11-07-2014
Im Focus
Auf der Seidenstraße in den wilden Westen
von Bai Shi

Der erste Abschnitt der längsten historischen Handelsroute der Welt gehört nach 26-jähriger Vorbereitung endlich zum Weltkulturerbe.

 

Die Kleine Wildganspagode in Xi'an, der Hauptstadt der Provinz Shaanxi. Die Pagode wurde 707 während der Tang-Dynastie errichtet. Sie ist eins der 22 chinesischen Denkmäler an der Seidenstraße (Xinhua)

Die Seidenstraße, eine längst verloren geglaubte Handelsroute, die China vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 16. Jahrhundert mit den Zivilisationen Zentralasiens und Europas verband, soll nach ihrer Restaurierung in altem Glanz erstrahlen.

Am 22. Juni wurden die "Routen der Seidenstraße zwischen Chang'an und dem Tianshan-Korridor" während der 38. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Doha (Katar) in die Liste der Welterbestätten aufgenommen. 26 neue Stätten schafften es in diesem Jahr auf die Liste, insgesamt gibt es damit 1007 Welterbestätten in 161 Ländern. Laut UNESCO-Welterbekomitee hat die Seidenstraße im Laufe ihrer 2000-jährigen Geschichte zahlreiche Zivilisationen miteinander verbunden und "den intensiven Austausch in den Bereichen Handel, Religion, Wissenschaft, technologische Innovationen, Kultur und Kunst erleichtert".

Die Seidenstraße wurde vom kaiserlichen Gesandten Zhang Qian (164-114 v. Chr.) begründet. In den mehr als 1000 Jahren danach wurde sie zu einer wichtigen Handelsroute, die das Reich der Mitte mit zahlreichen anderen Reichen Zentralasiens verband und sich in Richtung Westen bis an die Ostküste des Mittelmeers erstreckte. Nachdem im späten 15. Jahrhundert eine neue Seeroute von Westeuropa nach Ostasien eröffnet wurde, begann der Niedergang der Seidenstraße. Dennoch spielte sie in der frühen Geschichte eine entscheidende Rolle für den wachsenden Wohlstand und kulturellen Austausch zwischen östlichen und westlichen Zivilisationen. Heute arbeiten die meisten Länder entlang der historischen Route mit Sorgfalt an der Erhaltung ihrer historischen Denkmäler. 

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Die Seidenstraße sei die erste Welterbestätte gewesen, um deren Aufnahme man sich länderübergreifend beim UNESCO-Welterbekomitee beworben habe, erklärte Tong Mingkang, stellvertretender Direktor der Staatlichen Kulturerbeverwaltung Chinas. Erstmals arbeitete China dazu mit Kasachstan und Kirgisistan zusammen.

Die Seidenstraße umfasst 33 Tempel, Gebirgspässe und historische Denkmäler entlang eines Straßennetzes, das sich über rund 8700 Kilometer durch China, Kasachstan und Kirgisistan erstreckt. 22 historische Stätten befinden sich auf chinesischem Boden, acht in Kasachstan und drei in Kirgisistan.

"Wir haben in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, damit die Seidenstraße Teil des Welterbes wird. Die internationale Zusammenarbeit mit Kasachstan und Kirgisistan ist bemerkenswert und beispiellos", erklärte Tong. "Die Seidenstraße ist für China ein erfolgreiches Zukunftsmodell im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit zum Denkmalschutz", ergänzte Chen Tongbin, Direktorin des Instituts für Architekturgeschichte bei der China Architecture Design and Research Group und Expertin der Arbeitsgruppe „Seidenstraße".

Mit dem erfolgreichen Welterbeantrag von 2014 geht der jahrzehntelange Traum vom Erhalt der Seidenstraße in Erfüllung. Schon 1988 begann die UNESCO mit der Erforschung und Prüfung der dortigen Kulturschätze. In den folgenden zehn Jahren habe die Organisation dann fünf Umfragen in China und zentralasiatischen Ländern durchgeführt, so Chen.

2006 begann die chinesische Regierung mit der Bewerbung um den Welterbestatus für die Seidenstraße. Im Jahr darauf kamen die fünf zentralasiatischen Länder Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan hinzu und man einigte sich darauf, sich gemeinsam für den Antrag bei der UNESCO einzusetzen. "Am Anfang wusste niemand, wie man die Dokumente und Pläne für eine grenzüberschreitende Welterbestätte vorbereitet", erklärt Chen. „Die Seidenstraße umfasst ein sehr langes Straßennetz und führt durch viele Länder. Die Bewerbung war so kompliziert, dass sie Jahr für Jahr verschoben wurde und der Zeitplan nicht eingehalten werden konnte."

"Die gesamte Seidenstraße von China nach Italien ist 10.000 Kilometer lang und führt durch mehr als 20 Länder", so Chen. "Wir fanden es unmöglich, die ganze Straße in ein Paket zu packen." 2011 nahm das Welterbekomitee eine wichtige Veränderung am Projekt Seidenstraße vor. Experten schlugen vor, die alte Handelsroute in 54 Korridore zu unterteilen, was die organisatorischen und bürokratischen Probleme reduzierte. Das Komitee ermutigte einzelne Länder, sich für unterschiedliche Abschnitte der Seidenstraße um die Aufnahme ins Weltkulturerbe zu bewerben und dabei international zusammenzuarbeiten. Aufgrund dessen  wurde die ursprüngliche Bewerbung Chinas und der fünf zentralasiatischen Länder nach Chens Angaben in zwei Teile geteilt: den Chang'an-Tianshan-Korridor und den Amu-Darya-Korridor.

