Die Führungsspitze traf sich auf der Zentralen Wirtschaftlichen Arbeitskonferenz, um die Wirtschafts- und Reformpläne für 2015 auszuarbeiten
von Zhou Xiaoyan
Im Binnenhafen von Duisburg stapeln sich Container aus China. Sie wurden auf dem Schienenweg aus Chongqing angeliefert. Die Zugstrecke verläuft entlang der alten Seidenstraße und soll den Handel zwischen China und Eurasien fördern (Luo Huanhuan)
Fruchtbare Landreformen: In einem Pilotprojekt zur Landreform im Bezirk Wuxing in Huzhou (Provinz Zhejiang) werden Maschinen bei der Reisernte eingesetzt (Xu Yu)
Vom 9. bis 11. November fand in Beijing die Zentrale Wirtschaftliche Arbeitskonferenz, ein viel beachtetes jährliches Wirtschaftstreffen, statt. Themenschwerpunkt war die Verringerung der Risiken für eine Konjunkturabschwächung und die Beschleunigung der Reformen in wichtigen Bereichen. Das Motto lautete „neue Normalität" für das Jahr 2015.
Chinas Führungsspitze entschied auf der Konferenz, an der Umsetzung einer besonnenen Währungspolitik und proaktiven Finanzpolitik festzuhalten. Wirtschaftliche Fortschritte sollen dabei Hand in Hand mit dem Erhalt der Stabilität gehen. Großer Wert soll 2015 auf die Strukturregulierung gelegt werden, dazu sollen die Qualität und Effizienz des Wachstums verbessert werden.
Für China beginnt jetzt die Ära einer „neuen Normalität", sie steht für Belastbarkeit, ein massives Wirtschaftspotenzial und viel Handlungsspielraum für die Regierung. Während der Konferenz wurden Stimmen laut, dass China seine makroökonomische Politik der „neuen Normalität" anpassen und die Wachstumsquote im kommenden Jahr „in einem angemessenen Rahmen" halten sollte.
Während des diesjährigen APEC-Treffens definierte Chinas Staatspräsident Xi Jinping die „neue wirtschaftliche Normalität" wie folgt: eine Verlagerung von einer rasanten wirtschaftlichen Expansion hin zu einem moderaten Wachstum, eine beständige Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und die Abkehr von einem Wachstum, dessen Motor Produktionsfaktoren und Investitionen sind, hin zu einem Wachstum durch Innovationen.
"Chinas Führungsspitze spricht oft von der „neuen Normalität", da sie den Strukturausgleich für wichtiger hält als das BPI", erklärte Li Yining, ein bekannter Wirtschaftsexperte. „Jetzt ist die Zeit für einen Strukturwandel gekommen. Verpasst man diese Gelegenheit, wäre das ein riesiger Verlust für China."
Langsameres, aber stabiles Wachstum
Chinas reformorientierte Führung zeigt sich nun toleranter gegenüber einem langsameren Wachstum und hat wiederholt bekräftigt, dass das Land in der Lage sei, ein Wachstum "innerhalb eines angemessenen Rahmens" aufrechtzuerhalten.
Chinas BPI-Wachstum verlangsamte sich im dritten Quartal auf 7,3 Prozent, den schwächsten Wert seit der weltweiten Finanzkrise, belastende Faktoren waren der erlahmende Immobilienmarkt und verschärfte Kreditbedingungen.
Vor diesem Hintergrund meinen Wirtschaftsexperten und wichtige Finanzinstitute, dass die Regierung die Zielvorgabe für das BPI von 7,5 auf 7 Prozent senken könnte. Die Zentrale Wirtschaftliche Arbeitskonferenz habe möglicherweise eine Entscheidung zur Senkung der Wachstumsvorgabe für 2015 getroffen. Detaillierte Zielvorgaben würden aber wahrscheinlich nicht vor dem Nationalen Volkskongress Anfang März nächsten Jahres bestätigt und verkündet.
JP Morgan prognostiziert für 2015 eine Senkung des Wachstumsziels auf 7,2 Prozent. Die UBS, die Bank of China, die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften und das Staatliche Informationszentrum gehen von 7 Prozent aus.
"Es ist sehr wahrscheinlich, dass das angestrebte BPI-Wachstum bei 7 Prozent liegen wird", erklärte Zhang Guobao, ehemaliger Vizeminister der Staatliche Kommission für Entwicklung und Reform (NDRC), Chinas oberster Wirtschaftsplanungsbehörde.
