In einer mühsamen und schwierigen Übergangsphase muss China nach neuen Wachstumsressourcen durch Reformen und Innovationen suchen.
Jahrestreffen der "New Champions": Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bei seiner Eröffnungsrede zum Weltwirtschaftsforum in Tianjin am 10. September
Spitzenpolitiker, führende Unternehmer und Ökonomen aus der ganzen Welt haben sich vom 10. bis 12. September zum Jahrestreffen der „New Champions" des Weltwirtschaftsforums in Tianjin, auch als „Sommer-Davos" bezeichnet, getroffen. In der Küstenstadt mit ihrer Kombination aus chinesischen und westlichen Elementen diskutierten die Teilnehmer über wirtschaftliche Themen, die in der Öffentlichkeit zu großer Besorgnis geführt hatten. „Werte schaffen durch Innovation" lautete das Motto des Forums, das sich auf die aktuellen und bevorstehenden Veränderungen in der globalen Wirtschaft, besonders in China, konzentrierte.
"Innovation ist lebenswichtig für eine stabile Erholung der Weltwirtschaft. Sie ist ebenso für den Ausbau der chinesischen Wirtschaft und deren Leistungssteigerung wesentlich", erklärte Ministerpräsident Li Keqiang bei der Eröffnungszeremonie am 10. September. Dabei führte er Chinas stabiles und gesundes Wachstum in den letzten Jahren auf Reformen und Innovationen zurück.
Da sich die globale Wirtschaft weiterhin in recht moderatem Tempo erholt, hätten fast 90 Prozent der Schwellenmärkte in den vergangenen 18 Monaten ein verlangsamtes Wachstum verzeichnet, so Zhu Min, stellvertretender Geschäftsführer des Internationalen Währungsfonds. In der ersten Jahreshälfte wuchs Chinas Wirtschaft um 7,4 Prozent, damit bewegte sich nah an der Zielvorgabe von 7,5 Prozent und noch in einem angemessenen Rahmen.
Trotz des langsameren Wachstums von Januar bis August dieses Jahres blieb die Arbeitslosenquote in 31 großen und mittelgroßen Städten unverändert bei rund 5 Prozent; in den Städten seien mehr als 9,7 Millionen Jobs geschaffen worden, 100.000 mehr als im Vorjahreszeitraum, so Li Keqiang.
Nach drei Jahren explosiven Wachstums scheint im einstigen Wirtschaftswunderland nun eine Phase des Übergangs begonnen zu haben. „Während die alten Wachstumsmotoren Exporte und Immobilien allmählich an Bedeutung verlieren, sind neue erst auf dem Weg, das erklärt die aktuelle Konjunkturverlangsamung", sagt Li Daokui, Dekan des The Schwarzman Scholars Program an der Tsinghua-Universität.
In der Tat hat die chinesische Regierung mehrere politische Maßnahmen ins Leben gerufen, in der Hoffnung, so strukturelle Verbesserungen anzukurbeln. Sie reichen von der Verschlankung der Verwaltung, der Delegation von Befugnissen auf untere Ebenen, der Reduzierung des Mindestreservesatzes für bestimmte Banken bis hin zu Steuersenkungen für kleine und Kleinstunternehmen.
Chinas Wirtschaft durchläuft zurzeit eine Kehrtwende. "Die gegenwärtige Verlangsamung ist vorübergehend. Wenn die Reformen erfolgreich durchgeführt werden, wird sich das BIP-Wachstum wieder etwas erholen", so Li Daokui. Chinas BIP mache nur 19 Prozent des amerikanischen BIP aus, es gebe als noch enormes Wachstumspotenzial, behauptet er.
Reformen
"Eine Schlüsselfrage für politische Entscheidungsträger lautet, welche Struktur zu reformieren ist", so Zhu. Jeder einzelne Bereich der Wirtschaft, wie der Aufbau der Infrastruktur, der Arbeitsmarkt und die Renten, benötigt einen speziellen Plan, nicht nur ein allgemeines Konzept.
