Chinas Reformen und Strukturkoordination waren wichtige Themen beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum.
Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bei seiner Grundsatzrede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos
Am Nachmittag des 21. Januar füllte sich die Konferenzhalle im malerischen Davos mit Zuhörern, die gespannt auf die Rede über eines der dringlichsten Themen der Welt waren: Chinas nachlassende Konjunktur und ihre Folgen. "Chinas Wirtschaft steuert nicht auf eine harte Landung zu", versicherte Ministerpräsident Li Keqiang in seiner Grundsatzrede vor den Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums, das vom 21. bis 24. Januar unter dem Motto „Neuer globaler Kontext" in der Schweiz stattfand.
In seiner Rede legte Li seine Ansichten über globale Angelegenheiten und Chinas wirtschaftliche Situation dar, einschließlich der chinesischen Maßnahmen zur Vertiefung der Reformen und der Strukturkoordination. China sei mittlerweile die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, daher bedeute selbst ein 7-Prozent-Wachstum eine stärkere Steigerung des BIP als das 10-Prozent-Wachstum vor fünf Jahren, erklärte Li.
"Chinas Wachstum wird durch seine 50-prozentige Sparquote gestützt, 70 Prozent der Schulden der Lokalregierungen werden für den Aufbau der Infrastruktur genutzt. Die Finanzreform läuft weiter. China steht vor keinen regionalen oder systematischen Finanzrisiken. Eine harte Landung der Wirtschaft wird es nicht geben", betonte Li.
China werde die Reformen wichtiger Bereiche 2015 weiter vorantreiben. Priorität habe eine angemessene Beziehung zwischen Regierung und Markt. "Der größte Anreiz für Chinas Wachstum liegt im Streben der Menschen nach einem besseren Leben sowie der Reform und Öffnung", erklärte er.
Li versprach, tiefere und breitere Reformen im behördlichen Genehmigungssystem, um die Vitalität des Marktes anzuregen und ein besseres Umfeld für einen fairen Wettbewerb zu schaffen. Laufende Reformen in finanzpolitischen, steuerlichen und wichtigen Finanzbereichen sollen ebenso vorangetrieben werden, der Zugang für ausländische Investitionen solle weiter gelockert, die Dienstleistungsindustrie weiter geöffnet werden.
Damit Chinas Wirtschaft ihr mittleres bis schnelles Wachstum aufrechterhalten kann, müsse das Marktpotenzial vollständig freigesetzt werden. "Zur Förderung neuer Wachstumsmotoren muss China das Unternehmertum und Innovationen in großem Maßstab fördern und die Kompetenzen und Stärke seiner Menschen mobilisieren", so Li.
Das WEF in Davos verzeichnete mehr als 2500 Teilnehmer aus über 140 Ländern, Regionen, internationalen Organisationen, aus der akademischen Welt, der bürgerlichen Gesellschaft und den Medien. Diskutiert wurden Themen wie die globale Wirtschaft, Umweltschutz und nicht-konventionelle Sicherheit.
"China" war zweifellos ein Schlagwort beim diesjährigen Treffen. Wie China, die dynamischste Volkswirtschaft der Welt, seine Rolle als Motor der Weltwirtschaft ausfüllen und wie die Welt seine Reformen beurteilt, waren thematische Schwerpunkte des Forums.
Im Bemühen, seine Präsenz in globalen Angelegenheiten und das Marktvertrauen trotz des wirtschaftlichen Abschwungs zu stärken, schickte China die hochrangigste Delegation seit 2009 nach Davos. Die Delegation, angeführt von Li, bestand aus führenden Regierungsbeamten, Wirtschaftsexperten und Spitzenunternehmern, darunter Jack Ma, Gründer und Vorstandsvorsitzender des US-börsennotierten E-Commerce-Giganten Alibaba, und Ren Zhengfei, Präsident von Huawei, einem der führenden Informations- und Kommunikationstechnologie-Dienstleister Chinas.
"Angesichts der langsamen Erholung der Weltwirtschaft und fehlender Wachstumspunkte setzt die Welt große Hoffnung auf China. Lis Erläuterungen zu Wirtschaftsstrategien und zum chinesischen Mut zu Reformen führten zu einem besseren Verständnis der Welt für Chinas Wirtschaft und stärkten das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in Chinas wirtschaftliche Perspektiven, auch wenn es einen Strukturwandel durchläuft", meint Chen Fengying, Forschungsstipendiatin beim China Institute of Contemporary International Relations.
Konjunkturschwäche unter der Lupe
Trotz seiner offensichtlichen Schwäche ist Chinas Wachstum verglichen mit anderen Ländern weiterhin recht beeindruckend: 2014 legte seine Wirtschaft um 7,4 Prozent zu. Laut Prognosen der Weltbank wird die globale Wirtschaft 2015 um 3 Prozent wachsen, für 2014 war ein Wachstum von 2,6 Prozent vorausgesagt. Für China, das eine gesteuerte Konjunkturverlangsamung durchläuft, prognostiziert die Weltbank für 2015 ein weiterhin robustes Wachstum von 7,1 Prozent.
Chinas Konjunkturabschwächung sei kein vorübergehendes Phänomen, sondern Zeichen eines Strukturwandels, erklärte Katherine Garrett-Cox, Geschäftsführerin von Alliance Trust PLC, einem Investment- und Finanzdienstleistungsunternehmen mit Hauptsitz in Dundee, Schottland. Chinas BIP-Zuwachs verlangsamte sich 2014 auf 7,4 Prozent. Aber selbst um diese Geschwindigkeit würden viele Länder China noch beneiden, erklärte sie. Viele Länder träumten von einem Wachstum von 7,4 Prozent, meinte auch Jaspal Singh Bindra, Vorstandsvorsitzender von Standard Chartered Asia. China sollte aber den Anteil der Dienstleistungsindustrie an der Gesamtwirtschaft während seiner Strukturkoordination steigern, riet er.
