02-03-2015
Im Focus
Elektronische Geldgeschenke zum Frühlingsfest
von Zhou Xiaoyan

Viele Chinesen haben eine neue Methode entdeckt, das Jahr der Ziege zu begrüßen. Sie verschicken Hongbao, die traditionellen roten Geldumschläge zum Neujahrsfest, in digitaler Form.

Frohes Neujahr: In Guangzhou, der Hauptstadt der südchinesischen Provinz Guangdong, empfängt jemand auf seinem Smartphone einen digitalen Hongbao (CFP)

 

Kang Lipo (30)  ist Redakteur bei einem Beijinger Radiosender. Jedes Jahr fährt er zum Frühlingsfest in seine Heimatstadt Jiaozuo in der Provinz Henan, um die Ferien mit seiner Familie zu verbringen. In diesem Jahr war alles jedoch etwas anders.

Vom 18. bis 24. Februar verbrachte er jede Menge Zeit damit, elektronische Hongbao, rote mit Geld gefüllte Umschläge, per WeChat zu empfangen und zu verschicken. Mit mehr als 400 Millionen Usern ist WeChat die meist genutzte mobile Messaging-App Chinas. Sie beinhaltet auch eine Funktion, mit der die Geldumschläge nach dem Zufallsprinzip an Freunde verteilt werden können, sie wetteifern dann darum, wer die meisten Hongbao erhält.

Als Moderator eines Chatrooms für seine ehemaligven Klassenmameraden  erfand Kang eine Regel, die das Spiel um die roten Geldumschläge zu einer Art Staffellauf macht: Wer die meisten der zufällig verschickten Hongbao erhält, muss anschließend einen Umschlag mit einer zehnmal so hohen Geldmenge versenden.

"Wir haben das Spiel in den Ferien täglich gespielt. Ich habe insgesamt 639 rote Umschläge mit 4484 Yuan verschickt und 444 Umschläge für 3852 Yuan erhalten, deutlich mehr als im vergangenen Jahr", erzählt Kang. „Es ist eine witzige und unkomplizierte Möglichkeit, Leuten zum neuen Jahr etwas Aufmerksamkeit zu schenken, die man sonst vielleicht vergessen hätte. Wir fühlen uns nun emotionaler verbunden. Nach der „Hongbao-Schlacht" haben wir sogar ein gemeinsames Abendessen organisiert."

Kang ist nur einer von Hunderten Millionen von Chinesen, die das Jahr der Ziege auf diese Art gefeiert haben. Neujahrsgeld mit mobilen Apps zu verteilen, wir immer beliebter. Chinas Internetriesen, darunter Tencent, Alibaba, Sina und Baidu, richteten alle spezielle Hongbao-Funktionen ein, um sich ein Stück vom Kuchen des boomenden Markts der mobilen Bezahlsysteme abzuschneiden.

Digitalisierte Tradition

Kindern zum chinesischen Neujahrsfest rote Geldumschläge zu schenken, ist eine langjährige Tradition in China. In vergangenen Zeiten diente das Geld dazu, böse Geister zu vertreiben. Nach und nach wurden die Umschläge aber zu einem Symbol für Glückwünsche zum neuen Jahr.

Die elektronischen Geldumschläge wurden von WeChat zum vergangenen Frühlingsfest erfunden, um mehr Nutzer für das mobile Bezahlsystem zu gewinnen. Viele Internetunternehmen sind dem Beispiel gefolgt und haben in diesem Jahr ihr eigenes Hongbao-Angebot eingeführt. Die Unternehmen vergaben außerdem Bargeld-Umschläge oder Coupons für Hongbao, um ihre Produkte und Dienstleistungen gezielt zu bewerben.

Laut Statistiken von WeChat wurden zum diesjährigen Frühlingsfest 3,27 Milliarden rote Umschläge verschickt und empfangen, 1,01 Milliarden davon wurden innerhalb von 24 Stunden am 18. Februar online versendet. Zur Spitzenzeit, in den ersten Minuten des 19. Februars, wurden alle 60 Sekunden 1,65 Millionen Umschläge geöffnet.

WeChat arbeitete  außerdem mit dem Fernsehen zusammen. Während der traditionellen Frühlingsfest-Gala von CCTV, die jedes Jahr von Milliarden Menschen gesehen wird, wurden die Nutzer aufgefordert, WeChats „Schüttel"-Funktion zu aktivieren, um einen Hongbao mit 500-Millionen-Yuan Bargeld und 3 Milliarden Coupons für Hongbao gewinnen zu können.

Alipay, das mobile Bezahlsystem von Alibaba, einem der führenden E-Commerce- Unternehmen des Landes, verzeichnete mehr als 100 Millionen User, die während der Ferien Neujahrsgeld verschickten. Spitzenzeit für die digitalen Hongbao waren die Tage vom Silvesterabend am 18. Februar bis zum 21. Februar, nach Angaben von Alipay wurden insgesamt 4 Milliarden Yuan mit Hilfe der elektronischen Bezahlplattform transferiert.

