31-10-2014
Im Focus
Chinas neuer Weg zur Rechtsstaatlichkeit
von Li Li

Auf einer einschneidenden Parteisitzung wurde darüber diskutiert, wie man die Rechtsstaatlichkeit in China verbessern kann.

Streben nach Gerechtigkeit: Das Bezirksgericht von Yunyang in der Stadt Chongqing bereitet sich am 22. Oktober auf ein Verfahren vor. (CNSPHOTO)

Die Kommunistische Partei Chinas (KP Chinas) befasste sich Ende Oktober in einer entscheidenden Sitzung damit, wie Rechtsstaatlichkeit in der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aussehen soll. Dabei wurden gleichzeitig die Führungsrolle der Partei und die allumfassende Rolle der Verfassung für das Rechtssystem des Landes unterstrichen.

Laut Kommuniqué, das nach der vierten Plenarsitzung des 18. Zentralkomitees der KP Chinas in Beijing herausgegeben wurde, besteht das übergeordnete Ziel der Partei darin, ein Land mit einem sozialistischen Rechtssystem chinesischer Prägung aufzubauen.

Um das Rechtsstaatsprinzip in die Tat umzusetzen, müsse das Land in Einklang mit der Verfassung regiert werden, hieß es außerdem.

Der Nationale Volkskongress und sein Ständiger Ausschuss sollten künftig die Umsetzung der Verfassung effektiver überwachen. Es solle ein Mechanismus zur Prüfung der Rechtmäßigkeit wichtiger Regierungsentscheidungen festgelegt werden. Im Hinblick auf Entscheidungen von großer Tragweite solle eine lebenslange Haftung gelten, hieß es weiter.

Damit machte die Plenarsitzung des Zentralkomitees der KPCh erstmalig die Rechtsstaatlichkeit zu ihrem zentralen Thema.

Das Plenum verabschiedete ebenso einen Beschluss über „wichtige Angelegenheiten im Hinblick auf umfassende Fortschritte in der Rechtsstaatlichkeit."

Schon der Bericht des 15. Parteitages der KP Chinas  vom September 1997 forderte, dass die Regierung nach Recht und Gesetz zu erfolgen habe und China sich zu einem sozialistischen und rechtsstaatlichen Land entwickeln solle. Bei der Verfassungsänderung von 1999 wurden diese Forderungen mit berücksichtigt. Seitdem hat die Parteiführung niemals aufgehört, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in China zu fördern.

Weniger als einen Monat, nachdem er zum Generalsekretär des Zentralkomitees der KP Chinas gewählt worden war, hielt Xi Jinping am 4. Dezember 2012 eine Rede zum 30. Jahrestag der der Erlassung der Verfassung von 1982. Das Kontrollsystem, das die Befolgung der Verfassung sicherstellen solle, sei nicht gut entwickelt, monierte er, gelegentliche Pflichtversäumnisse würden die Autorität des Gerichtssystems beschädigen.

"Keine Organisation oder Einzelperson hat das Recht, die Verfassung und das Gesetz zu übertreten, bei jedem Verstoß muss ermittelt werden", forderte er.

Im Rahmen seiner Erläuterungen zur Entscheidung über die "wichtigen Fragen zur umfassenden Vertiefung der Reformen", die bei der dritten Plenarsitzung des 18. ZK der KP Chinas im November 2013 getroffen wurde, betonte Xi, dass die  Gerichtsreform ein wichtiger Teil der umfassenden Reform Chinas sein werde.

"Der Schlüssel zur Umsetzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips besteht darin, die administrative Macht gesetzlich zu kontrollieren. Mit anderen Worten, die staatliche Macht muss beschränkt und private Rechte müssen geschützt werden", erklärte Guo Daohui, einer der ersten Befürworter des Rechtsstaatlichkeitsprinzips in China.

Der Staatsrat erklärte am 10. September, dass er Befugnisse an Regierungen auf untergeordneter Ebene delegieren wolle, um für mehr Effizienz zu sorgen und Hindernisse für das Wirtschaftswachstum aus dem Weg zu räumen.

Gelernte Lektionen

Schwerer Sieg: Tang Hui, "Mutter aller Petitionen", wird vor dem Obersten Volksgericht der Provinz Hunan am 2. Juli von den Medien interviewt. Sie gewann an diesem Tag ihren Rechtsstreit gegen die Verwaltung des Arbeitslagers von Yongzhou (LONG HONGTAO)

 

Laut Kommuniqué will China einen Mechanismus einrichten, bei dem Beamte Minuspunkte erhalten oder zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie gerichtliche Ermittlungen behindern.

Der ehemalige Rechtsanwalt Li Zhuang wurde im Januar 2010 in Chongqing zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er einen Anführer einer kriminellen Bande verteidigt hatte. Der Angeklagte war im Rahmen einer Kampagne gegen organisierte Kriminalität festgenommen worden, die von Bo Xilai, dem damaligen Parteichef von Chongqing, initiiert worden war.

