19-03-2015
Im Focus
„Westliche Marken sollten so chinesisch wie möglich sein“
von Zhou Xiaoyan

Internationale Unternehmen wollen Chinas Verbraucher durch digitales Marketing und Mobile Commerce erobern. Die Berücksichtigung chinesischer Kultur und Gepflogenheiten soll dabei die Erfolgschancen erhöhen.

Bei einer Podiumsdiskussion sprachen Teilnehmer des Kongresses "China Connect" in Paris über die Besonderheiten chinesischer Verbraucher.

In den vergangenen Jahren ist der amerikanische Kosmetikkonzern Estée Lauder schnell zu einer der Top-Beauty-Marken der Welt aufgestiegen. Sein Erfolgsgeheimnis liegt in seinen wohlüberlegten Investitionen in den vielversprechendsten Verbrauchermarkt der Welt – China.

"Wir wurden die Nummer eins in den Einkaufszentren der Welt, noch vor Shiseido und Lanc ôme, weil wir in China vor allem in digitales Marketing und E-Commerce investiert haben", erklärte Pierre Abadie Lacourtoisie, verantwortlich für das digitale Marketing und E-Commerce von Estée Lauder in der Asien-Pazifik-Region, bei einer Podiumsdiskussion des Kongresses China Connect im März.

Lacourtoisie schrieb den Erfolg von Estée Lauder in allererster Linie der Produktqualität und seinen profunden Kenntnissen der chinesischen Verbraucher zu. "Estée Lauder hat mehrere Studien durchgeführt, um zu verstehen, was chinesische Kunden wünschen. Erstens wollen sie nicht, dass ihnen Produkte aufgezwungen werden. Sie wollen ein paar Tipps, um dann ihre eigenen Erfahrungen sammeln zu können", erklärte er. „Marketing ist in China vor allem digital. Die Kunden vertrauen den Kommentaren ihrer Freunde und Verwandten und schätzen das Feedback anderer User sehr. Daher haben wir eine Plattform eingerichtet, auf der Leute unsere Produkte testen und Bewertungen verfassen können."

Als wirtschaftliches Schwergewicht hat sich China schnell in seine Rolle auf dem globalen Verbrauchermarkt eingefunden. Lacourtoisie war einer von mehreren hunderten Teilnehmern bei China Connect, die sich ein Bild vom chinesischen Verbraucher machen wollten. Der Kongress ist das größte europäische Expertentreffen, das sich auf Verbrauchertrends in China spezialisiert hat, und richtet sich an hochrangige europäische Entscheidungsträger aus Marketing und digitalen Geschäftsfeldern, deren Fokus auf China liegt. Bei der diesjährigen Konferenz vom 5. bis 6. März in Paris diskutierten die Teilnehmer über Marketing und Branding im Reich der Mitte.

Zielanalyse

"Viele Leute sprechen über China, aber in Wirklichkeit sollten wir darüber reden, was bei den Chinesen los ist", erklärte Erwan Rambourg, Analyst bei HSBC und Autor von „The Bling Dynasty", einem Buch über die immer größere Rolle, die China beim Verkauf von Luxusprodukten spielt.

Es werde immer wichtiger, Chinas Millennium-Generation zu verstehen, die einen steigenden Anteil am Verbrauch ausmacht, erklärt Linda Tan, zuständig für strategische Informationen bei der Medienagentur Zenith Optimedia. Sie definiert diese Gruppe als die Generation, die zu Beginn des Millenniums erwachsen wurde, also zwischen 1982 und 1994 geboren ist.

Diese Generation zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: Die Suche nach Glück bestimmt ihr Leben, sie überlegt ständig, wie sie ihr Potenzial am besten nutzen kann, hat ein neues Verständnis von Arbeit, strebt nach bereichernden Erfahrungen und baut ihr Leben rund um die sozialen Medien auf.

"Ein deutlicher Unterschied zwischen Chinas Millennium-Generation und der anderer Länder liegt in ihrer Arbeitseinstellung", erklärte Tan der Beijing Rundschau. „Chinas Millennium-Generation ist mehr auf die Arbeit fokussiert und hat eine pragmatischere Einstellung zu ihr, Arbeit gilt als eine Möglichkeit, die Lebensqualität zu verbessern. Arbeit ist auch der umfassendste Ausdruck der Identität, während es in anderen Ländern zahlreiche weitere Möglichkeiten wie Mode, Hobbys und Interessen gibt, sich selbst zu verwirklichen."