In der Tat sind schnellere Schritte zur Stärkung der Dienstleistungsindustrie unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte stieg die Zahl der neu angemeldeten Dienstleistungsunternehmen um mehr als 70 Prozent; die Dienstleistungsbranche habe die Fertigungsindustrie in punkto Wachstumsrate und BIP-Anteil überholt, so Li Keqiang in seiner Rede bei der Eröffnungszeremonie.
Li Daokui glaubt, dass Investitionen in die verbraucherbasierte Infrastruktur, den privaten Verbrauch und die umweltfreundliche Gestaltung der Produktionskapazitäten in Stahl- und petrochemischer Industrie bis hin zur Energieerzeugung die neuen Wachstumsmotoren sind.
In der ersten Jahreshälfte verlangsamte sich das Investitions- und Produktionswachstum in Industrien mit hohem Energieverbrauch und Schadstoffausstoß merklich; der Energieverbrauch pro Pro-Kopf-BIP-Einheit sank um 4,2 Prozent im Vorjahresvergleich und die Kohlenstoffintensität fiel um rund 5 Prozent, die größte Abnahme seit fünf Jahren, so Li Keqiang.
Davon abgesehen ist das Land ebenso auf die von unten kommende Reform der Staatsunternehmen (State-Owned Enterprises, SOEs) gut vorbereitet. Bereits im Februar dieses Jahres ergriff Chinas größtes staatliches Erdölverarbeitungsunternehmen China Petroleum & Chemical Corp. (Sinopec) die Initiative zur Öffnung seiner inländischen Marketing- und Vertriebsgeschäfte für Privatinvestoren.
"Die Reform der Staatsunternehmen bedeutet nicht nur die Einführung gemischter Besitzverhältnisse. Die Diversifizierung der Beteiligungen läuft in der Tat seit 1984, nun wird sie als Hauptmodell gefördert, das Chinas grundlegende Wirtschaftsordnung ausmacht", erklärte Fu Chengyu, Vorsitzender von Sinopec.
Staatsunternehmen sollten ihre Kernwettbewerbsfähigkeit genauso aufbauen wie Privatunternehmen, fordert Fu, das Rezept dafür sei, sich dem Markt auszusetzen. Mit anderen Worten, die Reform bedeutet nicht die Ausschaltung oder Privatisierung von Staatsunternehmen, sondern eine Modernisierung ihres Führungssystems.
"Alle Unternehmen sollten ins kalte Wasser des Markts springen, dort müssen sie ihre Ellbogen ausfahren, um Kunden durch hohe Qualität und moderne Technologien zu gewinnen", erklärte Dong Mingzhu, Präsident des Elektronikgeräteherstellers Gree in Zhuhai. Eine übermäßige administrative Steuerung würde die langfristige Überlebensfähigkeit und das Wachstum der Unternehmen untergraben.
Innovation
In seiner Rede bei der Eröffnungszeremonie legte Li Keqiang den Schwerpunkt auf die Förderung institutioneller Innovationen sowie auf Innovationen in Wissenschaft und Technik und zeigte sich zuversichtlich im Hinblick auf Chinas diesbezügliches Potenzial.
"Stellen Sie sich nur vor, wie groß dieses Potenzial wäre, wenn 800 oder 900 Millionen Arbeitskräfte von insgesamt 1,3 Milliarden Chinesen enthusiastische Unternehmer und Innovatoren würden", erklärte er, genau dies sei der Treibstoff für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung.
In diesem Jahr landete China auf Platz 28 im Globalen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit 2014-2015, innerhalb der BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien, Südafrika und China ist es Spitzenreiter. Das liegt teilweise am günstigen Umfeld für Unternehmertum und Innovation, beides wird in den nächsten Tagen weiter ganz oben auf der Agenda zu Chinas Entwicklung stehen.
