Rekordsmog, Lebensmittelskandale, chaotischer Verkehr – wer als Ausländer für längere Zeit in Chinas Hauptstadt kommt, findet genügend Gründe, sich Sorgen um seine Gesundheit zu machen. Ob berechtigterweise oder nicht, darüber sprach der Internist und Allgemeinmediziner Reinhard Krippner bei einem Vortrag im German Centre in Beijing.
Besonders die hohen Feinstaubwerte bereiten vielen in Beijing lebenden Ausländern Sorgen (Foto: Maike Schulte)
"Leben in Beijing – und trotzdem gesund?" hatte der ehemalige Beijinger Botschaftsarzt, der über 20 Jahre in Asien und Afrika arbeitete und seit fünfeinhalb Jahren in der chinesischen Hauptstadt tätig ist, seinen Vortrag passenderweise überschrieben. Darin informierte er Neuankömmlinge und beijingerprobte Expats, die sich Gedanken über die Langzeitfolgen ihres Chinaaufenthalts machen, über die medizinische Versorgung und die wichtigsten Gesundheitsrisiken in Beijing.
Erster Punkt auf seiner Liste: Die medizinische Kultur und die Gesundheitsversorgung des Landes, beides für Ausländer gewöhnungsbedürftig. "China hat ein anderes Verständnis von Ursachen, Verlauf, Behandlung und Folgen von Krankheiten", erklärte Krippner. Zudem sei die medizinische Versorgung komplett anders als in Europa organisiert. Privatärztliche Praxen gibt es nicht, außer im Bereich der Zahn- und Augenheilkunde. Neben einigen kleinen lokalen Gesundheitszentren dominieren vor allem große staatliche Krankenhäuser mit 2000 bis 4000 Betten und riesigen Notaufnahmen. "Es ist ein Massenbetrieb, pro Tag sieht ein Arzt ohne Weiteres um die 100 Patienten", erläuterte der Arzt. Entsprechend kurz ist die Konsultationszeit, Privatsphäre gibt es dabei kaum.
Eine weitere Besonderheit: Die Familie wird bei der Aufklärung der Patienten miteinbezogen, vor allem vor großen Operationen und psychiatrischer Behandlung muss sie in die Behandlung einwilligen. "Das kann für alleinstehende Ausländer zum Problem werden", erklärte Krippner, "ich habe erlebt, dass Ärzte bei einem Herznotfall zunächst unbedingt die Einverständniserklärung der Familie haben wollten." Die Familie muss auch die Betreuung des Patienten im Krankenhaus übernehmen, d. h. Ausländer müssen möglicherweise eine Pflegekraft organisieren und bezahlen.
Für Ausländer ebenfalls problematisch: Das fehlende englischsprachige Personal und ungewohnte Behandlungsmethoden, wie stundenlange Infusionen bei Erkältungen. Viele Ärzte bessern zudem ihr bescheidenes Gehalt durch den Medikamentenverkauf auf. "Daher verschreiben sie oft teure, nicht immer angemessene Arzneien", berichtete Krippner.
Zwar sind OPs und Intensivstationen mit modernster Technologie ausgestattet, aber bei vielen Ausländern entsteht allein durch die Größe der Kliniken und die ungewohnten Abläufe ein Gefühl des Unwohlseins und der Unsicherheit. "Man sollte selbst mit guten Chinesischkenntnissen nicht allein in ein staatliches Krankenhaus gehen. Vor jedem Behandlungsschritt muss bezahlt werden, allein dafür kann man Hilfe gut gebrauchen, wenn man krank ist."
Eine Alternative sind die "VIP-Abteilungen" der staatlichen Kliniken. Sie richten sich an wohlhabendere Chinesen und Ausländer. Die Behandlungskosten sind dort höher, aber die Betreuung ist individueller. Wer es sich leisten kann oder eine entsprechende Auslandskrankenversicherung abgeschlossen hat, für den gibt es eine ganze Reihe von modernen Joint-Venture-Krankenhäusern mit teilweise ausländischen Ärzten, englisch- oder sogar deutschsprachigem Personal und Privatklinik-Ambiente. "Eine gute Versicherung ist in jedem Fall wichtig, und zwar auch über China hinaus, um beispielsweise bei Urlaubsreisen geschützt zu sein. Beinhalten sollten sie sollte auch eine Rückholversicherung, denn ein Rücktransport im Notfall kann schnell zigtausende Euro kosten", ergänzte Krippner.