"Wer in China Marketing betreibt, sollte diesen Unterschied berücksichtigen und den Weg der Kunden zum Produkt erleichtern, damit sie schneller Kaufentscheidungen treffen und ihre Life-Work-Balance verbessern können. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sie bei ihrem beruflichen Aufstieg zu unterstützen. Selbst wenn Sie versuchen, ein Waschmittel zu verkaufen, sollten Sie auf einen höheren Zweck hinweisen, dass Kunden beispielsweise auf der Arbeit professioneller aussehen, anstatt die Waschleistung zu betonen."

Marken müssen im Leben chinesischer Verbraucher einen Sinn ergeben. „Wenn man Kameras verkaufen will, sollte man damit werben, dass man sie zum Festhalten schöner Erinnerungen nutzen kann", erklärte sie. „Unternehmen sollten zudem den Austausch von Kundenerfahrungen erleichtern."

Lacourtoisie, Marketing- und E-Commerce-Experte bei Estée Lauder, hält für westliche Unternehmen, die den chinesischen Markt im Auge haben, einige Tipps für den situativen Markenaufbau bereit. "Ein situativer Markenaufbau ist wichtig, weil er eine hohe Resonanz und eine starke Aktivität in den sozialen Medien Chinas bedeutet. Besondere Situationen beinhalten mehr als nur wichtige Feiertage, es sind besondere Momente mit einem genauen Timing für eine spezifische Gruppe", erklärte er.

Sein Rat: "Internationale Unternehmen, die den chinesischen Markt anvisieren, sollten als erstes ein paar Daten im chinesischen Kalender markieren." Wichtige Zeitpunkte in China seien das chinesische Neujahrsfest, der chinesische Valentinstag (der siebte Tag im siebten Monat des Mondkalenders), der Singles Day (der jährliche Online-Shopping-Tag am 11. November), Hochzeitstage, Auslandsreisen und „Ich"-Zeiten (die Zeit, die jede Frau nutzt, um sich auf sich selbst zu konzentrieren, sich zu verwöhnen und zu entspannen). "Das chinesische Neujahr ist besonders wichtig. Wenn Ihr Marketing darauf Bezug nimmt, heißt das, dass Sie sich für Chinesen und ihre Kultur interessieren", erläuterte er.

Alexandre de Sainte Marie, E-Multicultural Consulting Director bei Datawords, einer multilingualen, digitalen Dienstleistungsfirma, stimmt Lacourtoisie zu. Der Respekt für die chinesische Kultur sei in der Tat eine Wunderwaffe für westliche Unternehmen, die um den chinesischen Markt konkurrieren.

"Westliche Marken sollten ein Gleichgewicht zwischen ihrer authentischen Identität als Luxusmarke und dem Respekt für chinesische Kultur und Gepflogenheiten anstreben, um die Kundenbindung zu steigern", meint er. „Bei der Präsentation ihres Markenprofils auf dem chinesischen Markt sollten westliche Marken so chinesisch wie möglich sein."

Es sei extrem wichtig zu wissen, wovon Chinesen beeinflusst würden, betonte Laurence Lim-Dally Experte für Markenstrategien in China. "Kommunikation ist für westliche Marken grundsätzlich eine große Herausforderung in China, weil sie ihre Perspektive ändern und verstehen müssen, welche Einflüsse in China vorherrschen, und zwar nicht nur westliche, sondern auch asiatische Einflüsse", meint Lim-Dally, Geschäftsführerin und Gründerin von Cherry Blossoms, einem Hongkonger Unternehmen, das  westliche Marken dabei unterstützt, die kulturellen Unterschiede zwischen China und westlichen Ländern besser zu berücksichtigen.

Festlandchina wurde in den frühen 1980er Jahren von Musik aus Hongkong und Kung-Fu-Filmen beeinflusst, in den 1980er Jahren waren es Talentshows aus Taiwan, japanische Hautpflegeprodukte, Hightech, Kosmetik, Zeichentrickfilme und Comics, seit Anfang der 1990er Jahre sind es südkoreanische Soap Operas und Popmusik, fasst Lim-Dally zusammen.

Die Unterstützung durch Prominente habe einen enormen Effekt auf den Aufbau einer Marke in China, sagt Angela Huang, zuständig für die Asien-Pazifik-Region beim Industrieforschungsunternehmen Kantar-CIC. In reiferen Märkten wie Japan achteten Kunden dagegen mehr auf Effizienz und Preis eines Produktes, erklärte Huang, ein Hinweis darauf, wohin sich ein reiferer chinesischer Markt schrittweise entwickeln könnte. "Letztendlich muss das Produkt aber für sich selbst stehen können. Prominente bringen Kunden dazu, ein Produkt zu testen, aber sie werden ihm nicht treu bleiben, wenn es von niedriger Qualität ist", erklärt sie.

