Wege zu einer friedlichen Trennung
Was auch immer die Gründe dafür sind – die Scheidungsrate in China ist im vergangenen Jahrzehnt gestiegen.
Heute glaube niemand mehr, dass die Ehe eine lebenslange Verpflichtung sei und diese verwässerte Idee von der Ehe habe zu mehr Scheidungen geführt, erklärte Li Hongxiang, Juraprofessor an der Universität Jilin in der gleichnamigen Provinz. Die aktuellen Vorschriften zur Eheregistrierung, die 2003 in Kraft traten, hätten es ebenfalls leichter gemacht, sich auf zivilrechtlichem Wege scheiden zu lassen.
"Die Gesellschaft ist Scheidungen gegenüber toleranter geworden", meint Ma, eine Ärztin am Beijing National Olympic Psychological Hospital in Beijing, die ihren vollen Namen nicht nennen wollte. „Für Scheidungen muss man sich nicht länger schämen, wie das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war."
Auch in einer Gesellschaft, die traditionellerweise öffentliche Interessen höher gewichtete, wird die Entscheidung für eine Hochzeit oder eine Scheidung zunehmend davon beeinflusst, was für den Einzelnen gut ist.
Teile der Internet-Community glauben, dass Paare sich scheiden lassen können sollten, wann immer sie wollen, dies sei ein heiliges und gesetzlich zugesichertes Recht für Chinas Bürger und dass die Standesämter die Effizienz der entsprechenden rechtlichen Prozeduren steigern sollten.
Andere sind jedoch davon überzeugt, dass die Zeit Paaren dabei helfen kann, sich zu beruhigen und einen so großen Schritt wie eine Scheidung nochmals zu überdenken.
Im März beschloss der Gerichtshof im Beijinger Bezirk Mentougou, der Abteilung für Jugendkriminalität sämtliche Scheidungsfälle von Paaren mit minderjährigen Kindern zu übertragen.
Grund für dieses Vorgehen war die Erkenntnis des Gerichts, dass Scheidungsverfahren bei minderjährigen Kindern zu erheblichen psychischen Belastungen führen können. Weil sich ihre Eltern nicht angemessen um sie kümmerten und sie nicht aufklärten, stamme ein großer Anteil der jugendlichen Straftäter aus zerrütteten Familien, gab Abteilungsleiter Yang Chang bekannt.
Die Abteilung hat sich darum bemüht, ein Schulungsprogramm für kurz vor der Scheidung stehende Paare zu erstellen. Scheidungswilligen wird vor Beginn der Gerichtsverhandlung ein Video mit dem Titel „Scheidung? Sind Sie wirklich sicher?" gezeigt. Zahlreiche Handbücher mit Beispielen für unangemessenes Verhalten und ungeeignete Bemerkungen scheidungswilliger Eltern, die für die Kinder schädlich sein können, sind ebenso verfügbar.
Ma Xia und ihr Ehemann Wu Honggang (Namen geändert) sahen von wechselseitigen Schuldzuweisungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen ab, nachdem sie das Video gesehen und die Bücher gelesen haben. Ma, die bis dahin entschlossen war, sich von ihrem untreuen Ehemann zu trennen und um das Sorgerecht für ihren fünfjährigen Sohn zu kämpfen, entschloss sich letztendlich, ihren Sohn wegen besserer Bildungsaussichten in der Obhut des Vaters zu lassen
Auf diese Weise hat das Gericht von Mentougu 2015 48 Scheidungsfälle abgeschlossen, 85 Prozent wurden durch Mediation oder außergerichtliche Verhandlungen beigelegt, 19 Prozent mehr als es im gleichen Zeitraum durchschnittlich in Beijing der Fall war.
Am 30. Juni unterzeichnete das Gericht von Mentougu eine Kooperationsvereinbarung mit dem Frauenverband des Bezirks, der Gewerkschaft und weiteren Institutionen, um die negativen Auswirkungen von Scheidungen auf Minderjährige zu verringern. Die Vereinbarung sieht vor, dass Paaren während des Scheidungsverfahrens ein bis zwei mindestens einstündige Aufklärungs- und Beratungsgespräche angeboten werden müssen.
Psychologische Beratung über Familie und Ehe muss zudem noch zu einer öffentlichen gesetzlich vorgeschriebenen Dienstleistung werden.
"Eine Scheidung ist niemals ein Happy End für eine Familie, manchmal ändert sich die ganze Situation, wenn man noch einmal darüber nachdenkt", meint Yang. „Wir wünschen uns, dass Scheidungswillige mehr Zeit und Energie auf die Erhaltung und Entwicklung einer gesunden Ehe aufwenden, statt sich schnell zu trennen." |