03-04-2015
Im Focus
Die Slow Food Bewegung kommt nach China, und das schnell
von Ji Jing

Qiao Ling (4. von links), Prädidentin von Slow Food China und ihre Kollegen

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung, die das Ergebnis des Widerstands gegen eine McDonalds-Filiale nahe der Spanischen Treppe in Rom war, hat die internationale Slow Food Bewegung China erreicht.

„Mit Chinas umfassender kulinarischer Kultur, seinem Tier- und Pflanzenreichtum und mit der vielfältigen Auswahl, mit der die chinesischen Konsumenten den ganzen Planet beeinflusst haben, muss Slow Food in China präsent sein," sagt Sharon Aknin Sheets, Pressesprecherin von Slow Food International.

Slow Food China wurde am 27. Jänner gegründet. Dies verbindet China mit dem Rest des globalen Slow Food Netzwerkes, das aus über 100 000 individuellen Mitgliedern in über 150 Ländern besteht.

Viele denken, das Konzept von Slow Food bedeute, nahezu wörtlich genommen, langsam zu essen. Die Präsidentin von Slow Food China, Qiao Ling, sagte der Beijing Rundschau, dass das Konzept aber wesentlich mehr bedeute als das.

Die Slow Food Bewegung hat ihre Wurzeln in der breiteren Slow Movement, die in den 1980ern von Carlo Petrini in Italien, mit dem Ziel regionale Traditionen zu bewahren, gutes Essen zu promoten und Freude in der Gastronomie zu finden, genauso wie ein langsameres Tempo im Alltag zu verbreiten, initiiert wurde.

Die Vielfalt der Speisen bewahren

Eines der Leitbilder der Slow Food Bewegung ist „gut, sauber und fair für alle".

„‚Gut', da es nicht nur gut schmeckt sondern auch gesund ist. ‚Sauber', da es produziert wird, ohne die Umwelt zu belasten und mit dem Gedanken an den Tierschutz. Und ‚fair', da die Arbeit der Menschen, die das Essen produzieren, verarbeiten und verteilen, respektiert wird", beschreibt Sheets.

Wenn beispielsweise beim Anbau Düngemittel verwendet werden, würde das nicht das Kriterium „sauber" treffen, da dies den Acker verunreinigen würde. Nahrungsmittel, die den ganzen Weg von Südamerika nach Beijing exportiert werden, bestehen den Lackmustest ebenfalls nicht, da der Transport zu viele Emissionen von Kohlendioxid und Treibhausgasen verursacht.

Das gleiche gilt auch für Haifischflossen, denn um diese zu erhalten, muss man wild lebenden Tieren Schaden zufügen. Beim Gewinn der Haifischflosse wird das Tier zum Sterben im Ozean zurückgelassen, nachdem die Flossen entfernt wurden.

Außerdem, wenn Produzenten nicht vernünftig entlohnt werden oder Konsumenten im Verhältnis zum Wert des Produktes zu viel bezahlen, dann kann man dieses Essen nicht als „fair" bezeichnen.

Und letztlich bedeutet die Phrase „für alle", dass jeder Zugang zu „gutem, sauberem und fairem" Essen haben sollte. Laut Qiao, sollte das Recht qualitativ hochwertiges Essen zu genießen, nicht nur der Elite vorbehalten sondern für alle sein.

Während man an dieses Konzept voranbringt, arbeitet Slow Food am Schutz der Nahrungsmittelvielfalt. Der Katalog der „Arche des Geschmackes" ist eine Initiative aus diesem Bereich. Er listet Lebensmittel, die gefährdet sind, vergessen bzw. ausgerottet zu werden. Die Slow Food Bewegung verbreitete die Idee, weltweit Leute einzuladen, darüber nachzudenken, welche Lebensmittel sie auf die Arche mitnehmen würden, sollte die Sintflut kommen.  

„Viele lokale Lebensmittel verschwinden durch die Verbreitung von Fast-Food-Ketten wie McDonalds. Auch Supermärkte verkaufen in erster Linie industriell verarbeitetes Essen, und das Überleben für kleine Lebensmittelproduzenten wird härter und härter. Wenn ein Bauer zum Beispiel nur wenige Hühner züchtet und diese nicht verkaufen kann, dann wird er diese Zucht eines Tages einfach sein lassen", bedauert sie.

„Unsere Aufgabe ist es kleine Lebensmittelproduzenten vor dem Wettbewerb mit großen Supermärkten zu beschützen und sie zu ermutigen, weiterhin traditionelle lokale Lebensmittel zu produzieren", fügt Qiao hinzu.

In diesem Jahr will Slow Food China rund 100 Varietäten der chinesischen Küche auswählen, um diese bei der Slow Food Ausstellung im September in Beijing zu präsentieren. Die ausgewählten Lebensmittel werden dann nach Italien gebracht, um bei der EXPO 2015 in Mailand vorgestellt zu werden.