7 Prozent sei ein praktikables Ziel für 2015, diese Zahl bleibe wohl für eine ganze Weile Standard für China, meint Zhang Zhuoyuan, leitender Wissenschaftler an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften. Das Wachstumsziel sollte nicht zu hoch angesetzt werden, damit mehr Spielraum für die Strukturregulierung und Reformen bleibe, rät Song Qinghui, ein Finanzkommentator. "Es darf aber auch nicht zu niedrig angesetzt werden, denn das würde eine Zunahme fauler Kredite, massive Arbeitsplatzverluste und Unternehmensinsolvenzen zur Folge haben. Am wichtigsten ist es, die Arbeitsmarktbedingungen im Auge zu behalten. Die zentralen Behörden sollten den Jobmarkt genau beobachten", empfiehlt er.
Veränderungen auf dem Weg: Bürger bei der Hukou-Registrierung im Kreis Yi'nan (Provinz Shandong) XINHUA
Um eine weitere Konjunkturabschwächung zu verhindern, hat Chinas Zentralbank am 22. November die Zinsrichtwerte für Kredite mit einjähriger Laufzeit um 0,4 Prozentpunkte auf 5,6 Prozentpunkte und für Einlagenzinsen um 0,25 Prozentpunkte auf 2,75 Prozentpunkte gesenkt.
Die lang erwartete Zinssenkung erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem das Wachstum auf den tiefsten Punkt seit Monaten sank. „Der Zweck der Senkung von Kredit- und Einlagenzinsen besteht darin, die aktuellen Zinssätze wieder auf ein angemessenes Niveau zu bringen und die Finanzierungskosten für Unternehmen zu reduzieren", hieß es in einer Stellungnahme der Zentralbank.
Nach gängiger Marktmeinung reicht eine alleinige Zinssenkung jedoch bei weitem nicht aus. Weitere Maßnahmen wie die Senkung des Mindestreservesatzes sollten ausgeschöpft werden, um dem Markt Liquidität zuzuführen.
Die Kombination einer proaktiven Finanzpolitik und einer besonnenen Geldpolitik ist seit 2010 in China Praxis. "2015 wird sich dieser Trend nicht ändern, aber die Geldpolitik wird eine Feinabstimmung in Richtung Lockerung erfahren. Es wird im nächsten Jahr mindestens eine Zinssatzsenkung und eine Absenkung des Mindestreservesatzes geben", erklärte Li Huiyong, leitender Analyst bei Shenyin and Wanguo Securities Co. Ltd.
Die Inflation befindet sich auf einem Rekordtief, so dass der Spielraum und die Wahrscheinlichkeit für mehr Lockerungsmaßnahmen durch die Zentralbank erhöht werden. Chinas Verbraucherpreisindex (VPI), ein Hauptindikator für die Inflation, stieg im November nur um 1,4 Prozent im Vorjahresvergleich, der niedrigste Anstieg seit November 2009, meldete das Staatliche Statistikamt am 10. Dezember. Der Erzeugerpreisindex, der die Inflation im Hinblick auf den Großhandel misst, sank im November um 2,7 Prozent im Vorjahresvergleich, man verzeichnete somit den stärksten Rückgang seit 18 Monaten.
Nach Angaben von Wang Jun, leitender Wirtschaftsexperte am China Center for International Economic Exchanges, ist China einem steigenden Deflationsdruck ausgesetzt. "Diese Tendenz wird sich bis 2015 fortsetzen und erfordert unverzügliche geldpolitische Maßnahmen durch die Zentralregierung. Die Bekämpfung der Deflation heißt, dass Chinas besonne Geldpolitik genauer justiert und sich in Richtung Lockerung bewegen sollte", rät Wang. „Die Senkung der Zins- und Mindestreservesätze sollte im kommenden Jahr abwechselnd eingesetzt werden, um die Stimmung am Markt zu verbessern."
Auch wenn die grundlegende Tendenz für 2015 weiterhin eine "proaktive" Finanzpolitik und eine "besonnene" Geldpolitik sei, beschränke sich die Haltung der Regierung nicht darauf, wie sich anhand der jüngsten Zinssenkung im November zeige, heißt es in einem Bericht von Goldman Sachs.