Auch ein adäquater Impfschutz sorgt für Sicherheit. Krippners Empfehlungen: Impfungen gegen Hepatitis A und B, da das Erkrankungsrisiko höher ist als in Europa, gegen Japanische Enzephalitis, Tollwut und evtl. Typhus. Nach seinen Angaben ist die Japanische Enzephalitis die häufigste virale Gehirnentzündung in China, der Tollwut fallen im Raum Beijing jedes Jahr rund 14 Menschen zum Opfer.
Ein Sorgenthema, um das man vor allem in Beijing nicht herum kommt, ist die Luftverschmutzung. Krippner zeigte sich im Hinblick auf einen vorübergehenden Aufenthalt insgesamt gelassen. Zwar führt die hohe Feinstaubbelastung erwiesenermaßen zu einer Zunahme von Bronchitis, Asthma, Herz- und Gefäßerkrankungen sowie einer höheren Sterblichkeit, aber: "Mit einem Kurzzeiteffekt ist nur bei Personen mit Vorschädigungen oder älteren Menschen zu rechnen." Wer sich, wie die meisten Ausländer, drei bis fünf Jahre in Beijing aufhalte, müsse seiner Einschätzung wohl nicht mit Langzeitwirkungen rechnen, sofern er keine Vorerkrankungen habe.
Bei hohen Feinstaubwerten sei jedoch das Tragen einer Maske zu empfehlen, Stoff- und OP-Masken seien allerdings wirkungslos. "N 90-Masken halten fast alles ab, N-95-Masken sogar Krankheitserreger. Wichtig ist, die Masken nicht zu lange zu tragen, denn ihre Wirkung lässt dann nach", riet der Arzt. Ab Feinstaubwerten um die 200 sollte man auf Sport verzichten, die Fenster geschlossen halten und die Räume feucht wischen, so der Tipp vom Mediziner. Und wer Probleme mit der trockenen Beijinger Luft hat, sollte auf Luftbefeuchter auf Wasserbasis verzichten, denn: "Das sind wahre Keimschleudern."
Ein weiteres Kapitel des Vortrags widmete sich der Ernährung. Schlagzeilen über keim- und phenolbelastetes Trinkwasser, melaninverseuchte Milch, pestizidbelastetes Gemüse und Obst, Schwermetalle im Reis sind nicht zur Beruhigung angetan. "Ich empfehle, Wasser für Babys in jedem Fall abzukochen. Ansonsten sind Tipps angesichts der fehlenden zuverlässigen Daten schwierig", erklärte Krippner.
Verkehr – gefährlicher als die Luftverschmutzung
Ein Thema, das dem Arzt besonders am Herzen liegt, sind die Gefahren durch den Beijinger Straßenverkehr. Ein Helm sei Pflicht angesichts lautlos überholender Roller und kreuz und quer fahrender Autos und Zweiräder. "Der Verkehr ist ein größeres Risiko als die Luftverschmutzung", betonte er. Kontrovers diskutiert wurde dagegen die Frage nach dem Verhalten im Falle eines Unfalls. Während der Arzt eher davon abriet, Verletzten zu helfen, da Helfer häufig zur Kasse gebeten und sogar juristisch belangt werden, berichteten einige der Zuhörer auch über positive Erfahrungen und eine große Dankbarkeit der Unfallopfer.
Einen abschließenden Hinweis hielt Krippner noch für den amüsierwilligen Teil des männlichen Geschlechts bereit: Zwar sei das HIV-Risiko gering, aber Geschlechtskrankheiten seien nicht selten, vor allem die Syphilis deutlich häufiger verbreitet als in Europa, warnte er.
Das übergreifende Fazit des Mediziners fiel am Ende dennoch eher gelassen aus, sein Credo: Wer sich abwechslungsreich ernährt, kein Übergewicht hat, Sport treibt, nicht raucht und bei hohen Luftverschmutzungswerten gegebenenfalls Atemmaske und Innenraumfilter nutzt, muss keine Gesundheitsprobleme durch einen Beijing-Aufenthalt befürchten.
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