„Das Projekt will sowohl traditionale lokale Nahrungsmittel als auch die Methoden, mit denen diese produziert werden, bewahren. Das kann ein typischer Tee, Käse, Schinken oder Essig sein!", sagt Qiao.

Beispiele, wie diese Lebensmittel für zukünftige Generationen bewahrt werden können, können so einfach sein, wie einen Produzenten dadurch zu unterstützen, sein Produkt zu kaufen oder einfach nur durch Mundpropaganda. In Fällen, wo die Produkte mit gefährdeten Tierarten in Verbindung stehen, können Konsumenten den Konsum dieser Produkte reduzieren oder ganz unterlassen, so dass sich die Bestände der betroffenen Art erholen können.

„Slow Food will traditionelle, nachhaltige und qualitativ hochwertige Lebensmittel schützen, die Biodiversität von kultivierten und wilden Tieren erhalten, genauso wie die Art der Kultivierung und die Produktionsweisen, die durch die vorherrschende industrielle Verarbeitung von Nahrungsmittel, die industrialisierte Landwirtschaft und die Regeln des globalen Marktes gefährdet sind", sagt Sheets.

Obwohl Slow Food relative spät nach China kam, ist es hier kein völlig neuartiges Konzept. Tatsächlich, haben die Chinesen unbewusst viele Praktiken die der Bewegung inhärent sind, wie den Schutz der Nahrungsmitteldiversität, bereits einige Zeit praktiziert.

„Schon länger haben viele Lokalregierungen und Lebensmittelproduzenten engagiert nach typischen Lebensmittel ihrer Region gesucht und diese auch produziert, und das ist es, was typischerweise mit dem Term Slow Food bezeichnet wird", sagt Tan Xuewen, ein Forscher am Landwirtschaftlichen Entwicklungsinstitut der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften.

„Viele chinesische Restaurantketten haben auch traditionelle lokale Gerichte am Leben erhalten und promotet", fügte Tan weiter hinzu.

Qiao vertritt die Ansicht, dass die chinesische Küche nicht besonders vom westlichen Fast Food bedroht wird, da der chinesische Gaumen sich stark vom westlichen unterscheidet. Wo auch immer Chinesen sind, ist chinesisches Essen nicht mehr als einen Steinwurf entfernt.

Wachsende Beziehungen

Ein weiteres Ziel der Slow Food Bewegung ist, Verbindungen zu schaffen und Vertrauen zwischen Nahrungsmittelproduzenten und Konsumenten aufzubauen. So ein Vorhaben ist von besonderer Bedeutung in China, wo es bereits eine Fülle von Lebensmittelsicherheitsskandalen gab, die die Nerven der Öffentlichkeit dünn werden ließen und die Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten beschädigt haben. Nur um ein Beispiel zu geben: Seit 2008 sechs Säuglinge durch melaminverseuchte Milch starben, vertrauen viele chinesische Eltern den einheimischen Marken nicht mehr und wählen lieber Produkte aus dem Ausland.

Jedes Jahr organisiert Slow Food International eine Lebensmittel-Expo in Italien mit dem Titel "Terra Madre" (Mutter Erde). Während der Expo kommen Lebensmittelproduzenten aus der ganzen Welt von Angesicht zu Angesicht in Kontakt mit den Konsumenten. Dieser Event gibt Konsumenten die Möglichkeit, die Bauern, die das Gemüse, das Geflügel, das sie essen, züchten, kennenzulernen. Und dadurch wird eine solide Grundlage für eine Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten gelegt. Slow Food China plant eine eigene Terra Madre Expo in diesem Jahr, um das fragile Verhältnis von Konsumenten und Produzenten in China zu verbessern.

Laut Qiao liegt das Hauptaugenmerk darauf, die Organisation im Reich der Mitte aufzubauen. Mitglieder können überall in der Nahrungsmittelkette gefunden werden, seien es Produzenten, Konsumenten oder Restaurantarbeiter. Slow Food China wird ebenfalls Produzenten identifizieren, deren Methoden die nötigen Standards erfüllen, um den Term „Slow Food" für ihre Produkte anwenden zu können.

Qiao träumt von einer Zukunft, in der Konsumenten über ihre mobilen Geräte über Restaurants oder Supermärkten mit Slow Food Produkten in ihrer Stadt informiert werden können. Sie gibt aber zu, dass es wohl noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis dies in China umgesetzt wird.

Auf kurze Sicht will die Organisation Kurse an den Grundschulen in Beijing anbieten, damit die Schüler lernen, welches Obst und Gemüse sie zu welcher Jahreszeit am besten essen können.

„Heute wächst viel Gemüse in Gewächshäusern und die Menschen können alles das ganze Jahr über erwerben. Sie wissen nicht länger, wann genau Obst und Gemüse geerntet werden sollen, wenn diese nicht aus einem Treibhaus stammen", sagt Sheng Pengxuan, eine freiwillige Mitarbeiterin der Organisation.