Klaus Schwab, Gründer des WEF, zeigt sich seit Langem schon optimistisch, dass China sich auf dem richtigen Weg der Strukturanpassungen und –reformen befinde. China habe weiterhin den größten Anteil am globalen Wachstum, der Erfolg des Landes sei beeindruckend. Es werde entscheidend sein, Wege zu einer ausgeglichenen und nachhaltigen Freisetzung von Chinas Wachstumspotenzial zu finden, erklärte Schwab, der den weltbekannten Skiort Davos zu einem Ort des weltweiten Meinungsaustauschs machte.
"Ich applaudiere den Bemühungen, die die chinesische Führung in dieser Hinsicht unternimmt. Der Übergang von einem Wachstum durch Massenproduktion zu einem Wachstum durch Innovationen ist eingeleitet, aber es bleiben Herausforderungen bestehen", erklärte er.
Auf die Möglichkeit solcher Herausforderungen angesprochen, scheint Schwab jedoch nicht beunruhigt. „Ich habe gelernt, dass diejenigen, die pessimistisch im Hinblick auf Chinas Entwicklung und seinen Kurs sind, normalerweise Unrecht haben", sagte er.
Ein wichtiger Investor
Ministerpräsident Li Keqiang erklärte, dass das Land seine Unternehmen dazu ermutigen werde, den internationalen Markt zu erkunden und mit anderen Ländern durch größere wechselseitige Offenheit an einer gemeinsamen Entwicklung zu arbeiten.
Der Export von Überkapazitäten in Chinas zukunftsorientierte Industrien werde eine Win-Win-Situation schaffen. "Einerseits wird dies das Leben der Menschen deutlich verbessern; andererseits wird die Nachfrage gefördert und das Risiko einer Deflation angesichts der weltweit sinkenden Nachfrage verringert", erklärte Li in Davos.
China war wegen seiner niedrigen Landpreise, zahlreicher und günstiger Arbeitskräfte und politischer Begünstigungen seit der Reform- und Öffnungspolitik bislang ein Hotspot für weltweites Kapital. Das Land verwandelt sich jedoch von einem Kapitalempfänger in einen globalen Investor. Nach Zahlen des Handelsministeriums (MOFCOM) beliefen sich die Direktinvestitionen ins Ausland auf 102,9 Milliarden Dollar, ein Plus von 14,1 Prozent; das Land ist zum drittgrößten Investor weltweit geworden. Ausländische Direktinvestitionen in China betrugen 119,56 Milliarden Dollar, eine Steigerung von nur 1,7 Prozent. „China wird bald zu einem Nettoinvestor werden", erklärte Zhong Shan, Vizeminister des MOFCOM.
"Chinas Regierung wird chinesische Unternehmen ermutigen, im Ausland zu investieren, damit sie ihren Entwicklungsspielraum vergrößern und dem Ausland bei der Schaffung von mehr Jobs, mehr Steuereinnahmen und der Förderung des Wachstums helfen", so Zhong. Im nächsten Schritt werde China seine Investitionen ins Ausland entsprechend der Projekte des Wirtschaftsgürtels an der Seidenstraße und der maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts ausdehnen und zukunftsweisende Industrien und den Transfer von Überkapazitäten in Länder entlang der zwei geplanten Handelsrouten fördern, erklärte Zhong.
Bei Investitionen ins Ausland sollten chinesische Unternehmen eine Win-Win-Situation mit den Menschen vor Ort anstreben, erklärte Dong Mingzhu, Präsidentin von Gree Electric Appliances in Zhuhai (Provinz Guangdong). "Fabriken im Ausland zu eröffnen ist nicht das Ziel. Produktion allein ist bedeutungslos. Bei Investitionen im Ausland sollten chinesische Unternehmen ihre eigenen Technologien, Forschungs- und Entwicklungsteams und ihre eigene Marke haben, damit sie Hand in Hand mit den Kommunen vor Ort wachsen und ein Win-Win-Ergebnis erzielen können", erklärte Dong während einer Nebenveranstaltung des WEF.
Exporte von Chinas zukunftsweisenden Industrien, wie der Aufbau der Infrastruktur, werden eine Grundlage für künftiges Wachstum in den Investitionsländern schaffen, sagte Jin-yong Cai, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der International Finance Corp. "Chinesische Unternehmen sollten aber einige Risiken berücksichtigen, wenn sie im Ausland investieren", so Cai. "Es mag einfach sein, ein Projekt aufzubauen, aber aufgrund der politischen Instabilität in einigen Ländern kann es schwierig werden, davon zu profitieren. Dieses Problem könnte gelöst werden, indem man gewöhnliche Menschen zu den Nutznießern eines Projekts macht oder Interessensgemeinschaften mit örtlichen Unternehmen aufbaut."
Der Mangel an Qualifikation ist das größte Hindernis beim Vorstoß chinesischer Unternehmen ins Ausland. "Bei Investitionen ins Ausland sollte ein Unternehmen sich über die lokale Kultur, das politische und rechtliche Umfeld sowie die Sprache im Klaren sein. Ein Mangel an Qualifikation in diesen Bereichen wäre die größte Einschränkung", erklärte Yifu Lin, Wirtschaftsprofessor an der Universität Beijing und ehemaliger Chefökonom und Senior-Vizepräsident der Weltbank. |