Weitere Zinssenkungen scheinen in China durchaus denkbar, aber quantitative Lockerungen sind in naher Zukunft wohl nicht in Sicht.
CFP
Obwohl China zahlreiche Maßnahmen zur Sicherstellung eines stabilen Wachstums ergriffen hat, stieg das BIP im ersten Quartal des Jahres lediglich um 7 Prozent. Es bleibt also genug Spielraum für Senkungen von Zinsen und Mindestreservesätzen.
Bei einer Sitzung des Politbüros des ZK der KPCh am 30. April war man sich einig, den wirtschaftlichen Abwärtsdruck unbedingt im Auge behalten zu müssen. In einer anschließenden Stellungnahme hieß es, dass China sowohl an einer proaktiven Finanzpolitik in Gestalt höherer Staatsausgaben und weiterer Steuersenkungen als auch einer besonnen Währungspolitik, die sich darauf konzentriert, Geldflüsse in die Realwirtschaft zu lenken, festhalten müsse. Betont wurde auch die Schlüsselrolle von Investitionen und Bemühungen um eine stärkere Förderung des Konsums, damit neue Wachstumsimpulse entstehen.
Zinssenkungen, soweit das Auge reicht
Nach der Bekanntgabe der Wirtschaftsdaten aus dem ersten Quartal prognostizierten zahlreiche Wissenschaftler und Marktanalysten weitere Zinssenkungen.
So auch Qiao Yongyuan, Analyst bei Guotai Junan Securities Co. Ltd. Am Markt herrsche große Zuversicht hinsichtlich kurzfristiger Zinssenkungen und Makrokontrollen, während das Gegenteil auf mittel- und langfristige wirtschaftliche Veränderungen zuträfe, schrieb er in seinem Blog. Sein Team hält es daher für wahrscheinlich, dass die USA die Zinssätze nach dem dritten Quartal anheben. Für China sei es dagegen am besten, sie im zweiten Quartal zu senken. Qiao rechnet auch im dritten Quartal mit einer weiteren Zinssenkung.
Laut makroökonomischem Prognosebericht der CITIC Securities Co. Ltd. für das zweite Quartal wird China angesichts der sinkenden Gesamtnachfrage Zinsen und Mindestreservesatz einmalig senken. Der Bericht rät zu einer proaktiven Finanzpolitik in Verbindung mit einer expansiven Währungspolitik, die Zentralbank sollte durch Darlehen an nichtkommerzielle Institutionen oder große staatliche Handelsbanken Investitionen in die Infrastruktur fördern.
Auch einige ausländische Investmentbanken wie Standard Chartered PLC und Nomura Securities Co. Ltd. prognostizieren weitere Zinssenkungen. Laut Standard-Chartered-Bericht wird Chinas Zentralbank die Richtwerte für Zinssätze vermutlich Ende Juni um 0,25 Prozentpunkte senken, um die Kreditkosten zu verringern. Gleichzeitig wird die Bank Devisen verkaufen, um die rasante Entwertung des Yuan zu stoppen. Falls nötig, könnte sie auch den Mindestreservesatz erneut absenken, um Liquiditätsabflüsse am heimischen Markt, ausgelöst durch Deviseninterventionen, auszugleichen.
Es sehe weiterhin nach einer Lockerung der Währungspolitik im zweiten Quartal aus, erklärte Wen Bin, leitender Wissenschaftler bei der Minsheng Bank, die Reduzierung des Mindestreservesatzes sei allerdings wahrscheinlicher und notwendiger als Zinssenkungen. Diese hängen kurzfristig auch von den Veränderungen verschiedener Wirtschaftsindikatoren ab, da viele Faktoren wie Kapital- und Arbeitsmarkt sowie Inflation mitberücksichtigt werden müssten.
"Bei einer Konjunkturverlangsamung werden die Senkungen des Mindestreservesatzes und der Zinsen normalerweise nacheinander eingesetzt. Zurzeit befindet sich die Wirtschaft unter starkem Abwärtsdruck, daher sind Zinssenkungen erforderlich", erklärte Wen. „Die Zentralbank muss allerdings das Wachstum im zweiten Quartal im Auge behalten, um gegebenenfalls unverzügliche Zinssenkungen beschließen zu können."
In Anbetracht des aktuellen Niveaus und der Wachstumstendenzen von BIP und VPI gebe es reichlich Spielraum für weitere Reduzierungen des Mindestreservesatzes, erklärte Chen Yulu, Mitglied des Geldpolitischen Ausschusses der Zentralbank. Der Verbraucherpreisindex (VPI), ein Hauptindikator für die Inflation, und der Erzeugerpreisindex, ein Maßstab für den Preis ab Werk, sind zurzeit beide niedrig, der Mindestreservesatz ist mit 18,5 Prozent hoch angesetzt. All das lässt Spielraum für weitere Senkungen. Aufgrund bisheriger Erfahrungen kann man davon ausgehen, dass die Zentralbank bei anhaltendem Abwärtsdruck den Mindestreservesatz weiter verringern wird.
