15-01-2015
Im Focus
Fluch oder Segen? - Chinesische Investitionen in Europa
von Li Gang

Am 28. Mai 2013 unterzeichnete die chinesische Immobilienfirma ABP Holding Group in London einen Vertrag mit der örtlichen Stadtverwaltung über die Neugestaltung des brachliegenden Royal Docks. Die chinesische Firma investierte insgesamt eine Milliarde Pfund, um das alte Hafengelände in einen asiatischen Business-Park umzuwandeln

Suche nach günstigen Investitionschancen in Europa

Die EU ist heute die weltweit größte Wirtschaftsallianz mit dem höchsten Integrationsgrad unter den entwickelten Regionen der Welt und spielt deshalb eine ausschlaggebende Rolle für die Weltwirtschaft. Großbritannien gehört aufgrund seines ausgereiften Kapitalmarktes und der guten Investitionsbedingungen vor Ort zu den beliebtesten Zielländern chinesischer Investoren. Chinas Investitionen in diesem Land entwickeln sich seit einigen Jahren rasant und erfahren zugleich eine zunehmende Diversifizierung. Bis heute haben sich mehr als 500 chinesische Unternehmen in Großbritannien niedergelassen. Die Investitionen belaufen sich auf 32,3 Milliarden US-Dollar und weisen ein weit gefächertes Spektrum auf. In verschiedensten Bereichen wie Landwirtschaft, Energie, Finanzwesen, Immobilien, Wissenschaft und Technik sowie Transport und Verkehr werden Investitionen getätigt. Dabei bilden Energie, Transport und Verkehr sowie Immobilien einen besonderen Schwerpunkt. Insgesamt gesehen weisen die Unternehmen mit chinesischer Kapitalbeteiligung in Großbritannien ein gutes Management auf und es lassen sich zahlreiche Erfolgsgeschichten erzählen.

Der chinesische Autokonzern Geely (Zhejiang Geely Holding Group) etwa übernahm für 11,04 Millionen Pfund das Unternehmen British Manganese. Da die von der britischen Firma hergestellten schwarzen Taxis Kult und kulturelles Wahrzeichen Londons sind, hilft der Coup dem chinesischen Investor, den britischen Markt besser zu erschließen. Geht es nach der chinesischen Muttergesellschaft, sollten dabei dem Auto-Leasing und der PKW-Herstellung Schlüsselrollen zufallen. Durch die britische Tochterfirma erhält der chinesische Investor einen tieferen Einblick in die Gesetzeslage und die Bedürfnisse auf dem internationalen Markt sowie die gesellschaftlichen Verhältnisse in Europa und kann wertvolle Erfahrungen im Bereich der internationalen Geschäftsführung sammeln.

Eine weitere Erfolgsgeschichte schrieb die Shanghaier SAIC Motor Corporation Limited. In Zusammenarbeit mit dem traditionsreichen britischen Autohersteller MR Rover brachte die Firma unter dem Motto „Designt in Großbritannien, made in China" neue Autos auf den Markt. Auch der Chinese National Petroleum Corporation (CNPC) gelang ein entscheidender Coup. Das Unternehmen übernahm den Geschäftsbereich Rohölraffination des transnationalen Ölkonzerns Ineos mit Sitz in der Schweiz. Ferner konnten die chinesischen Telekommunikationsgiganten Huawei Technologies und die Zhongxing Telecommunication Equipment Corporation (ZTE Corporation) ihre Entwicklungszentren in Großbritannien weiter ausbauen.

Auch 2014 reißt der Trend wachsender chinesischer Investitionen in Großbritannien nicht ab. Nach Statistiken der Heritage Foundation tätigten chinesische Unternehmen von Januar bis Juni dieses Jahres insgesamt 16 Großinvestitionsprojekte (jeweils im Wert von mehr als 100 Millionen US-Dollar) in Europa. Der Gesamtinvestitionswert belief sich auf 12,87 Milliarden US-Dollar. Von diesen 16 Projekten wurden sieben in Großbritannien durchgeführt und ihr Gesamtwert belief sich auf rund 4,87 Milliarden US-Dollar.

2009 wurde Europa von der Schuldenkrise gebeutelt, was die europäische Wirtschaft erheblich beeinträchtigt hat. Viele ausländische Investoren zogen sich aus der EU zurück. Diesem Trend steuerten die chinesischen Unternehmen entgegen und beschleunigten ihre Maßnahmen zum Gang nach Übersee. Einerseits stockten sie ihre Investitionen in den wichtigsten EU-Ländern auf, andererseits engagierten sie sich auch zunehmend in den peripheren Ländern der Euro-Zone, die besonders unter der Finanzkrise litten. Die Gründe für das verstärkte Engagement chinesischer Unternehmen sind vielfältig. Zum einen spielen sicherlich die gesunkenen Kosten für Übernahmen eine Rolle, da die Aktien vieler europäischer Unternehmen seit Beginn der Schuldenkrise stark gefallen sind. Zum anderen drosselten die Banken während der Krise ihre Kreditvergabe, so dass es vielen Unternehmen der Euro-Zone an liquiden Geldmitteln mangelte. Aktienbeteiligungen oder Übernahmen durch chinesische Unternehmen kamen von daher genau zur rechten Zeit und leisteten Hilfe bei der Überwindung der finanziellen Engpässe. Des Weiteren spielte die Privatisierung der staatlichen Unternehmen in einigen europäischen Ländern eine wichtige Rolle. Sie resultierte aus dem von finanziellen Schwierigkeiten belasteten Staatshaushalt vieler Länder. Die Privatisierung eröffnete chinesischen Investoren viele Chancen. Und nicht zuletzt sind die chinesischen Investitionen sicherlich den günstigen politischen Rahmenbedingungen zu verdanken, die von der EU und ihren Mitgliedsländern angesichts der Schuldenkrise geschaffen wurden.

