Auf dem Online-Portal Okoer werden chinesische Verbraucher über die Qualität internationaler Produkte informiert. Als erstes wurde Milchpulver getestet.
Ökostest-Chefredakteur Jürgen Stellflug und sein chinesischer Partner Luo Changping beim Start des chinesischen Verbraucherportals Okoer (Foto: Öko-Test-Verlag GmbH)
Lebensmittelskandale sorgen immer wieder für Schlagzeilen in China. Melaninverseuchte Milch, verunreinigtes Speiseöl oder Mineralwasser beunruhigen die Verbraucher. Unabhängige Produktinformationen sind noch Mangelware, darauf wies vor kurzem auch Ministerpräsident Li Keqiang hin. Dem will der chinesische Partner von Öko-Test jetzt abhelfen. Mitte Mai ist in Beijing das Online-Portal Okoer (dt. "gute Wahl") an den Start gegangen.
Fischsterben im Rhein, smogverhangener Himmel über dem Ruhrgebiet, illegale Müllentsorgung: Vor rund 30 Jahren stand es auch in Deutschland mit dem Umweltschutz nicht zum Besten. Vor diesem Hintergrund entstand die Zeitschrift Öko-Test, die Verbraucher seitdem nicht nur über die Funktionalität, sondern vor allem die Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Produkten und Dienstleistungen informiert.
Im smoggeplagten China, in dem Pestizide die Bienen hinweggerafft haben und Blüten per Hand bestäubt müssen, wo sich zigtausende Tonnen Müll vor der Staumauer des Drei-Schluchten-Dammes sammeln, übernimmt diese Aufgabe nun eine 25-köpfige Partnerredaktion in einer alten Fabriketage in Beijing. Geleitet wird sie vom bekannten Journalisten Luo Changping, der 2012 erfolgreich einen hohen chinesischen Beamten der Korruption überführte und 2013 als erster Chinese den International Award von Transparency International erhielt. Chinas Verbraucher bräuchten ein Projekt wie Okoer, meint Luo. „Wir haben das Periodensystem der Elemente im Körper", scherzt er, aber um gute Lebensmittel in China richtig auszuwählen, müsse man Mehrfachexperte sein und das sei im Grunde fast unmöglich.
Die Redaktion in Beijing wählt zum einen Testberichte der deutschen Ausgabe zur Übersetzung aus. Mehr als 200 Einzeltests sind auf diese Weise bislang auf dem Internetportal in chinesischer Sprache zugänglich gemacht worden. Zum anderen legt sie Produkte fest, die für den chinesischen Markt getestet werden sollen. Im ersten Jahr sind dies nur internationale Produkte, die vor allem bei der wachsenden Mittelschicht des Landes beliebt sind. Sie verfügt außerdem über Zugang zu Informationen im Internet und kann es sich leisten, Produktentscheidungen nicht nur vom Preis abhängig zu machen, heißt es zur Begründung dieser Strategie. „Unser Ziel ist es aber, in Zukunft alle Marken zu testen, unabhängig von der Region und Branche", erklärt Luo.
„Haben westliche Waren in China den gleichen Standard und wie sieht es mit den Preisen aus? Das sind die Fragen, die Okoer interessieren. Die zu testenden Produkte werden anonym in China eingekauft. „Wir nehmen grundsätzlich keine Waren an, die Hersteller uns zur Verfügung stellen", erläutert Luo. Das entspricht generell den Prinzipien von Öko-Test. Es bestehe sonst die Gefahr der Veränderung und Manipulation, ergänzt Öko-Test-Chefredakteur Jürgen Stellflug.
Die Produkte werden dann zur Untersuchung an deutsche Labore geschickt, mit denen Öko-Test seit Jahren zusammenarbeitet. „"Made in Germany" hat einen guten Ruf in China. „Getestet in Germany" schafft bei den chinesischen Verbrauchern Vertrauen", erläutert Luo. Auch könnten viele chinesische Labore keine unabhängigen Untersuchungen garantieren, weil sie von der Regierung abhängig seien. Anschließend wird der Testbericht in Deutschland verfasst und ins Chinesische übersetzt.
Zu den ersten unter die Lupe genommen Produkten zählt Milchpulver, seit dem Melaninskandal, bei dem mehrere Babys starben, eines der begehrtesten Erzeugnisse aus dem Ausland. Das Ergebnis fiel niederschmetternd aus. Von zehn getesteten Produkten wurden fünf aufgrund hoher Schadstoffbelastung mit „ungenügend" bewertet. So war die Mineralölbelastung beispielsweise fast fünf Mal höher als bei Testprodukten in Deutschland. Warum die Importware deutlich schlechter abschnitt, als Produkte im Erzeugerland, blieb unklar. Eine entsprechende Anfrage an Öko-Test blieb unbeantwortet. Ebenfalls untersucht wurden Zahncremes. Dabei konnten die Tester bei einem Produkt Verbrauchertäuschung nachweisen. Angeblich war die Zahnpasta von der „Bayerischen Gesundheitsideologie GmbH, Germany" lizensiert, ein Unternehmen, das es in Deutschland jedoch gar nicht gibt.
Auffällig sind auch die enormen Preisunterschiede. Chinesische Verbraucher zahlen durchschnittlich mehr als doppelt so viel wie deutsche für Muttermilchersatzprodukte, noch größer ist der Unterschied bei H-Milch. Ende 2014 kostete ein Liter in Deutschland rund 5 RMB, in China wurde dafür gut das Dreifache verlangt. Auch wenn Zollgebühren, Transport- und Vertriebskosten sowie der Aufwand für die Verpackungsgestaltung hinzugerechnet werden müssen, erklärt dies nach Angaben von Öko-Test immer noch nicht die enorme Preisdifferenz. Fazit: Ein Großteil bleibt offenbar in der Volksrepublik hängen. Aber auch deutsche Firmen machenanscheinend ein gutes Geschäft. Öko-Test beruft sich auf Angaben des Nahrungsmittelhersteller Hochwald, demnach lagen die Umsätze des Unternehmens in China 2013 bei rund 10 Millionen Euro, bis August 2014 hatten sie sich bereits mehr als verdoppelt.
In Deutschland konnte Öko-Test seit seinem Bestehen einige Erfolge nachweisen. „Produkte wurden verändert, sogar vom Markt genommen, wenn gegen Grenzwerte verstoßen wurde", so Stellflug, „vor allem Babyprodukte haben sich im Laufe der Zeit verbessert." Genau wie sein chinesischer Kollege Luo rechnet er mit ähnlich positiven Resultaten auch in China. „Chinesische Verbraucher haben ein Recht darauf, dass Konzerne die gleichen Standards liefern wie im Westen", resümiert Stellflug.
Info:
www.okoer.com (nur in chinesischer Sprache)
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