Am Kampf um die roten Umschläge sind nicht nur ganz gewöhnliche Menschen, sondern auch Chinas Internetgiganten beteiligt, die um die Vorherrschaft bei den lukrativen mobilen Bezahlsystemen kämpfen. User müssen ihre Bankkarte mit ihrem WeChat-Konto verbinden, um Hongbao verschicken und sie für weitere Transaktionen nutzen zu können. Auch Liu Ying, Wissenschaftler beim Chongyang Institute for Financial Studies an der Renmin Universität in Beijing, bestätigt, dass der Kampf um den Markt der mobilen Bezahlsysteme hinter der „Hongbao-Schlacht" stecke.

Nach Angaben der People's Bank of China, der chinesischen Zentralbank, wurden 4,5 Milliarden mobile Transaktionen mit einem Gesamtwert von 2,3 Billionen Yuan getätigt, ein Plus von 170 bzw. 134 Prozent.

"Während des letzten Frühlingsfests war Tencents WeChat der einzige Anbieter von digitalen Hongbao-Diensten, in diesem Jahr boten sämtliche große Internetunternehmen wie Baidu, Tencent und Alibaba diesen Service an, um sich einen größeren Anteil an den gewinnversprechenden mobilen Zahlungsdiensten zu sichern." "Die boomenden mobilen Bezahlsysteme sind nicht nur für die Kunden bequem, sondern bieten auch Chancen für Internetunternehmen und Finanzinstitute. Sie erleichtern außerdem die Entwicklung hin zu einem verbrauchsgesteuerten Wachstum", erklärte Liu.

Es sei dabei nicht wichtig, welches Unternehmen den Wettbewerb um die Hongbao für sich entscheiden konnte, da die Firmen unterschiedliche Ziele verfolgten, meint Wang Weidong, Analyst bei der iResearch Consulting Group. "Für Alipay war der Hongbao-Service eine Möglichkeit, die User-Bindung während des Frühlingsfests zu verbessern. Für WeChat ging es eher darum, neue Nutzer für das Bezahlsystem zu gewinnen", erklärte er.

Ein zweischneidiges Schwert

Die Ferien zum Frühlingsfest sind traditionellerweise allein der Familie vorbehalten. Mit der zunehmenden Begeisterung für digitale Hongbao aber nimmt die Zeit, die mit der Familie verbracht wird, ab. Entsprechend groß war die Kritik an den Hongbao, die für die Entfremdung innerhalb der Familie verantwortlich gemacht wurden.

"Normalerweise habe ich mit der Familie über das Programm der Frühlingsfest-Gala im Fernsehen diskutiert, aber in diesem Jahr hatte ich kaum Zeit, die Sendung zu sehen, weil ich die ganze Zeit auf mein Handy gestarrt habe", sagt Kang, der 30-jährige Rundfunkredakteur. „Mit meinen Cousins bin ich zum Karaoke gegangen, aber selbst beim Singen war ich ständig damit beschäftigt, elektronische Hongbao zu ergattern!"

"Am letzten Tag der Ferien habe ich es bereut, so viel Zeit mit den Hongbao verbracht zu haben. Statt um noch mehr Umschläge zu kämpfen, habe ich an diesem Abend mit meiner Mutter Fernsehen gesehen. Ich bin mit einem Gefühl des Bedauerns von zu Hause weggefahren. Ich hätte mehr Zeit mit meinen Eltern verbringen sollen."

Gleichzeitig habe es ihm aber auch ein Gefühl der Befriedigung verschafft, seine  Klassenkameraden einander näher gebracht und ein Abendessen für sie organisiert zu haben. "Ich werde das Spiel auch im nächsten Jahr spielen, aber sicher mit weniger Geld und für kürzere Zeit", erklärte Kang.

Es sei unfair, die Hongbao für misslungene Familientreffen verantwortlich zu machen, meint dagegen Dong Chengyu, Dozent an der School of International Journalism and Communication an der Beijing Foreign Studies University. "Als das Fernsehen erfunden wurde, wurde es als Feind der persönlichen Kommunikation betrachtet. Dieselben Vorwürfe tauchten bei Erfindung des Telefons und der SMS-Services auf. Das Gleiche passiert nun mit den digitalen Hongbao", erklärte Dong. "Dabei bieten sie lediglich eine neue Art der Interaktion. Der Rest liegt in der Hand jedes Einzelnen. Solange niemand damit Geld verdienen will und sie als Glücksspiel betrachtet, sind sie eine gute Methode, die zwischenmenschlichen Kontakte zu verbessern", meint er.