Im Januar 2013 reichten China, Kasachstan und Kirgisistan gemeinsam die Unterlagen für die "Routen der Seidenstraße zwischen Chang'an und dem Tianshan-Korridor" beim Welterbe-Komitee ein. Durch die jahrelange Vorbereitung habe China eine enge Partnerschaft mit den beiden Ländern aufgebaut, erklärte Chen. Die Auswahl der Denkmäler für die Bewerbung hing stark von ihrer Beziehung zur Seidenstraße und ihrem Zustand ab. Auf chinesischer Seite wurden sie bei einer ersten Bekanntmachung 2012 auf 24 beziffert. Nach einer genauen Überprüfung sei ihre Zahl auf 22 reduziert worden, erklärte Chen.

Der für die Bewerbung ausgewählte Streckenabschnitt der Seidenstraße umfasst nicht alle Routen, die durch chinesisches Gebiet verlaufen. So verpasste beispielsweise Kashgar, eine Stadt im Süden der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang, die Chance auf den Welterbestatus. Kashgar war der Transportknotenpunkt zwischen den nördlichen und südlichen Abschnitten der alten Seidenstraße, hier kreuzten sich viele Kulturen und Religionen, unzählige Kulturschätze entstanden. 

Nachdem China, Kasachstan und Kirgisistan alle möglichen erhaltenswerten Gebiete in Betracht gezogen hatten, entschied das Bewerbungsteam wegen der Internationalität des Projekts der Route im Norden Xinjiangs Priorität zu geben. Daher musste die Hoffnung, Kashgar mit einbeziehen zu können, während der Vorbereitungen aufgegeben werden.

Gemeinsamer Denkmalschutz

"Die Aufnahme der Seidenstraße in die Welterbeliste soll vor allem auch dem Denkmalschutz zugute kommen", so Tong. Welterbestätten werden in der Regel zu Bildungs- und Tourismuszentren von Weltrang, was in der Regel zu wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen führt. Noch wichtiger: Es gibt mehr Unterstützung für ihre Erhaltung, z.B. finanzielle Hilfen vom World Monuments Fund, einer NGO, deren Anliegen die Erhaltung der architektonischen Integrität bedeutender Denkmäler, Gebäude und Plätze auf der ganzen Welt ist. Daher bewerben sich viele Länder jedes Jahr aufs Neue um eine Aufnahme in die UNESCO-Liste.

"In der Tat haben wir uns in den vergangenen Jahren bemüht, den Schutz für die Welterbestätten zu verbessern. Die Situation vieler Örtlichkeiten an der Seidenstraße verbesserte sich bereits vor der Bewerbung bei der UNESCO stark", erläuterte Chen. "In Zukunft werden wir die Erhaltungsmaßnahmen für die Seidenstraße weiter verbessern. Wir werden uns außerdem auf die Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit beim Denkmalschutz konzentrieren, weil die Kulturschätze an der Seidenstraße in China, Kasachstan, Kirgisistan und anderen Ländern ein integriertes Ganzes sind", erläuterte Chen. 

Liu Qingzhu, Wissenschaftler am Institut für Archäologie an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, warnte Lokalregierungen jedoch davor, die Welterbestätten „überzuentwickeln". Historische Fundorte, Straßen und Tempel sind Schätze, die allen Menschen gehören", betonte Liu. Steht ein Ort auf der Welterbeliste, wird er nicht nur beliebter, sondern es steigen auch die Einnahmen aus dem Tourismus und das Wirtschaftswachstum. Die übertriebene Kommerzialisierung eines Ortes werde jedoch unweigerlich die ursprüngliche Landschaft und sein Ansehen verändern, erklärte Liu.

Ein Welterbestatus allein reicht zum Schutz der Seidenstraße jedoch nicht aus. In der Tat seien viele Orte entlang der Route bereits jetzt gefährdet, vor allem diejenigen, die von Wüsten umgeben und der Winderosion ausgesetzt seien, betonte Chen. Zu lernen, wie man die historischen Schätze in einer unvorteilhaften Umgebung schützen kann, bleibt eine große Herausforderung für Archäologen und Umweltschützer.

Neben der Seidenstraße wurde in diesem Jahr auch der Kaiserkanal, ein weiteres historisches Transportsystem Chinas, ins Weltkulturerbe aufgenommen. Bislang gibt es 47 Welterbestätten in China, damit steht das Land zahlenmäßig weltweit auf Platz zwei.

 

Traditionsreiche Straße

Die "Routen der Seidenstraße zwischen Chang'an und dem Tianshan-Korridor" umfassen rund 5000 Kilometer der Seidenstraße. Sie erstrecken sich von Chang'an (heute Xi'an) bzw. Luoyang, den Hauptstädten Chinas während der Han- und Tang-Dynastie, bis in die Region Zhetysu in Zentralasien. Während dieser Zeit verband das Straßennetz zahlreiche Zivilisationen und erleichterte den intensiven Austausch in Handel, Religion, Wissenschaft, Technologie, Kultur und Kunst. Es nahm zwischen dem zweiten Jahrhundert v. Chr. und dem ersten Jahrhundert n.Chr. Gestalt an und blieb bis zum 16. Jahrhundert in Gebrauch. Die 33 historischen Denkmäler entlang dieses Streckenabschnitts umfassen Hauptstädte, Palastanlagen verschiedener Kaiser- und Khan-Königreiche, Handelsansiedlungen, buddhistische Höhlentempel, historische Pfade, Poststationen, Gebirgspässe, Signaltürme, Abschnitte der Großen Mauer, militärische Festungen, Gräber und religiöse Gebäude.  

(Quelle: Welterbe-Komitee der UNESCO)