29-07-2015
Im Focus
Bye bye, Love: Chinas Scheidungsrate steigt
von Yuan Yuan

Besonders viele Trennungen nach der „Gaokao"

Anders die meisten jungen Paare, die dazu neigen, eine Ehe spontan zu beenden, trennen sich Scheidungswillige mittleren Alters, die eine Menge Verantwortung tragen, erst nach eingehender Überlegung voneinander.

In den vergangenen Jahren ließen sich viele Paare scheiden, nachdem ihre Kinder die Universitätszulassungsprüfung (Gaokao) abgelegt hatten. Daher erreicht die Scheidungsrate normalerweise von Juni bis September ihren Höhepunkt. Zhou Hao, Rechtsanwältin in Wuhan (Provinz Hubei), berichtet, dass unter den insgesamt 30 Scheidungsfällen, die sie nach dem Gaokao annahm, mehr als 20 Paare waren, deren Kinder gerade an der Prüfung teilgenommen hatten.

Ein Paar aus Wuhan unterzeichnete die Scheidungsvereinbarung offenbar schon fünf Jahre vorher, blieb aber wegen der Tochter zusammen, weil ihre Prüfungsleistung nicht von Familienproblemen beeinträchtigt werden sollte.

Statistiken auf Grundlage der Scheidungsdaten aus einem Drittel der Regionen auf Provinzebene zeigen, dass seit 2009 20 Tage nach der Gaokao mehr Scheidungsfälle an den Gerichten eingereicht werden als in den 20 Tagen davor.

Nach einem Bericht der örtlichen Zeitung Sanxiang Metro beantragten in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, fast 500 Paare in der ersten Woche nach der diesjährigen Gaokao die Scheidung, fast doppelt so viele wie in der Woche zuvor. 

Jin Hui (43, Name geändert) aus Jinan (Provinz Shandong), ließ sich unverzüglich von ihrem Mann scheiden, als die Prüfungsergebnisse ihrer Tochter bekannt gegeben worden waren.

„Wir haben beide in der Nähe von Jinan gearbeitet. Aber 2005 kündigte mein Mann seinen Job, um ein eigenes Unternehmen in Jinan zu gründen", erzählt Jin. „Er verdiente schnell eine Menge Geld, aber der wachsende Wohlstand entfremdete uns voneinander. Er hat neue soziale Kontakte, zu denen ich nicht mehr passe. Ich weiß, dass wir die Zeit nicht zurückdrehen können."

Ihrer Tochter spielten sie das glückliche und miteinander vertraute Paar vor. „Es war eine Qual für uns beide", räumt Jin ein. „Also beschlossen wir aufzugeben und den anderen ziehen zu lassen."

Es kommt häufig vor, dass sich Paare mittleren Alters für eine Scheidung entscheiden, weil sich die Vermögensverhältnisse und/oder der soziale Status einer Partei geändert haben.

"Aber das ist kein unlösbarer Konflikt. Viele Leute wollen nur nichts tun, um ihre Situation zu verbessern", sagt Sun. „Sie sind nach einer langen Ehe einfach müde."

Statistiken des Ministerium für Zivile Angelegenheiten zufolge spielen außereheliche Affären bei 74,6 Prozent aller Scheidungsfälle eine Rolle. 60 Prozent der Befragten wurden von ihren Ehepartnern physisch oder mental betrogen.

In den vergangenen Jahren hat man den Boom der sozialen Netzwerke für die Zunahme von außerehelichen Affären verantwortlich gemacht. Affären, bei denen Apps wie WeChat oder Momo eine Rolle spielten, haben 2014 um 20 Prozent zugenommen. WeChat hat gegenwärtig 468 Millionen aktive User pro Monat, bei Momo sind es 100 Millionen.

"Es war niemals so einfach, neue Leute kennenzulernen", meint Wang Lulu aus Beijing. Sie sei nervös geworden, als sie herausfand, dass ihr Mann bei Momo mit einer Frau chattete. „Er sagte, sie würden nur chatten, nicht mehr, aber ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Jedes Mal, wenn sein Smartphone summt, fühle ich mich schlecht."

Xie Lin (Name geändert) ist Hausfrau und hat einen dreijährigen Sohn, sie langweilt sich oft zu Hause. Mit fremden Menschen auf Social-Media-Apps zu chatten, ist die einzige Aktivität, mit der sie sich die Zeit vertreibt. „Aber ich werde das definitiv vor meinem Ehemann geheim halten", sagt sie.

Abgesehen von all diesen Gründen nennt der Bericht des Ministeriums einen weiteren Faktor, der die Scheidungsrate erhöhte. 2013 wurden strenge Hauskaufbeschränkungen in Chinas Großstädten eingeführt, um die steigenden Immobilienpreise zu dämpfen. Die neue Politik sah zusätzliche 20 Prozent Einkommensteuer vor, wenn ein Paar mit zwei Häusern eines davon verkaufen wollte. Stand ein Paar jedoch kurz vor der Scheidung, konnte jeder der Ex-Ehepartner eins der Häuser auf seinen jeweiligen Namen anmelden, d.h. im Fall eines Hausverkaufs fielen keine Extrasteuern an.

Der ursprüngliche Zweck dieser Maßnahmen war die Abkühlung des überhitzten Immobilienmarktes. Aber nur Tage, nachdem die neue Politik in Kraft getreten war, meldeten zahlreiche Städte einen Anstieg der Scheidungsanträge, Pragmatismus siegt in China eben nach wie vor über romantische Gefühle. In den meisten Scheidungsfällen im Zusammenhang mit Immobilienverkäufen heirateten die Paare nach Abschluss der Transaktion erneut.

"Jede Politik, die zu einer so dramatischen Entwicklung führt, ist falsch", betonte Finanzminister Lou Jiwei bei einer Pressekonferenz im März 2014.

 

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