27-06-2014
Im Focus
Ein Jahrhundert danach: Der Erste Weltkrieg aus chinesischer Sicht
von Gao Zhuan

 
Im Januar 1919 wurde in Paris die Friedenskonferenz einberufen. Chinas Delegation forderte die Abschaffung von ungleichen Verträgen, die das Land mit den imperialistischen Mächten hatte abschließen müssen, und auch von Zugeständnissen, die es ihnen gemacht hatte, erlitt aber eine diplomatische Niederlage. Als die Nachricht Beijing erreichte, erhoben sich die Studenten, um gegen den Pariser Beschluss zu protestieren. Die Vierte-Mai-Bewegung brach aus.
 

Der Erste Weltkrieg endete mit dem Sieg der Entente. Zur Regelung verschiedener Fragen in der Nachkriegszeit wurde die Friedenskonferenz in Paris im Januar 1919 einberufen. Sie war fest in den Händen der fünf Großmächte (Großbritannien, USA, Frankreich, Italien und Japan). US-Präsident Wilsen schlug der Konferenz einen 14-Punkte-Grundsatz vor. Darin wurde zum Ausdruck gebracht, dass bei der Regelung der kolonialen Fragen die Interessen der heimischen Bevölkerung berücksichtigt werden und die großen und kleinen Länder gegenseitig ihre politische Freiheit und territoriale Integrität absichern sollten. In diese Prinzipien setzten die chinesischen Intellektuellen große Hoffnungen und sie schenkten den von den westlichen Politikern genannten „guten Begriffen wie Humanität, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Frieden" großen Glauben. Unter dem Druck des Volkes setzte sich die Regierung der chinesischen „War Lords" ihre Verhandlungsziele. Zuerst sollten die deutschen Rechte in Shandong zurückgenommen und nicht von Japan übernommen werden. Außerdem forderten sie, die Zugeständnisse, die die chinesische Regierung unter Yuan Shikai 1915 gegenüber Japan in den 21-Klauseln gemacht hatte, zu eliminieren und die ausländische konsularische Gerichtsbarkeit in China abzuschaffen.

 

In Wirklichkeit haben die westlichen Mächte nach dem Ersten Weltkrieg ihre Aggression in China erneut verstärkt. Den Forderungen der chinesischen Delegation erwiderte der französische Premier Clemenceu: Diese Fragen fielen nicht in den Rahmen der Debatte auf der Friedenskonferenz. Nur bei der Frage der Behandlung der deutschen Kolonie in Shandong wurde das chinesische Jiaozhou thematisiert. Japan stellte die Forderung, sämtliche Rechte Deutschlands in Shandong zu übernehmen. Der junge chinesische Diplomat Gu Weijun betonte in seiner leidenschaftlichen Rede auf der Friedenskonferenz die Bedeutung von Shandong für China: „Jiaozhou bildet ein Tor im Norden Chinas. Für die Landesverteidigung lässt sich Chinas Recht mit Entschiedenheit nicht von anderen Ländern bestreiten. In kultureller Hinsicht ist Shandong die Heimat von Konfuzius und Menzius und die heilige Wiege der chinesischen Kultur." Dennoch bewegte sich Gus außenpolitisches Konzept im Rahmen der Außenpolitik, die damals vom halbfeudalen und halbkolonialen China betriebenen wurde. Es handele sich um ein Vorgehen, „einen Barbaren gegen einen anderen auszuspielen". So versicherte Gu den Mächten außer Japan: „Shandongs Tor und Tür stehen allen Mächten offen und sie können alle von dieser Politik der Öffnung profitieren..." Das damalige China war nicht in der Lage, sein eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. So wurde auf der Pariser Friedenskonferenz die endgültige Entscheidung über die Shandong-Frage völlig Japans Forderungen folgend getroffen.

Die Realität hat die chinesische Intelligenz eines Besseren belehrt, welche vorher große Illusionen gehegt hatte. Die Nachricht aus Paris kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel für Chinas intellektuelle Elite. Ein fortschrittlicher junger Intellektueller schrieb einen Artikel in der weit verbreiteten chinesischsprachigen Zeitschrift „Neue Jugend": „Wie viele Idealisten erwachten aus ihren schönen Träumen und wie viele Hoffnungen der Pazifisten wurden zutiefst enttäuscht. (...) Auch wir befinden uns in einer auswegslosen Situation. Lasst uns einander zusammenschließen, um unsere eigenen dringenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme zu lösen! Neue Jugend! Habt ihr eure Pflichten vergessen?!"

Als die Nachricht von der Entscheidung der Pariser Friedenskonferenz China erreichte, erhoben sich zuerst die Studenten in Beijing, um gegen den Pariser Beschluss zu protestieren. Sie verliehen damit ihrer Empörung über den Imperialismus, insbesondere den japanischen Imperialismus und die mit diesem unter einer Decke steckende chinesische Regierung Ausdruck. Am Nachmittag des 4. Mai 1919 versammelten sich mehr als 3000 Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens und demonstrierten gegen die Pariser Friedenskonferenz. Sie skandierten Parolen wie „Chinas Souveränität international erkämpfen und im Inland die Hochverräter beseitigen!" oder „Verzicht auf die Unterzeichnung des Friedensvertrags!". Um gegen die Unterdrückung der Polizei zu kämpfen, bestreikten die Schüler und Studenten den ganzen Lehrbetrieb. Die Studentenbewegung des 4. Mai wirkte in China wie ein Donner in finsterer Nacht und erschütterte das ganze Land. Die Arbeiter in chinesischen Großstädten trugen den ersten groß angelegten politischen Streik in der chinesischen Geschichte aus.

Angesichts der Lage des Landes am tiefen Abgrund dachte Chinas Jugend über die Frage nach, die die von der Zeitschrift „Neue Jugend" geförderte Kulturbewegung aufwarf: Mit welchen politischen Ideen lässt sich China retten? Durch die 4.-Mai-Bewegung wurde die Erforschung und Verbreitung des Marxismus eine unaufhaltsame politische Strömung in China. In der Bewegung erhob sich die chinesische Bevölkerung, um dem Imperialismus und der reaktionären Herrschaft der „War Lords" entgegenzutreten. Das war der Beginn der Neudemokratischen Revolution. Zwei Jahre nach der Bewegung, im Jahr 1921, wurde die Partei des chinesischen Proletariats, die KP Chinas, gegründet. (Quelle: China Heute)

 

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