Im Herzen der dicht bewohnten Beijinger Hutongs haben zwei junge Deutsche eine Kunstoase erschaffen. Im Stadtviertel Beixinqiao ist ihr nicht-kommerzieller Ausstellungsraum seit kurzem eröffnet. Sie wollen den Dialog zwischen den Kunst- und Kulturszenen Europas und Chinas fördern, aber sich auch mit ihrer direkten Umgebung austauschen.
Anna Eschbach (links) und Antonie Angerer haben am 16. August ihren Ausstellungsraum eröffnet. (Foto: I:projectspace)
Der Ausstellungsraum liegt in einem idyllischem Hutong-Hof von Beijing (Foto: I:projectspace)
Zhou Zijians Sammlung von Schussszenen bildet selbst ein eigenes Kunstwerk. (Foto: I:projectspace)
Wenn man sich an der U-Bahn-Station Beixinqiao in die Büsche schlägt, mal rechts und mal links in die Hutongs abbiegt, stößt man vielleicht auf ein großes rotes Metalltor, hinter dem sich eine kleine Kunst-Idylle verbirgt. Ein besonderer Ort des kreativen Schaffens. Weinreben umranken den Eingang zum Innenhof, hohe grüne Pflanzen, an denen Kürbisse hängen, bilden eine Zuflucht vor dem Staub und dem Lärm der engen Gassen der Umgebung. Anna-Viktoria Eschbach (26) und Antonie Angerer (27) haben hier vor einigen Wochen einen Ausstellungsraum eröffnet. Er ist das Herzstück ihres Projekts I:projectspace.
„Das I im I:projectspace steht für international und independent, aber auch für 艺 (yi), was Kunst auf Deutsch bedeutet. Unser Projekt basiert auf drei Säulen: Wir betreiben einen nicht-kommerziellen Ausstellungsraum, bieten ein Artist-in-Residence-Programm und dazu die Plattform für Kunst- und Kulturaustausch durch Workshops und Künstlergespräche", erklärt Antonie Angerer.
Unter Artist-in-Residence -Programmen versteht man Programme, die es Künstlern beispielsweise mit einem Stipendium oder durch eigene Finanzierung ermöglichen, in einen lebendigen Austausch mit Künstlern aus einem anderen Kulturkreis zu treten.
Durch eine grüne Holztür links vom Eingang des Innenhofs kommt man in eine helle, spärlich eingerichtete Küche, die ein wenig so wirkt, als würde sie sich noch im Bau befinden. Der Boden ist aus nacktem Beton, die Decke aus Spanplatten, die weißen Wände sind frisch gestrichen. Kaffee, Tee und etwas Obst laden zum Setzen an den Küchentisch ein. Durch eine Tür zur Rechten sieht man die erste Ausstellung von I:projectspace flackern, denn zwei Projektoren werfen Filme an die Wände.
„Wir sind ein Projektraum, der mit der Zeit wachsen soll. Wir wollen uns immer wieder neu auf die gegebenen Umstände oder bestimmte Künstlerpositionen, neue Ausstellungsformaten oder Veranstaltungsformate einstellen. Wir haben gesehen, dass hier ganz viele junge, tolle Talente keinen Raum haben. Und denen wollen wir den Raum geben", sagt Antonie Angerer, die neben ihrer Projektpartnerin Anna Eschbach am Tisch in der Küche sitzt.
Beide laden ihre Gäste mit einem breiten Lächeln ein, sich umzusehen. Sie lachen viel. Nach längeren Renovierungsarbeiten und noch längerer Vorbereitungszeit konnten sie ihr Projekt endlich der Öffentlichkeit präsentieren. Bevor es sie vor einigen Monaten nach Beijing verschlagen hat, haben sie bereits als Kuratorinnen gearbeitet. Anna Eschbach hat im europäischen, Antonie Angerer vorwiegend im chinesischen Raum gearbeitet. Sie spricht fließend Chinesisch.
Kennengelernt haben sie sich im ersten Semester ihres Kunstgeschichtsstudiums, das sie vor kurzem abgeschlossen haben. „Das hier ist nicht das erste Projekt, das wir zusammen machen, aber es ist das erste, was wir als Freiberufler voll selbst tragen, mit vollem Risiko", erklärt Anna Eschbach, während sie an ihrem Kaffee nippt.
