28-08-2014
Im Focus
Deng Xiaoping: Ökonom, Diplomat, Reformer
von Kerry Brown

Ehre fuer einen Pionier: Am 22. August legen Studenten Krnze vor der Statue von Deng Xiaoping im suedchinesischen Shenzhen nieder. Dort wurde 1980 die erste Sonderwirtschaftszone des Landes errichtet (XINHUA)

Deng Xiaopings Rolle als Vater der Reformen im modernen China gilt als historisch gesichert. In seiner 2011 erschienenen umfangreichen Biographie beschrieb der amerikanische Wissenschaftler Ezra Vogel detailliert wie Deng zu dem  Schluss gelangte, dass China dringend tiefgehende Reformen bräuchte, um sein Ziel zu erreichen, ein starke und reiche Nation zu werden.

Mitten in der Kulturrevolution, als Deng aufs Land geschickt wurde, um in einer Fabrik zu arbeiten, hatte der vormals hochrangige Beamte, der Ministerpräsident Zhou Enlai so nahe stand, Gelegenheit, sich mit eigenen Augen ein Bild von den harten Lebensbedingungen zu machen. Er musste außerdem damit fertig werden, dass sein Sohn während eines Angriffs der Roten Garden in den späten 1960er Jahren schwer verletzt wurde und querschnittsgelähmt blieb.

Zu dieser Zeit, um das Jahr 1973 herum, hatte Deng eine wichtige Erkenntnis. Der Sozialismus in China müsste den Menschen einen besseren Lebensstandard ermöglichen. Die Praxis müsste der Maßstab für die Wahrheit sein, nicht das strenge Festhalten an einer Ideologie. Vier Jahre später hatte es Deng, wieder zurück im politischen Zentrum von Beijing, nach Maos Tod in die Regierungsspitze geschafft. Im Alter von 74 Jahren konnte er noch etwas Bemerkenswertes schaffen, in einer Lebensphase, in der die meisten schon lange in Rente sind.

Umfassende Reformen

Die dritte Plenarsitzung des 11. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, die im Dezember 1978 in Beijing stattfand, gilt heute als der Zeitpunkt, an dem China sich strategisch neu ausrichtete und eine Reihe umwälzender Reformen in Angriff nahm, die die Grundlage seines heutigen Wohlstands und seiner globalen Bedeutung sind. Damals waren die Kommentare aus dem Westen jedoch zurückhaltend. Viele rechneten nicht mit einer Veränderung in China und waren überrascht, als 1979 das erste Joint-Venture-Gesetz verabschiedet wurde, das ausländischen Unternehmen erlaubte, sich in China niederzulassen. Die Einrichtung von Wirtschaftssonderzonen begann 1980 und ging zunächst fast unbemerkt vor sich, hatte aber immer deutlichere Auswirkungen. Man könnte sagen, dass heute ganz China in vielerlei Hinsicht eine einzige große Sonderwirtschaftszone ist. Aber unter Deng fanden diese ersten Schritte zunächst nur an vier Orten statt, bevor sie nach und nach weiter ausgeweitet wurden.  

In seiner Rede zum 111. Geburtstag Deng Xiaopings würdigte ihn Präsident Xi Jinping vor allem als großartigen Patrioten. Deng habe an die Bedeutung und den Status von China als vereinte Nation geglaubt. Und obwohl nicht oft darüber gesprochen worden sei, hätten die meisten politischen Maßnahmen und Strategien, die Deng unterstützte, dieses Ziel gehabt. Deng war ein Veteran des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression und kämpfte vor 1949 um den Aufstieg der KP Chinas, er gehörte zur ersten Generation der Parteiführer und blieb über 70 Jahre Parteimitglied. Er hatte gesehen, wie China durch Angriffe von außen schwach und verletzlich, wie es zum Opfer und ausgebeutet wurde, daher hielt er an der tiefen Überzeugung fest, dass nur ein wohlhabendes und starkes China eine Wiederholung dieser Katastrophe vermeiden könnte.

In seiner Biographie schreibt Vogel, dass Deng sich im Klaren darüber war, dass in China die Technologie, die intellektuellen Kapazitäten, eine gebildete politische Klasse und die Institutionen fehlten, um dieses Ziel zu erreichen und dass der effektivste Weg dazu daher die Öffnung zur Außenwelt wäre. In Chinas politischer Führung der 1970er Jahre gab es viele Gegner dieser Auffassung, sie fanden, dass China seinen eigenen Weg finden sollte, ohne sich der Welt zu öffnen – einer Welt, die die Ursache zahlreicher Probleme des Landes gewesen war. Deng vertraute in das Wissen, dass China mit der richtigen Strategie fähig sein würde, Ideen und Ansätze anderer Länder aufzunehmen, solange es seinen zentralen Werten und Zielen verpflichtet bliebe.

Deng und seine Mitstreiter hatten in den späten 1970er Jahren die richtige Intuition. Die von ihnen damals begründete Regierungsphilosophie  - sich auf die Wirtschaft als entscheidenden Bereich für Verbesserungen zu konzentrieren und politische Maßnahmen einzuführen, die einige Bereiche öffneten, während sie andere weiterhin kontrollierten – hatte enormen Erfolg. Von 1978 bis 2012 verzeichnete China eine jährliche Wachstumsrate von fast 10 Prozent. Das Pro-Kopf-BPI stieg von 300 Dollar im Jahr 1978 auf 7000 Dollar im Jahr 2013.