Li wurde der Fälschung von Beweismitteln überführt, weil ihn der Angeklagte beschuldigt hatte, ihn zur Falschaussage über polizeiliche Folter aufgefordert zu haben. Li wies die Anschuldigungen zurück und erhielt breite Unterstützung von anderen Anwälten, Juristen und Intellektuellen im ganzen Land. Sie waren empört, witterten einen großangelegten rechtlichen Skandal.

"Das bestmögliche Modell der Rechtsstaatlichkeit ist die Erziehung der Massen zu Ethik, Pflicht und Disziplin, so dass sie dem Gesetz freiwillig folgen", erklärte Li  jüngst.

Das 1957 eingeführte System der Umerziehung durch Arbeit erlaubte es, eine Person bis zu vier Jahre ohne ordentliches Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Das System wurde im Dezember 2013 nach einem Antrag des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses abgeschafft.

China werde versuchen, qualifizierte Gesetzgeber, Richter und Staatsanwälte  anzuwerben, hieß es im Kommuniqué.

1982 wurde das System der Internierung und Deportation von Stadtstreichern und Bettlern eingeführt. Die Polizei durfte Personen festnehmen, die keine vorübergehende oder dauerhafte Aufenthaltserlaubnis hatten, und sie in ihre Heimatstädte abschieben.

Sun Zhigang, ein 27-jähriger Grafikdesigner aus Wuhan (Provinz Hubei) arbeitete in einer Textilfirma in Guangzhou. Dort wurde er am 17. März 2003 während einer zufälligen Ausweiskontrolle von der Polizei aufgegriffen. Er wurde sofort in eine Haftanstalt überführt und starb dort drei Tage später in Folge der brutalen Schläge seiner Zellengenossen.

Suns Tod erregte große Aufmerksamkeit in den Medien und im Internet. Führende chinesische Rechtsexperten schrieben an den Nationalen Volkskongress und stellten die Verfassungsmäßigkeit der Haft und der Abschiebung in die Heimat in Frage. Das System wurde im Juni 2003 vom Staatsrat abgeschafft und die Haftanstalten durch Service-Stellen für Bettler und Obdachlose ersetzt.

" Ungerechtigkeit kann entstehen, wenn die Gesetze eines Landes unzureichend oder veraltet sind. Gesetze sind wie Eisen und Stahl. Rost muss zurück in den Hochofen, damit er zu Metall geschmolzen wird", erklärte Suns Vater Sun Luson vor kurzem.

Die Möglichkeiten für eine Bürgerbeteiligung an der Gesetzgebung sollen ausgeweitet werden, hieß es im Kommuniqué.

Internationale Anerkennung

"Ich glaube, Rechtsstaatlichkeit ist essenziell. Da Chinas Wirtschaft sich immer weiter entwickelt, wird sie zunehmend wichtiger", erklärte Charles Powell, ehemaliger Vorsitzender des China-Britain Business Council.

"Ich denke, dass die Menschen China mehr vertrauen, wenn sie wissen, dass es unabhängige Gerichte gibt, die unabhängige Urteile fällen und alle Institutionen des Staats und der Partei denselben Rechtsgrundsätzen unterworfen sind", erklärte der erfahrene Politiker.

Die "Rechtsstaatlichkeit" sei nicht neu im offiziellen Diskurs der KP Chinas, aber unter den heutigen Umständen weise der Begriff neue Implikationen auf, meint Etienne Reuter, Vorstand von Elliott Consultants Ltd. in Brüssel.

"Die Öffnung und Transformation von Chinas Wirtschaft im Anschluss an die vier Modernisierungen Deng Xiaopings ist in eine neue Phase eingetreten, nun sind mehr Nachhaltigkeit beim Umweltschutz und mehr soziale Integration notwendig. Die Chinesen hoffen auf eine bessere Lebensqualität und eine gerechtere Gesellschaft", so Reuter. „In dieser Hinsicht schafft die Rechtsstaatlichkeit eine wesentliche Grundlage für die Bekämpfung der Umweltverschmutzung und  –zerstörung sowie der Korruption."

Paul Gewirtz, Juraprofessor und Direktor des China Center an der Jurafakultät der Universität Yale, schrieb in einem Kommentar in der New York Times: "Es gibt Gründe für einen gemäßigten Optimismus, dass die Plenarsitzung komplexere Ansichten zur Rolle des Gesetzes vertreten und zudem wichtige Schritte unternehmen wird, um die neue Rechtsreform voranzutreiben."

„Die aktuelle Führungsspitze hat bereits zahlreiche Reformen und ideologische Anpassungen abgezeichnet, das sind positive Schritte hin zu einem modernen rechtsstaatlichen System", erklärte Gewirtz. „Diese Veränderungen sind nicht bloße Augenwischerei; sie zeigen, dass die Führung erkannt hat, dass sie die Staatsführung verbessern, auf öffentliche Beschwerden eingehen und auf die öffentliche Meinung reagieren muss."