Um dem Unternehmertum mehr Raum zu geben und sicherzustellen, dass der Geist der Innovation in das soziale Gefüge Chinas eindringt, hofft die Regierung, die Abschaffung und Delegierung von Angelegenheiten, für die eine Regierungsbewilligung nötig ist, innerhalb von zwei, statt der ursprünglich vorgesehenen fünf Jahre zu erledigen.
Neben einer verschlankten Verwaltung sind auch institutionelle Verbesserungen im Gange. Es soll eine Liste mit Regierungsbefugnissen, die definiert, was die Regierung tun sollte, veröffentlicht werden, um Machtmissbrauch zu verhindern; es soll eine Negativliste mit verbotenen Geschäftsbereichen erstellt werden, um die Transparenz zu erhöhen und unternehmerische Energien freizusetzen; eine Liste mit Verantwortlichkeiten der Regierung soll definieren, wie die Regierung den Markt regulieren sollte und ihr Vorgehen unter die Kontrolle der Öffentlichkeit stellen.
Die drei Listen ergänzen einander und sollen die Legitimität der Regierungsmacht, die Transparenz der Unternehmensinnovationen und die Rationalität des Marktwettbewerbs sicherstellen, erklärte Kommentator Xin Ming.
Breitere Öffnung
Kartellermittlungen in ausländischen Unternehmen wie Microsoft, Qualcomm und Audi haben zu einiger Kritik über eine mögliche Diskriminierung durch chinesische Behörden geführt. Statistiken zeigen jedoch, dass seit Inkrafttreten von Chinas Antimonopolgesetz am 1. August 2008 der Anteil der ausländischen Unternehmen, gegen die ermittelt wurde, nur bei zehn Prozent lag.
"China widersetzt sich Protektionismus und Handelskriegen aller Art und befürwortet den Aufbau eines offenen, fairen und integrierten Weltmarkts", erklärte Li Keqiang. Er bekräftigte, dass China weiterhin eine proaktivere Strategie der Öffnung verfolgen wolle.
Klaus Kleinfeld, Vorsitzender der Aluminum Co. of America, erklärte, die Rede von Ministerpräsident Li Keqiang, habe dabei geholfen, die Sorgen ausländischer Unternehmensführer zu zerstreuen und die Investitionsbereitschaft im Hinblick auf ihre künftige Entwicklung in China gefördert.
"Da die Monopolverhinderung im Interesse der Verbraucher liegt, wird dies einen positiven Einfluss ausüben", erklärte Li Zhen, Präsident von E. J. McKay, einer führenden chinesischen Investmentbank.
Als eine der in den Kartellermittlungen involvierten Parteien zeigt sich Paul Jacobs, Vorstand bei Qualcomm, bereit, auf eine Win-Win-Zusammenarbeit mit seinen chinesischen Partnern hinzuarbeiten. Aufgrund seiner stetig wachsenden Wirtschaft, starker Verbrauchernachfragen und zahlreicher Kooperationsmöglichkeiten soll China weiterhin ganz oben auf der Liste der Investitionsziele von Qualcomm stehen.
Um ein Gleichgewicht zwischen der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und seiner Öffnung zu erreichen, testet China zudem ein Managementmodell, das Ausländer und Chinesen im Hinblick auf eine geplante Unternehmensgründung gleich behandelt, außerdem wird eine Negativliste eingeführt. Vor diesem Hintergrund findet ein erster Pilotversuch in der neuen Freihandelszone von Shanghai statt.
Dieses neue Modell wird mehr ausländische Investoren in Chinas Dienstleistungsindustrie locken, meint Zhang Xiaoqiang, Vizevorsitzender des Chinesischen Zentrums für internationalen wirtschaftlichen Austausch.
"Ausländischen Unternehmen werden mehr Möglichkeiten in einer ganzen Reihe von Schwellenindustrien geboten, wie Energiesparen, Umweltschutzdienstleistungen, neue Energien und Hightech-Technologien", erklärte er. (Ein Bericht aus Tianjin) |