29-10-2014
Im Focus
Archive über japanische Kriegsverbrechen werden veröffentlicht
von Lan Xinzhen

"Sollte es Maßnahmen zur Rekrutierung von Arbeitern geben, bitte rate den Menschen, sich nicht zu melden. Bisher sind etwa 30.000 Arbeiter aus anderen Regionen nach Hulin geschickt worden, von denen die meisten inzwischen tot sind. Sie werden wie Bettler behandelt, geschlagen, beleidigt und erhalten keinen Lohn. Bitte sage den Leuten, sie sollen sich keinesfalls dafür melden."

 Dieser Ausschnitt von 1939 stammt aus einem Brief von Zhang Jingchun, einem Arbeiter im von Japan okkupierten Hulin, in der nordöstlichen Provinz Heilongjiang. Zhang schrieb den Brief am 13. August an Wang Fuxiang im Kreis Liaozhong in der nordöstlichen Provinz Fengtian, die heute als Liaoning Provinz bekannt ist. Doch der Brief erreichte niemals seinen Empfänger, da er vorzeitig von der japanischen Kwantung Armee abgefangen wurde.

Fünfundsiebzig Jahre später wurde der Brief nun von Angestellten des staatlichen Archives der nordöstlichen Provinz Jilin entdeckt. Diese hatten die Aufzeichnungen der Kwantung Armee durchsucht, welche die damalige Überwachung der Postwege dokumentieren. "Dieses Schreiben beweist, dass die japanische Armee bei ihrem Einmarsch in China Arbeiter versklavt hat.", so Mu Zhanyi, leitender Kurator des staatlichen Archives der Provinz Jilin.

Während Japans Angriffskrieg gegen China von 1931 bis 1945 zensierte die Militärpolizei in den von Japan besetzten Gebieten heimlich Briefe, Telegramme und Telefonanrufe japanischer Soldaten und Auswanderer. Dies betraf  auch die Post der allgemeinen Öffentlichkeit, von Beamten, aber auch von Missionaren und Diplomaten aus anderen Ländern. Eine erhebliche Menge an Briefkorrespondenz, welche die Grausamkeiten der japanischen Armee bekundete und über ihre Herrschaft klagte, wurde konfisziert oder zerstört. Mit entstelltem Material verfasste die Armee wöchentliche oder monatliche Berichte, die an hochrangige Militärs weitergeleitet wurden.

Nach Japans Niederlage im August 1945 blieb der Armee nicht genügend Zeit, diese Dokumente der Briefzensur zu zerstören. 1953 wurden die Berichte gefunden und im staatlichen Archiv der Provinz Jilin untergebracht. Das Archiv beauftragte daraufhin Forscher, sich der langjährigen Untersuchung der Dokumente zu widmen. Am 1. Juli diesen Jahres veröffentlichte das Archiv nun neue Forschungsergebnisse und mit ihnen 45.000 Briefe, die zwischen 1937 und 1945 verfasst wurden, zumeist handelt es sich um japanische Korrespondenzen.

Laut des leitenden Kurators Mu zeigen die Zensurberichte, dass die Kontrolle der japanischen Militärpolizei sich nicht nur auf Mandschukuo erstreckte, ein Marionettenstaat, den Japan im Nordosten Chinas und der inneren Mongolei errichtete, sondern auch zentral- und südchinesische Gebiete  sowie Java in Indonesien umfasste. Auszüge aus der zensierten Post bezeugen die von Japan begangenen Gräueltaten wie Plünderung, Mord und Vergewaltigungen. Die einmarschierende Armee bombardierte strategisch sowohl zivile als auch industrielle Ziele, errichtete geheime militärische Einrichtungen und testete chemische und biologische Waffen an Kriegsgefangenen. Zivilpersonen als auch Gefangene wurden zu Zwangsarbeitern gemacht, die Wirtschaft der besetzten Gebiete ausgebeutet und eine trügerische Immigrationspolitik eingeführt. Aus den Dokumenten lässt sich allerdings auch herauslesen, dass einige Japaner kriegsmüde wurden.

Zhao Yujie, eine Forscherin am Archiv von Jilin, nahm an der Sortierung und Erforschung der Zensurberichte teil. Die Grausamkeit, mit der die japanische Armee vorging, schockte und traumatisierte sie dermaßen, sagt sie, dass sie Nacht für Nacht denselben Albtraum erlebte: sie rannte eine Straße entlang, gejagt von japanischen Soldaten, die sie töten wollten – oft schreckte sie voller Angst aus dem Schlaf auf.

Die Zensurberichte legen außerdem dar, wie Zwangsarbeiter zu Tode gepeinigt wurden. Im monatlichen Bericht vom Dezember 1940 ist ein Brief  von Yasuda Hisashi, der damals in einem Lagerhaus der Kwantung Armee in Jiamusi in der Provinz Heilongjiang  arbeitete, an seinem Bekannten Kojima Tomoaki, der in der japanischen Stadt Kanazawa lebte. Im Brief mit dem Datum 6. Dezember 1940 liest man: „Die Chinesen werden wie mandschurische Pferde behandelt und Arbeiter, die nicht gehorsam sind, werden geschlagen."

Ein Brief aus dem Zensurbericht vom Mai 1940 gab der Forscherin Zhao das Gefühl, als ob sie selber den Tod der Arbeiter miterlebt hätte. Der Brief, geschrieben am 17. Mai 1940 von Koyama Suihei aus Dongning in Heilongjiang, ging an Koyama Tokutaro im japanischen Osaka. Suihei arbeitete für die Fujita Gruppe, ein japanisches Bauunternehmen, das zu der Zeit militärische Anlagen in China errichtete. Aus dem Brief geht hervor, dass Typhus unter den chinesischen Arbeitern in Dongning ausbrach und zum Tod vieler führte, da den Arbeitern eine medizinische Versorgung verwehrt wurde. Im Brief steht: „Am 20. April verstarben 24 chinesische Arbeiter der Fujita Gruppe, während aus einigen Truppen täglich der Tod von ein bis zwei Kulis berichtet wird."

"Die Brutalität der japanischen Armee im zweiten Weltkrieg ist durch diese Zensurberichte offengelegt worden." sagt der Kurator Mu. Seiner Meinung nach sind die Dokumente, verfasst von Personen, die Japans Aggressionen gegenüber China selber miterlebt haben, unwiderleglich in ihrer Objektivität und Authentizität.

„Dieses umfangreiche und ausdrucksvolle Material ermöglicht es uns, mit einer ganz anderen Perspektive auf die Geschichte zu blicken" so Mu. „Die abscheulichen Taten der japanischen Truppen sind durch Beweismaterial belegt worden, das sie selber zurückgelassen haben."

Das staatliche Archiv der Provinz Jilin hat seine Forschungsergebnisse in einem Buch veröffentlicht, es trägt den Titel „Unwiderlegliche Beweise".

Mu hofft, dass durch die Veröffentlichung sowohl Japaner als auch Menschen anderer Länder etwas über die Geschichte lernen. Er appelliert außerdem an Kriegsgegner und Juristen , vorzugehen gegen die Versuche der japanischen Regierung, angeführt von Premierminister Shinzo Abe, die Geschichte zu verzerren. Der Kurator regt an, diesen Versuchen mit rechtlichen Mitteln entgegenzutreten und macht deutlich, dass das Archiv von Jilin bereit ist, dies mit dem historischen Beweismaterial zu unterstützen.

"Ich hoffe, dass die Menschen auf der ganzen Welt aus den Gräueltaten der japanischen Truppen lernen, sich vom Krieg zu distanzieren und Frieden immer wertschätzen." betont Mu.