03-09-2014
Im Focus
Strandleben in China: Plantschen mit dem Schwimmring
von Maike Schulte

Es ist brütend heiß in Beijing und ein Stadtkoller in Sicht. Ein wenig Urlaubsfeeling muss her, am besten mit  Strand und Meer. Also fahren wir ein Wochenende nach Beidaihe, eins der bekanntesten Seebäder im Norden Chinas, um uns in der Sonne zu aalen. Und stellen dabei fest, dass das Strandleben so einige chinesische Besonderheiten hat.

 

Strandleben in Beidaihe: Jeder Quadratzentimeter Sand wird genutzt (Fotos: Maike Schulte)

Die Urlauber machen es sich unter großen Sonnenschirmen gemütlich oder paddeln in Schwimmringen durchs Meer

Manche gehen gleich im Ganzkörperanzug ins Wasser, um sich vor der Sonne zu schützen

 

Am frühen Morgen geht es los, der Schnellzug braucht für die rund 300 Kilometer lange Strecke nur gut zwei Stunden. Wir sind ganz offensichtlich nicht die einzigem, die der Stadt den Rücken kehren wollen, die Sommerfrische ist ein Massenevent. Der Bahnhof von Beijing platzt aus allen Nähten, der Zug ist bis auf den letzten Platz besetzt – und ein Großteil seiner Fracht wird am Bahnhof von Beidaihe wieder ausgespuckt. Schwerbepackte Familien mit kleinen Kindern, Pärchen, Gruppen von Jugendlichen, sie alle strömen in Richtung Ausgang und sommerlichen Kurzurlaub.

Beidaihe ist im Vergleich zu Beijing ein wirklich geruhsames Dörfchen. 80.000 Menschen leben hier, die regelmäßig einfallenden Touristen natürlich nicht mitgerechnet. Nach 1949 erholten sich die Arbeiter hier in Sanatorien, heute reisen vor allem chinesische und russische Urlauber an. Die meisten kommen wegen des rund zehn Kilometer langen Sandstrandes, einige vielleicht noch wegen der herrschaftlichen Villen aus Kolonialzeiten, die versteckt in pinienbewaldeten Hügeln am Meer liegen.

Im Juli und August steht in manchen Jahren allerdings ein ganz spezieller Besuch an. Dann verwandelt sich der Badeort in die Sommerhauptstadt des Landes. Fernab der Gluthitze von Beijing trifft sich die Regierung zu lockeren Gesprächen. Eingeführt hatte diese Tradition Mao Zedong, der 1954 erstmals mit seiner Entourage in den verschlafenen Ort kam. Eine kleine Fotoausstellung am Strand erinnert heute an seine Besuche.

Wenn sich hochrangige Funktionäre oder wohlhabende Chinesen erholen wollen, können sie dies an extra für sie reservierten Strandabschnitten tun. Für gewöhnliche Touristen ist der Zutritt verboten, wie wir bei unserem ersten Strandspaziergang prompt feststellen. Ein Wachmann hält uns vor dem mit Seilen und einem Verbotsschild gekennzeichneten „VIP"-Abschnitt an. Macht nichts, wir machen es uns am „Strand-für-Jedermann" gemütlich. Der ist natürlich deutlich voller, aber dafür gibt es auch hier einiges zu sehen.

Mit dem eher geruhsamen Strandleben an Nord- und Ostsee hat das wenig zu tun, eher schon mit einem typischen Urlaubstag an einem prall gefüllten Mittelmeerstrand. Jeder Zentimeter Sand wird genutzt, um in Grüppchen herumzusitzen, zu plaudern, zu dösen, zu futtern oder einfach nur aufs Meer zu gucken. Doch das war's dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten der europäisch-chinesischen Strandkultur.

An chinesischen Stränden brutzelt niemand freiwillig stundenlang in der Sonne, schließlich gilt weiße Haut als Schönheitsideal. Entsprechend hoch ist auch die Sonnenschirmdichte. Neben jeder Liege und jedem Tischchen steckt ein großer Schirm im Sand, oder man hockt unter seinem mitgebrachten zweckentfremdeten Regenschirm, um sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen.

Ganz davon ab ist auch die Badebekleidung eine effiziente Methode, eine nahtlose Bräune zu verhindern. Denn in punkto Stoff gilt hier ganz offensichtlich: Mehr ist auch mehr. Bikinis haben Seltenheitswert, sich Oben-Ohne zu präsentieren, scheint undenkbar. Modetechnisch ist es eine Reise in die Vergangenheit: Die meisten Frauen tragen nostalgisch anmutende Badeanzüge mit kurzen volantbesetzten Miniröckchen, oder haben ihre Alltagskleidung gleich angelassen. Auch die Männer bevorzugen bei ihren Badehosen offenbar XL, sprich Lycra, das bis unter den Bauchnabel reicht. Schluffige Surfershorts oder gar Tangas, die an einem westlichen Strand für den einen oder anderen peinlich berührten Moment sorgen – Fehlanzeige.

Und das mit dem Baden ist auch so eine Sache. Die meisten Chinesen können nicht schwimmen, denn einen entsprechenden Schulunterricht gibt es nicht. Das hindert sie allerdings nicht daran, vergnügt ins Meer zu waten. Viele stehen stundenlang sonnenbehütet im kniehohen lauwarmen Wasser herum, plaudern, fotografieren ihre Kinder bei Plantschaktivitäten und scheinen sich prächtig zu amüsieren. Oder sie paddeln mit bunten Plastik-Schwimmringen durchs Wasser, die es an jeder Ecke für wenige Yuan zu kaufen gibt. Schwimmer ohne Hilfsutensilien haben Seltenheitswert und sind fast ausschließlich Männer.

Und noch etwas ist an unserem Strand anders. Ein Wassersportangebot für Adrenalin-Liebhaber gibt es nicht, keine Banana-Boote und Jet-Skis, die durchs Wasser röhren, keine Motorboote, die Urlauber an Fallschirmen durch die Luft ziehen. Das mag der eine oder andere langweilig finden, uns gefällt's. So bleibt es trotz der Menschenmengen doch ein beschauliches Badevergnügen, fast ein wenig nostalgisch, wie es sich für ein traditionsreiches Seebad gehört.