Reform nimmt Tempo auf
Eine der fruchtbarsten Entwicklungen nach der Zentralen Wirtschaftlichen Arbeitskonferenz im letzten Jahr war die Entscheidung, eine Zentrale Leitungsgruppe zur „umfassenden Vertiefung der Reform" einzurichten, um Reformen in allen Bereichen der Gesellschaft umzusetzen.
Diese Gruppe kam seit 2014 siebenmal zusammen, konkrete Fortschritte in den Bereichen der Finanzpolitik, des Hukou (Haushaltsregistrierungssystem), der Übertragung von ländlichen Grundstücken, der Shanghaier Freihandelszone, der Bekämpfung der Korruption und der Justizreform waren die Folge.
Nach Angaben der kürzlich zu Ende gegangenen Zentralen Wirtschaftlichen Arbeitskonferenz sollen 2015 wichtige Schritte im Hinblick auf die Reform des Finanzwesens, der Staatsunternehmen, der Preispolitik und des Hukou-Systems sowie des Wirtschaftsgürtels an der Seidenstraße und der Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts unternommen werden.
"Die Tatsache, dass China eine „neue wirtschaftliche Normalität" erreicht hat, zeigt, dass das Land mutig an die Reformen in Schlüsselbereichen herangehen sollte, um positive Mitnahmeeffekte und Marktvitalität freizusetzen und so das Wachstum zu stützen", erklärte Liu Yuanchun, Vizedekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Renmin-Universität.
Am 30. November begann eine öffentliche Meinungsumfrage zu einem Verordnungsentwurf über die Einrichtung eines Einlagensicherungsprogramms, das in sechs bis zwölf Monaten in Kraft treten soll. Das Programm ist eine wichtige Komponente des Sicherheitsnetzes zum Schutz der finanziellen Stabilität. China hat jahrelang ausführlich über die Einrichtung eines solchen Programms diskutiert.
Ein solches Programm sei für Chinas marktorientierte Finanzreform dringend erforderlich, erklärte Guo Tianyong, Professor für Bankwesen an der Central University of Finance and Economics. Die Einführung einer Einlagensicherung werde die marktbasierte Zinssatzreform in China stark voranbringen, ergänzte Zhu Ning, Professor für Finanzwissenschaften an der Shanghai Jiao Tong University. "Das Fehlen eines Einlagensicherungssystems hat andere Reformen im Finanzbereich stark ausgebremst. Nach der vollständigen Freigabe der Zinssätze in China wird der Bankensektor echte Veränderungen erleben."
Eine weitere Aufgabe, die ganz oben auf der Wirtschaftsagenda steht, ist die Stärkung der regionalen Integration und Förderung des Handels durch die Wiederbelebung einer historischen Handelsstraße.
In seiner Rede an der Nazarbayew-Universität in Kasachstan schlug Chinas Staatspräsident Xi Jingping am 13. September vor, einen Wirtschaftsgürtel an der Seidenstraße einzurichten, ähnlich dem über 2000 Jahre alten historischen Vorbild, um politische und wirtschaftliche Verbindungen zwischen China und den Ländern Eurasiens zu stärken. Bei einem Besuch in Indonesien regte er im Oktober 2013 die Einrichtung der Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts an, um die Wirtschaftsverbindungen zu den ASEAN-Staaten zu fördern.
Beide Initiativen zielen durch den landesweiten Ausbau von Straßen, Schienenverbindungen, Häfen und Flughäfen auf die Stärkung der Konnektivität und Handelskontakte mit Zentral- und Südasien ab. Am 8. November kündigte China an, dass es sich mit 40 Milliarden Dollar an der Einrichtung eines Infrastrukturfonds für die Seidenstraße beteiligen wolle, um die Konnektivität in Asien zu verbessern.
"Die Initiativen sind mittel- und langfristig die wichtigsten nationalen Strategien für China, was seine diplomatische Rolle als politische Großmacht, die regionale Integration und industrielle Fortschritte angeht", erklärte Guan Qingyou, Assistent des Dekans des Minsheng Securities Forschungsinstituts.
Chinas arbeits- und ressourcenintensive Industrien könnten stark vom Aufbau des Wirtschaftsgürtels und der Maritimen Seidenstraße profitieren, erläuterte Zhang Yansheng, Generalsekretär des Akademischen Ausschusses der NDRC. "Beide Projekte werden zur Steigerung der Exporte von Produkten, Ausrüstungen und Arbeitskräften in die Länder entlang der neuen Handelsrouten beitragen", erklärte er.
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