Die Idee zu I:projectspace kam den beiden auf einer gemeinsamen Reise durch China. Sie unterhielten sich mit chinesischen Künstlern und Designern, die klagten, dass es in China nur wenige nicht-kommerzielle Ausstellungsräume für junge Künstler gibt. Ernsthaft den Plan in Angriff genommen, haben sie im Herbst letzten Jahres und dann ging alles recht schnell. Nicht einmal ein Jahr später sitzen sie in ihrem eröffneten Raum. „Wir haben während der Vorbereitungen gemerkt, dass es wichtig ist, dass wir den Raum erst einmal aufmachen. Bis zu der Eröffnung war das hier so eine fiktive Idee, die alle immer ganz toll gefunden haben, aber teilweise, glaube ich, haben sie nicht so ganz geglaubt, dass wir es wirklich machen", schmunzelt Antonie Angerer.
Die zeitgenössische Kunst ist in China noch sehr jung und Parallelstrukturen zu den Verkaufsgalerien, kleine experimentelle, nicht-kommerzielle Kunsträume, die kein Geld an der Kunst verdienen, konnten sich hier bisher kaum entwickeln. So ein Kunstraum sollte her.
„Wir sind an dem Verkaufsprozess der Werke nicht beteiligt. Wir nehmen keine Provision und bewerben die Kunst nicht aktiv", erläutert Anna Eschbach, was sie sich unter „nicht-kommerziell" vorstellen. Dies sei besonders wichtig, weil sie so unabhängig vom Kunstmarkt agieren könnten, also auch Kunst ausstellen werden, die sich in China nicht gut verkaufen würde, wie z.B. Performance- oder Videokunst. So wollen die beiden jungen Frauen eine Nische für junge chinesische Künstler schaffen, in der sie sich finden und experimentieren können, was im schnelllebigen Kunstmarkt sonst oft zu kurz kommt.
Mitten in den Hutongs Beijings zu leben, empfinden die beiden Frauen als für ihr Projekt ideal. „Wir hatten lange das Bild im Kopf, dass wir einen komplett abgeschlossenen Wohnhof für uns haben wollen. Aber jetzt sind wir sehr froh, dass wir so eng mit den Nachbarn verbunden sind. Mehr Pekinger Leben geht eigentlich nicht", lacht Anna Eschbach. Die Nachbarn scheinen sich an die zwei Deutschen, die Teile ihres Innenhofs umgekrempelt haben, um Kunst auszustellen, gewöhnt zu haben. Den vom Nachbarn Lao Han sorgsam gepflegten Innenhof teilen sie sich mit mehreren chinesischen Familien. Kulturaustausch findet tagtäglich statt.„Zur Eröffnung haben uns unsere Nachbarn Essen gebracht und während der Renovierungsphase durften wir immer bei ihnen duschen. Das Verhältnis zu unseren Nachbarn ist wirklich sehr gut", sagt Antonie Angerer.
Ihre lichtdurchfluteten Wohnräume liegen direkt neben dem Ausstellungshaus hinter grün gestrichenen Türen. Auch einen Raum für ihren Gastkünstler halten sie bereit. Alle zwei bis drei Monate zieht ein internationaler Künstler bei ihnen ein, der sich so dem chinesische Alltagsleben annähern, Auslandserfahrung sammeln und die chinesischen Künstler der Umgebung kennenlernen kann. „Uns war es wichtig zurück in die Stadt zu kommen, denn hier findet alle Kunst außerhalb des Zentrums in großen Kunstvierteln wie dem 798 statt. Für unseren Künstler ist es viel interessanter zu sehen, was hier passiert, was die Leute reden, wo sie sich ihr Essen kaufen. Ganz banale Dinge", erklären sie.
Antonie Angerer und Anna Eschbach finanzieren ihr Projekt über europäische Stiftungen und über Workshops, die sie anbieten, sowie Künstlergespräche, die sie organisieren wollen. Solche Gespräche, in denen Künstler über ihre Arbeit und Kunst im Allgemeinen diskutieren können, sind eine Veranstaltungsform, die es in China bisher nur vereinzelt gibt. „Wir überlegen, einen Brunch-Artist-Talk zu organisieren, zu dem man hinkommen kann und in lockerer Atmosphäre über Kunst spricht. Ich finde Essen und Kunst passen wunderbar zusammen", lacht Antonie Angerer.
Ein weiteres finanzielles Standbein der jungen Unternehmerinnen ist der „Freundeskreis I:projectspace e.V.", der seinen Sitz in Bayern hat. Unterstützer ihres Projekts können hier gegen einen Jahresbeitrag „Freund" werden und sich auch in der jährlichen Mitgliederversammlung einbringen. "Diese Rückkopplung zu unseren Unterstützern ist schön, weil so jeder Teil des Ganzen werden kann", freut sich Anna Eschbach und lächelt.
