehn Jahre des Aufruhrs und der politischen Instabilität gelitten hatte.

Auch für den alten Kunststil, wie ihn nepalesische Maler wie Lama praktizierten, hatte die Katastrophe Konsequenzen.

"Wir haben unsere Häuser verlassen und lebten einen Monat lang unter Planen auf den Feldern außerhalb der Stadt", erzählt Lama. „Viele der aus Schlamm und Ziegelsteinen errichteten Häuser waren nur noch Ruinen und die Nachbeben gingen weiter, wenn auch weniger häufig. Eines Tages ging ich in meinen Ausstellungsraum, um einige meiner Bilder herauszuholen und die Erde begann, erneut zu beben. Ich ließ alles fallen und rannte um mein Leben."

Seit dem Beben sei sein Ausstellungsraum und Atelier, das Buddha Stupa Thangka Center, geschlossen, seine Künstler seien zu traumatisiert, um schon wieder einen Pinsel in die Hand zu nehmen, erzählt Dinesh Lama, ein 32-jähriger Künstler aus der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu.

"Mehr als einen Monat lang lebten wir in provisorischen Zelten", berichtet er. „Wenn die Maler jetzt versuchen, drinnen im Atelier zu sitzen und zu malen, fangen ihre Hände vor Angst an zu zittern."

Alte Traditionskunst aus Tibet

Generationen nepalesischer Künstler haben Thangka geschaffen, eine komplizierte und heilige Kunst, die in den Klöstern Tibets ihren Ursprung hat und sich in buddhistischen Ländern wie Nepal, Sikkim, Indien, der Mongolei und sogar Teilen Russlands verbreitete.

Thangka bedeutet wörtlich "aufgezeichnete Botschaft". Thangka-Malereien entwickelten sich aus Wandmalereien von Mönchen, sie werden für Gebete oder die Unterweisung in religiöse Gebote benutzt. Die Wandmalereien, die man in den Mogao-Grotten in der nordwestlichen Provinz Gansu und den Ajanta-Höhlen in Westindien fand und kürzlich auch in den Höhlen im Bezirk Mustang im Norden Nepals entdeckte, sind die Vorläufer der Thangka-Bilder.

Tanka Bahadur Bal Tamang, ein 41-jähriger Thangka-Künstler aus Kathmandu, beschreibt, wie die Kunstform nach Nepal kam: "Wenn tibetische Mönche auf eine Reise gingen, mussten sie Kopien der Bilder ihrer Götter für ihre Rituale mitnehmen. In Nepal fanden sie außergewöhnliche Kunsthandwerker und gaben ihnen Seidenballen, um die Bilder darauf zu kopieren, weil sie dann wie Schriftrollen eingerollt und leicht transportiert werden konnten. Früher wurden die Leinwände aus Tierhaut hergestellt, sie waren schwer und nicht leicht zu transportieren. Daher wurden sie durch Seide ersetzt. Aber die Maler nutzen weiterhin einen Leim aus Tierhaut, darum riechen die Bilder leicht danach."

Die Themen der Thangkas sind religiöser Natur: Darstellungen der buddhistischen Götter, der verschiedenen Lebensstationen Buddhas, des Kreislaufes aus Geburt, Leben und Sterben, an den die Nicht-Erleuchteten gefesselt sind, sowie Mythen. Ihre Größe variiert zwischen Plakat- und Riesenformaten, die ganze Wände bedecken. Die Erstellung eines einzelnen Thangka kann zwischen drei Monaten und mehreren Jahren dauern. Dabei zeichnet der Meistermaler die wichtigen Figuren, seine Lehrlinge füllen den Rest aus, genauso wie es der Arbeitsweise in der italienischen Renaissance  entsprach. Einige der ausgereifteren Thangkas verwenden Farben, denen 24-karätiges geschmolzenes Gold beigemischt ist, so dass ein schimmernder Effekt erzielt wird. Die Bilder sind ein wichtiger Bestandteil im Alltag vieler Buddhisten, sie werden für Gebete, Totenrituale und andere Gelegenheiten verwendet.

Wie es das Schicksal so will, lebte im Kathmandutal  ursprünglich die Volksgruppe der Newar, die berühmt war für ihre außergewöhnlichen künstlerischen Fähigkeiten. Die Kunsthandwerker der Newar malten, stellten exquisite Keramik her, arbeiteten mit Holz und Metallen, einschließlich Silber, Gold und Edelsteinen. Sie integrierten die Thangka-Bilder in ihre Kunst, sorgten für einen lokalen Anstrich und verliehen dem Stil einen eigenen Namen. Bei einem der Newar-Klans handelte es sich um unerschrockene Händler, sie reisten entlang der historischen Seiden- und Salzstraße und verbreiteten die Thangka-Kultur weiter.

Da die Thangka sich bemerkenswerterweise in Nepal weiterentwickelten, war die einzige andere Volksgruppe, die ausschließlich diese Kunstform praktizierte, die Tamangs. Es ist sozusagen die Kunst, die sie im Blut haben, denn die Tamangs gelten als Nachfahren der Tibeter. Der Familienname der meisten Tamangs lautet Lama, das bedeutet, dass sie Nachkommen von Mönchen oder Priestern sind.

Tamang, der Betreiber der Thangka-Schule Manjushree Thangka und eines Ausstellungsraums im Kathmandutal, berichtet, dass seine Vorfahren aus Tibet stammten und sich in Nepal niederließen. Er spricht fließend Chinesisch und unterrichtet junge Schüler im Kathmandutal genauso wie Thangka-Liebhaber in Japan. Im Laufe ihrer Reise um die ganze Welt hat diese Kunst unterschiedliche Elemente verschiedener Länder angenommen und ist zu einer vielfältigen und doch einzigartigen Kunstform geworden.

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