Mobile Geschäftsfelder wachsen

Nach Angaben des Staatlichen Internet-Informationsbüros (SIIO) gibt es in China 1,3 Milliarden Handynutzer, mehr als 500.000 Menschen nutzten Ende 2014 ein Smartphone. Ende 2014 waren weltweit drei von zehn Smartphonenutzern Chinesen, erklärte Wang Xiangrong, stellvertretender Direktor der dem SIIO unterstellten Kontrollabteilung für Informationen im Internet,Chinas Internet-Regulierungsbehörde. "2015 werden mehr als 40 Prozent der Chinesen per Handy ins Internet gehen", prognostiziert er.

Die Teilnehmer von China Connect waren sich einig, dass westliche Marken auf Chinas beliebtesten mobilen Apps unbedingt präsent sein sollten, da der Anteil der Chinesen, die per Smartphone im Internet surfen, wächst. Dazu zählen WeChat (eine Instant Messaging App des Internetgiganten Tencent) und Sina Weibo (Chinas Twitter-Variante). WeChat entstand von Anfang an als mobile App, aber auch bei Sina Weibo machen die Handynutzer nach Unternehmensangaben mittlerweile 78 Prozent aus.

Vermarkter sollten WeChat und SinaWeibo komplementär nutzen, rät Huang. "Weibo und WeChat sind zwei unterschiedliche Produkttypen und dienen unterschiedlichen Zwecken. Weibo ist eher eine Medienplattform, sie hilft Marken dabei, Anerkennung für neue Produkte zu erhalten. Das hat sich überhaupt nicht verändert", so Huang. „Bei WeChat können Unternehmen zeitnah mit den Verbrauchern kommunizieren, sie können für Veranstaltungen werben, Werbespots zeigen oder sogar Kundenservice anbieten. WeChat besitzt eine Menge Funktionen für Unternehmen, aber es ist weniger eine Medienplattform", sagte sie.  

China spiele nach eigenen Regeln, seine sozialen Medien seien ein „Ökosystem" für sich, betont Lu Gang, Gründer und Chef von TechNode, einem Tech-Blog, der sich auf Start-ups und technologische Entwicklungen in China konzentriert. "WeChat ist mit mehr als 400 Millionen monatlich aktiven Usern eine so genannte "Super-App" und mittlerweile mehr als nur eine Social Media App, WeChat bewegt sich rasant in Richtung E-Commerce", analysiert Lu. „Chinesen vertrauen den Medien weniger als ihren Freunden, darum ist es so wichtig für Marken, in China mit WeChat zu arbeiten."

Die Entwicklung von Handyspielen sei ein ökonomischer Weg, um chinesische Kunden anzusprechen, meint Thomas Meyer, Mitbegründer der Mobile Now Group, einem Unternehmen, das mobile Apps für Unternehmen entwickelt. Im vergangenen Jahr entwickelte sein Unternehmen eine Spiele-App für KFC, um die Marke aufzubauen und Kunden per Handy anzusprechen. Begleitet wurde die Kampagne von Aktionen der bekannten südkoreanischen Boyband EXO. Die Tanzspiel-App in 3-D war ein voller Erfolg. Sie wurde millionenfach heruntergeladen und führte dazu, dass KFC seine Umsätze durch seine Online-to-Offline-Marketingkampagne steigern konnte.

Wenn Unternehmen Werbung in Fernsehen und Internet platzieren, gibt es kaum Kundenreaktionen. Die Entwicklung von Handy-Spielen koste weniger und spreche gleichzeitig mehr Kunden an, so Meyer. „Es ist außerdem wesentlich günstiger, Spiele für mobile Geräte als für PCs zu entwickeln."

Für die Spieleentwickler, die mit ihren Produkten natürlich Geld verdienen wollen, ist es ein großes Problem, dass Chinesen am liebsten umsonst spielen. „Wenn Spiele aber von Unternehmen genutzt werden, um Kunden anzusprechen, können beide, Kunden und Unternehmen, glücklich werden", erklärte Meyer der Beijing Review.

Die Entwicklung vom traditionellen Handel zum E-Commerce sei eine Revolution, die Weiterentwicklung des E-Commerce zum Mobile Commerce eine weitere Runde dieser Revolution in China, erklärte Chris Guo, Vizepräsident von Yihaodian, einem Online-Lebensmittelhändler in China. Nach seinen Angaben steigt dort der Anteil der Kunden, die per Handy einkaufen.

"Wenn Sie die Chance im E-Commerce mitzumischen, verpasst haben, ist es jetzt Zeit, eine Abkürzung zu nehmen – direkt zum Mobile Commerce", lautet sein Fazit.