Neben dem Dialog und dem Artist-in-Residence-Programm ist es den Kuratorinnen ebenso wichtig, wie sie ihre Ausstellungen konzipieren. „Wir wollen hauptsächlich Gruppenausstellungen machen, um inhaltliche Ausstellungen zu fördern. Also die Kunstwerke nicht nur über die Person, sondern über ein inhaltliches Thema zu präsentieren.", bekräftigt Anna Eschbach. Auch das vernachlässigen Galerien oft, um über die Prominenz des Künstlers mehr Kunst verkaufen zu können.
Die erste Ausstellung von I:projectspace heißt „re/structure" und beschäftigt sich mit dem Schaffensprozess eines Künstlers. „Das ist für uns spannend, weil man denkt, dass das Kunstwerk eines Künstlers einfach so passiert. Die Muse küsst einen und dann existiert das Kunstwerk. Oft ist es aber so, dass man durch das Strukturieren verschiedener Bilder und Thematiken einen neuen Gedanken fasst", erklärt Antonie Angerer.
Betritt man den Ausstellungsraum, wird man von einer angenehmen Kühle und einem sanften Halbdunkel empfangen. Für diese Ausstellung wurde der sonst helle Raum mit einer Konstruktion aus Pressspanplatten abgedunkelt. Auch hier sind die Wände frisch weiß gestrichen. Von der Decke hängt eine schwarze Lampe, die ein großes dickes Buch wie eine Bibel beleuchtet. An der rechten Wand hängen mehrere schwarz-weiße Poster. Auf die linke Wand des Raums wird ein Film projiziert, der eine im Meer stehende Neonröhre zeigt. Die Wellen schwappen an ihr vorbei. Das Licht teilt das Meer in zwei Hälften. Daneben hängen schlichte Bilder, auf denen schwarze symmetrisch angeordnete Striche zu sehen sind.
Die zwei Künstler, die die Kuratorinnen für ihre erste Ausstellung gewinnen konnten, heißen Wu Ding und Zhou Zijian und gehen sehr unterschiedlich mit dem Thema „Struktur" um. Zhou Zijian hat sich in seinem Werk „Bangs the Movies" mit der Ästhetik von Gewalt beschäftigt und hunderte Schussszenen in einem Film aneinander geschnitten sowie in einem Buch katalogisiert. Durch die Strukturierung der Informationen hat er etwas Neues geschaffen. Wu Ding geht es um die Struktur an sich. Er arbeitet mit geometrischen Formen. Seine Arbeit basiert auf verschiedenen mathematischen und philosophischen Theorien, mit denen er unsere Wahrnehmung der Welt durch Geometrie beschreiben will. Sein Gesamtwerk heißt „The reality of dimensions". Die Ausstellung ist noch bis zum 28. September im I:projectspace zu sehen.
„Die beiden Arbeiten decken das Thema natürlich nicht komplett ab. Die Idee ist es, vielleicht auch in kommenden Ausstellungen auf das Thema zurückzukommen. Wie arbeiten Künstler, was ist der Knackpunkt des künstlerischen Schaffens?", so Anna Eschbach.
Das I:projectspace nimmt am bis zum 14. September laufenden Hutong-Festival sowie der Beijing Design Week, die vom 29. September bis zum 3. Oktober in ganz Beijing stattfinden wird, teil. Eine weitere Ausstellung ist für Anfang November geplant. So erhoffen sich Antonie Angerer und Anna Eschbach, weitere Besucher und Unterstützer für ihr Projekt gewinnen zu können.
„Wir wollen den Dialog zwischen Europa und China fördern, aber auch zwischen der Kunst in unserem Raum und der direkten Umgebung", sagt Antonie Angerer. „Vielleicht haben wir einen Vorteil davon, dass wir als Projekt noch so klein und jung sind. Dadurch können wir uns offen und ungezwungen aufbauen", fügt Anna Eschbach hinzu und beide lachen fröhlich an ihrem Küchentisch, neben ihrem Ausstellungsraum, mitten im hektischen Beijinger Stadtviertel Beixinqiao.
Homepage: www.yi-projectspace.org/
Kontakt: contact@yi-projectspace.org
Tel. +86 185 136 292 73
Adresse: BanQiao Hutong 10 甲,Dongcheng, Beijing, 板桥胡同10 甲 ,东城,北京
Öffnungszeiten: Donnerstags von 11-17 Uhr oder mit Anmeldung.
Dieses Projekt können Sie unterstützen, indem Sie für 50 Euro oder ermäßigt 30 Euro im Jahr Mitglied im Freundeskreis werden. Mehr Informationen finden Sie auf der Homepage des Projekts.
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