China stieg auf und wurde die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, der größte Exporteur, der zweitgrößte Importeur und das Land mit den meisten Devisenreserven, all das, indem es auf die Reformvorlagen von Deng baute. Deng ist der Vater eines urbanen, modernen und globalen Chinas. Sein Name wird mit diesem Erfolg verbunden bleiben, ein Erfolg, der von einigen als wichtigste menschliche Errungenschaft des letzten Jahrhunderts beschrieben wurde. Seine Strategie befreite 300 Millionen Menschen aus der Armut und schuf das Wohlstandsniveau, das wir heute in ganz China beobachten können.

Während Dengs Rolle als Ökonom allgemein anerkannt ist, gibt es kaum Zweifel darüber, dass sein Erfolg in diesem Bereich weniger groß gewesen wäre, wenn er nicht auch für diplomatische Stabilität gesorgt hätte. Der Reformprozess hing von harmonischen Beziehungen mit den Nachbarländern und wichtigen Partnern wie den USA und Europa ab. Dengs eigener Besuch in den USA – nach dem Beginn der diplomatischen Beziehungen beider Länder 1979 – war eine bahnbrechende diplomatische Mission. Er besuchte außerdem Japan und ermutigte seine politischen Mitstreiter, sich die industriellen und technologischen Modelle von Ländern wie Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada genau anzuschauen. So wurde Chinas globale Rolle neu definiert,  es war immer weniger isoliert und gewann größeren Einfluss auf internationale Angelegenheiten.

Deng konnte den Rahmen dafür schaffen, dass Hongkong an China zurückgegeben wurde. Das wird zweifellos als einer seiner Haupterfolge betrachtet werden. Die Schaffung einer Ethik, in der positive Beziehungen mit dem Rest der Welt die Norm und nicht die Ausnahme waren und eine freundliche und friedliche Atmosphäre als integraler Bestandteil  von Chinas Wunsch nach Wachstum und Wohlstand galt, war ein wesentlicher Bestandteil des Kontexts, der die heimischen Wirtschaftsreformen ermöglichte.

Ein dynamischer Prozess

Die positive Einstellung zu Reformen und ihre zentrale Rolle in der Regierungspolitik bleiben in China auch 17 Jahre nach Dengs Tod außerordentlich wichtig. Während seiner gefeierten Reise in den Süden Chinas im Jahr 1992 stellte Deng das Land schonungslos vor die Wahl: Reform oder Untergang. In Zeiten, in denen Chinas Einsatz für die Reformen in Frage gestellt oder attackiert wurde, machte sich sein Einfluss positiv bemerkbar. Das gilt auch für die gegenwärtige politische Führung.

Reformen sind aber ein dynamischer Prozess und niemand, am wenigsten Deng, hätte geglaubt, dass sie leicht zu Ende zu bringen wären. In diesem Sinne schuf er einen sehr flexiblen Rahmen, innerhalb dessen künftige politische Führer recht viel Ermessensspielraum haben würden. Die Herausforderungen im heutigen China unterscheiden sich sehr von denen des Jahres 1978. Damals bestand die wichtigste Aufgabe darin, Wohlstand durch Modernisierung und Industrialisierung zu schaffen. Die Freisetzung von Produktivität durch die Reformen in der Landwirtschaft und der Einsatz für die „vier Modernisierungen" – die Umgestaltung von Landwirtschaft, Industrie, nationaler Verteidigung, Wissenschaft und Technologie – waren entscheidend.

2014 haben sich diese Kernbereiche verändert. Der Aufbau einer Wirtschaft mit einem eigenen Finanzsektor, einem höheren Anteil von Dienstleistungen am BIP und einem höheren Binnenverbrauch sowie die Beschleunigung der Urbanisierung sind nun entscheidend, über allem hängt drohend die Herausforderung der Nachhaltigkeit.

Ministerpräsident Li Keqiang sprach von der Hauptaufgabe, für "schnelles, nachhaltiges Wachstum" zu sorgen. Der Fokus der Reformen liegt seit der dritten Plenarsitzung des 18. Zentralkomitees der KP Chinas Ende 2013 darauf, den richtigen reformerischen Rahmen zu schaffen, in dem dies gelingen kann. Einige Maßnahmen involvieren soziale Veränderungen wie höhere Standards bei der Sozialfürsorge und mehr soziale Gerechtigkeit, auch eine höhere Effizienz in den Bereichen Regierung und Wirtschaft ist gefordert. Andere Maßnahmen beinhalten die Schaffung eines innovativeren Industrie- und Unternehmensmodells, das einen höheren Mehrwert garantiert. Der effiziente Einsatz von Kapital und der Aufbau einer besseren Steuerbemessungsgrundlage sind zwei weitere Schlüsselelemente der neuen Reformära.

Auch wenn sich diese Herausforderungen sehr von den Problemen vor 30 Jahren unterscheiden, sind sie Teil desselben Veränderungs- und Entwicklungsspektrums, das 1978 in Gang gesetzt wurde. In diesem Sinn bleibt der Einfluss von Deng stark, auch wenn China nun den Übergang in eine neue Phase des Wachstums und der Entwicklung vollzieht. Das Fahrzeug von heute ist ein anderes, aber es läuft auf derselben breiten Spur, die Deng dafür angelegt hat.

(Der Autor ist ein freier Mitarbeiter der Beijing Review und amtierender Direktor des China Studies Center an der Universität Sydney)