Italien bildet die viertgrößte Wirtschaft Europas. Vor allem die italienische Fertigungsindustrie sowie Markenartikel aus Italien sind international stark konkurrenzfähig. Bereits vor dem Ausbruch der Schuldenkrise investierten einige chinesische Unternehmen in Italien und konnten dabei gute Geschäftsergebnisse erzielen. Beispielsweise kaufte der bekannte chinesische Haushaltgerätehersteller Haier eine kleine Fabrik für Kühlschränke in der nordostitalienischen Gemeinde Campodoro auf und gründete damit seine erste Tochtergesellschaft in Europa. So gelang es Haier, festen Fuß auf dem riesigen europäischen Markt zu fassen. In den ersten zwei Jahren der Übernahme wurde die Produktion von kleinen Kühlschränken auf den alten Fließbändern der Firma fortgesetzt. Danach investierte Haier in großem Umfang in die Entwicklung neuer Produkte und gestaltete die Produktion stark um, womit das Unternehmen die Quantität und Qualität der Produkte von Jahr zu Jahr steigern konnte. 2008 brachte die Tochtergesellschaft dann dreitürige Kühlschränke mit italienischem Design auf den Markt. Die auf die individuellen Bedürfnisse der Konsumenten zugeschnittenen neuen Geräte wurden zum Verkaufsschlager. Zurzeit konzentriert sich die Haier-Tochtergesellschaft auf die Entwicklung und Produktion von hochwertigen Haushaltsgeräten, die genau auf die Gebrauchsgewohnheiten der europäischen Konsumenten abgestimmt sind. Die Zahl der hergestellten Kühlschränke ist von mehr als 34.000 im Jahr 2008 auf heute rund 81.000 geklettert. Während europäische Konkurrenten wegen der sinkenden Nachfrage die Produktion einschränken und Personal abbauen mussten, werden in der italienischen Haier-Tochtergesellschaft Überstunden gemacht.

Die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und Italien hat die Investitionen chinesischer Unternehmen auf ein neues Rekordhoch katapultiert. Chinesische Investoren tätigten einige große Übernahmen. Hierzu zählen der Erwerb von 40 Prozent der Aktienanteile der Ansaldo Energy Corporation durch die Shanghai Electric Group; der Kauf von 35 Prozent der Aktien der Energy Holding Company CDP Reti Network, die der italienischen staatlichen Bank Cassa Depositie Prestiti untersteht, durch Investitionen von China Grid in Höhe von 2,1 Milliarden Euro; und die Mehrheitsaktienbeteiligung der Shanghaier Yimin Food Factory der China Bright Food Group an dem italienischen Olivenölproduzenten Salov.

Vor dem Hintergrund der europäischen Schuldenkrise richten auch immer mehr chinesische Unternehmen ihr Augenmerk auf Griechenland. Derzeit haben 13 chinesische Unternehmen eine Niederlassung in Athen. Zu den Bereichen der Investitionszusammenarbeit gehören Hafenbau und Transport, Schiffbau, grüne Energien, Telekommunikation und Immobilien. Am 12. Juni 2008 erwarb das bekannte chinesische Hochseetransportunternehmen COSCO bei der Ausschreibung zur Privatisierung des größten griechischen Hafens Piraeus für 498 Millionen Euro für 35 Jahre die Wirtschaftslizenz für die Piers 2 und 3 des Hafens. Viele Griechen sahen in dem Vorgang ein negatives Signal und fürchteten um heimische Arbeitsplätze. Als COSCO im Oktober 2009 das Geschäft übernahm, wurde der Hafen sechs Wochen lang bestreikt. Die Hafenarbeiter skandierten Parolen wie „Cosco Go Home". Doch das chinesische Unternehmen ließ die Tatsachen für sich sprechen. Durch einen neu gebauten Containerhafen wurden 1000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und der Lohndurchschnitt der Hafenarbeiter liegt heute deutlich höher als der Landesdurchschnitt. Durch die von COSCO veranstalteten Fortbildungen für Hafenarbeiter konnte außerdem die Produktivität der Containerabfertigung deutlich erhöht werden. Während früher pro Stunde im Schnitt nur sechs Standardcontainer abgefertigt wurden, sind es heute 22, was sogar das durchschnittliche Niveau in europäischen Häfen übertrifft. 2008 lag die Zahl der in Piraeus abgefertigten Container bei rund 434.000. In den darauf folgenden fünf Jahren hat sich diese Zahl versiebenfacht und erreichte 2013 3,16 Millionen. COSCO hat den griechischen Hafen in die Gewinnzone geführt. Im ersten Halbjahr 2014 wurde ein Gewinn in Höhe von 11,3 Millionen Euro erwirtschaftet, ein Plus von 22 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2013. Das Investitionsprojekt von COSCO ist eines der erfolgreichsten Beispiele für Privatisierung in Griechenland seit Jahrzehnten und ein leuchtendes Vorbild für die Investitionstätigkeiten chinesischer Unternehmen in Europa.

   <   1   2   3   >