Quantitative Lockerung gilt als unsicher
Trotz diverser Anzeichen halten es die meisten Experten für verfrüht, eine quantitative Lockerung für China zu prognostizieren. Eine Lockerung der Währungspolitik bedeutet zudem auch nicht, dass die Zentralbank den Geldhahn aufdrehen wird.
Es gibt Gerüchte, dass Chinas Zentralbank Maßnahmen zur quantitativen Lockerung ergreifen und die Geldbasis durch den Aufkauf der Schulden der Lokalregierung erhöhen wird. Das hält Ma Jun, Chefökonom des Forschungsbüros der Zentralbank, für nicht notwendig. Außerdem sei es der Zentralbank per Gesetz verboten, den Lokalregierungen eine direkte Finanzierung anzubieten.
Durch die beabsichtigte Weiterverleihung, die Anpassung von Zins- und Mindestreservesätzen sowie diverse Instrumente der Liquiditätskontrolle sei die Zentralbank ausreichend dazu in der Lage, ein vernünftiges Liquiditätsniveau sowie ein stabiles Geld- und Kreditwachstum zu erhalten
Die vorherigen Senkungen der Mindestreservesätze seien in einem expansiven Währungsumfeld erfolgt, erklärte Chen. Zurzeit verfolgen mehrere große Volkswirtschaften eine Politik der quantitativen Lockerung. Um sich an das währungspolitische Umfeld anzupassen, müsse China den Mindestreservesatz daher entsprechend senken.
Da sie über viele weitere Instrumente zur Freisetzung von Liquidität verfüge, gehe es Chinas Wirtschaft noch nicht so schlecht, dass die Zentralbank die Schulden der Lokalregierungen direkt aufkaufen müsse.
"Zurzeit leidet Chinas Wirtschaft nicht so stark wie Europa und die USA nach der globalen Finanzkrise von 2008, unser Richtwert für Kreditzinsen mit einjähriger Laufzeit liegt aktuell bei 5,35 Prozent. Das heißt, dass es immer noch viel Spielraum für reguläre Instrumente der Währungspolitik gibt", erklärte Chen Daofu, Leiter des Allgemeinen Forschungsbüros des Forschungsinstituts am Entwicklungsforschungszentrum des Staatsrats.
Reformen und Lösungen
Neben währungspolitischen Instrumenten benötige die Regierung außerdem finanzpolitische Werkzeuge und Strukturreformen, um den ökonomischen Abwärtsdruck zu bewältigen, so Ma.
Die Regierung verfügt über zahlreiche Instrumente zur Makrokontrolle, Analysten prognostizieren, dass sie ihre Bemühungen zur Sicherstellung eines stabilen Wachstums vor allem im Bereich der Investitionen verstärken wird; den beiden Seidenstraßeninitiativen und der koordinierten Entwicklung des Ballungsraums Beijing-Tianjin-Hebei kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu.
Das Treffen des Politbüros am 30. April zeige, dass die zentrale Führungsspitze begriffen habe, dass die Finanzpolitik noch nicht proaktiv genug sei, meint Guan Qingyou, amtierender Direktor des Forschungsinstituts bei Minsheng Securities. Auf dem Treffen herrschte Einigkeit darüber, dass die staatlichen Ausgaben erhöht werden müssten. Daher werden die Lokalregierungen möglicherweise ihre Einstellung ändern und ihre Investitionen in die Infrastruktur steigern.
Die meisten dieser Investitionen sollen die regionale Wirtschaft erneut ankurbeln, ihr Schwerpunkt liege auf den beiden Seidenstraßeninitiativen, der koordinierten Entwicklung der Region Beijing-Tianjin-Hebei und des Wirtschaftsgürtels am Yangtse, erklärte Guan. Aber auch neue Ideen seien gefordert. So könnte die Regierung verstärkt Investitionen in die Informationsinfrastruktur fördern und sich mehr auf Privatinvestoren wie staatlich-private Gesellschaften verlassen.
Kurzfristig werde das Wachstum weiterhin vor allem von den Investitionen abhängen. Für deren kontinuierliches Wachstum sei die Infrastruktur entscheidend, erklärte Zhu Jianfang, Chefökonom bei CITIC Securities Co. Ltd. Auch wenn die schwache Nachfrage Investitionen bremst, gibt es doch einige Anzeichen von Aktivität: Die Zahl neu angeschobener Investitionsprojekte nimmt wieder zu, der Bau von Eisenbahn-, Strom- und Pipelinenetzen wird im Rahmen der Seidenstraßenprojekte beschleunigt, Immobilienverkäufe gewinnen nach ihrem Rekordtief wieder an Dynamik und es ist nicht mit einem Einbruch der Immobilieninvestitionen zu rechnen.
Während Experten ihre Prognosen abgeben, werden sie gemeinsam mit der Öffentlichkeit Chinas Wirtschaft genau im Blick behalten. Am Ende wird sich dann zeigen, wie genau ihre Vorhersagen waren.
|